JÜDISCHER WITZ
Er ist ein Klischee - und gleichzeitig dessen Demontage. Ein Stück feine Ironie, die Vorurteile bricht und in schwierigen Zeiten Hoffnung gibt
Um es vorweg zu sagen: Einen "jüdischen" Humor gibt es genauso viel und genauso wenig wie eine russische Seele, deutsche Gründlichkeit, karibische Gelassenheit oder protestantische Arbeitsethik. Alle diese Beispiele sind Klischees, aber da sich dahinter immer ein Fünkchen Wahrheit verbirgt, ist auch jüdischer Witz so etwas wie ein kollektives Kulturgut, das doch hier und da tatsächlich fassbar wird. Anekdoten und Schmunzelgeschichten, lehrreiche Witze und tragikomische Ironie hat die jüdische Tradition zuhauf hinterlassen, ob in der erbaulichen Musarliteratur oder im Talmud -unterhaltsam, komische Stellen finden sich überall. Eine Kontinuität bis hin zu den Filmen Woody Allens oder den Geschichten Ephraim Kishons ist natürlich hiermit noch nicht gestrickt. Und doch scheint es ein unsichtbares Wesen zu geben, das fast jedem jüdischen Witz gemeinsam ist.
Hierbei ist streng auf die Unterscheidung zum antisemitischen Judenwitz zu achten, der wiederum nicht schelmisch und in feiner Ironie daherkommt, sondern ausgrenzend und diffamierend ist. Sigmund Freud bemerkte einmal hierzu: "Die Witze, die von Fremden über Juden gemacht werden, sind zu allermeist brutale Schwänke, in denen der Witz durch die Tatsache erspart wird, dass der Jude den Fremden als komische Figur gilt." Der jüdische Spaß hingegen funktioniert anders: Er handelt von liebenswürdiger Chuzpe, von feinen Missverständnissen und menschlichen Schwächen, meistens zwischen zwei Juden, die in einen komischen Dialog miteinander eintreten - und er kommt niemals ohne Eigenironie aus.
Die jüdische Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Salcia Landmann (1911-2002) widmete sich 1960 mit ihrer Anthologie "Der jüdische Witz" dem jüdischen Humor und war damit zugleich die erste, die sich dem Phänomen aus wissenschaftlicher Sicht annäherte. Das Thema ließ sie zeitlebens nicht mehr los, das Buch erlebte 14 Auflagen - ein wahrer Bestseller. Der Autor und Journalist Friedrich Torberg kritisierte Salcia Landmanns Werk und warf ihr vor, antisemitische Vorurteile zu befördern. Aber genau das ist das Geheimnis: das Vorurteil ironisch zu brechen. Antisemitisch hingegen hieße zu behaupten, Juden müssten ohne Humor, ohne Spitzfindigkeit, Spott oder Sarkasmus auskommen, Juden seien des Witzes nicht fähig oder zur Eigenironie nicht imstande. Das Gegenteil ist der Fall. Jahrhunderte im Ghetto, in der Situation des Verfolgtwerdens oder der Ausgrenzung gehen an der mündlichen Erzähltradition einer so reichhaltigen Kultur wie der jüdischen nicht spurlos vorbei. Und vielleicht ist es doch gerade der Humor, der in den bedrückenden Tiefphasen jüdischer Geschichte dem Leben noch ein wenig Hoffnung schenkt.
Der Regisseur Dani Levy bewies mit seinem Film "Alles auf Zucker!" (2004) vor allem eins: Es darf gelacht werden! Der Film ist ein rasanter Einblick in den ganz normalen deutsch-jüdischen Alltagswahnsinn des schlitzohrigen Zockers Jaeckie Zucker, der gebürtig Jacob Zuckermann heißt. Der Film wurde mit Preisen überhäuft; ihn sahen allein mehr als eine Million deutsche Zuschauer. Paul Spiegel, damals Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, soll sich im Kinosaal köstlich amüsiert haben: "Endlich lacht man mit, nicht über uns", wird er zitiert.
Die Erklärung des Regisseurs ist einfach, aber überzeugend: "Der jüdische Humor zeichnet sich dadurch aus, dass er ziemlich schonungslos, frech und selbstironisch mit den menschlichen Schwächen umgeht - auch mit den Eigenheiten der Juden." Und: "Der jüdische Witz nährt sich aus der psychologischen Kenntnis des Menschen, das finde ich schön."
Zum Schluss ein herb-bitteres Beispiel für genau diesen ganz besonderen Humor: Im Jahre 1938 sitzen sich in der New Yorker U-Bahn zwei gerade eingewanderte deutsche Juden gegenüber. Der eine liest den Stürmer, das Hetzblatt Julius Streichers. Der andere liest eine jüdische Zeitung und wird allmählich aufgeregt. Da fragt er seinen Landsmann, "Wieso lesen Sie dieses furchtbare Blatt? Es ist nur reiner Antisemitismus, Judenhatz." Der erste Jude guckt vor sich hin und sagt: "Schauen Sie. Was steht in Ihrer Zeitung? Überall sind die Juden Flüchtlinge. Man verfolgt uns. Man wirft Steine und Bomben in die Synagogen. Ich lese die Nazi-Zeitung, denn sie ist zuversichtlicher: Wir besitzen die Banken! Wir besitzen die großen Firmen! Wir beherrschen die Welt!": Es ist das, was den jüdischen Witz ausmacht. Er ist Klischee - und gleichzeitig dessen Demontage.
Der Autor ist freier Publizist in Düsseldorf.