Rente
Der Bundestag hat eine Anhebung der Bezüge der 20 Millionen Rentner um 1,1 Prozent beschlossen. Beherrschendes Thema ist aber die mögliche Altersarmut
Die Rente stand in der vergangenen Woche hoch im Kurs: Kaum eine Zeitung, kaum eine Nachrichtensendung, in der die Frage der Alterssicherung nicht Topthema gewesen wäre. Allerdings lag dabei weniger die Entscheidung des Bundestages am 8. Mai zu außerplanmäßigen Rentensteigerungen in diesem und im kommendem Jahr im Fokus. Vielmehr drehte sich die teilweise hitzige Debatte zuforderst um den Kompromiss, den das CDU-Präsidium nach einem tagelangen Streit um den Vorschlag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) fand. Rüttgers hatte gefordert, dass Menschen, die ein Leben lang Vollzeit arbeiten, eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus bekommen müssten.
Im Prinzip stimmte die CDU-Spitze dem am 5. Mai zu. Das Modell solle steuerfinanziert und bedarfsabhängig ausgestaltet werden, hieß es hernach. Was das konkret bedeutet, blieb allerdings im Dunkeln. Schade, denn berührt werden Kernfragen der Zukunft der Alterssicherung: Wie kann Altersarmut größerer Bevölkerungsgruppen künftig vermieden werden? Außerdem: Wie können finanzielle Lösungen generationengerecht und damit dauerhaft tragfähig aussehen?
Zu diesen Fragen gab es im Windschatten der medial verstärkten Rüttgers-Debatte in gleich zwei Anhörungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales am selben Tag von den geladenen Sachverständigen interessante Hinweise. In der ersten Veranstaltung, der drei Anträge der Linksfraktion ( 16/6440, 16/7038 und 16/8495) und einer der FDP-Fraktion ( 16/7177) zugrunde lagen, ging es zentral um eine Gruppe, die nach übereinstimmen-Auffassung der Experten akut von Altersarmut betroffen sein werden: die so genannten Soloselbstständigen. Das sind die Alleinunternehmer, die keine Angestellten beschäftigen, über wenig bis kein Eigenkapital und in der Regel nur über geringe Einkünfte verfügen - vielfach in der Kreativ- und in der Dienstleistungsbranche beschäftigt. Die Zahl der Soloselbstständigen steigt laut der Stellungnahme des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2007 an. Waren es der Stellungnahme zufolge im Jahr 2000 noch 1,8 Millionen, so stieg ihre Zahl auf knapp 2,3 Millionen im Jahr 2005.
Der Leiter für Entwicklungsfragen in der Altersvorsorge bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, Reinhold Thiede, sprach sich unter Hinweis auf die Zunahme der Zahl der Soloselbstständigen in der Anhörung für eine Weiterentwicklung der gesetzlichen Rente von einer Arbeitnehmer- zu einer Erwerbstätigenversicherung aus.
Thiede plädierte - im Unterschied zur Linksfraktion - dafür, die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nur auf alle bislang nicht gesicherten Erwerbstätigen auszudehnen. Für die in den Berufsständischen Versorgungswerken pflichtversicherten Angehörigen freier Berufe sowie für Beamte bestehe kein zusätzlicher Schutzbedarf, so Thiede. Ähnlich positionierte sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gab zu bedenken, dass bei einer Erwerbstätigenversicherung die zusätzlichen Beitragseinnahmen in den ersten Jahrzehnten für Leistungsausweitungen der jetzigen Rentner verwendet würden und "nicht dem Umstand Rechnung getragen wird, dass den zusätzlichen Beiträgen auch spätere Leistungsansprüche gegenüberstehen".
Beim BDA-Experten Gerd Nachtigal stieß auch der Ansatz der FDP auf Vorbehalte, der die private Altersvorsorge für Geringverdiener zum Ziel hat. Einkommen aus privater und betrieblicher Altersvorsorge sollten "weiter in voller Höhe auf die Grundsicherung im Alter angerechnet werden", betonte Nachtigal. Ansonsten würde das Nachrangigkeitsprinzip der Grundsicherung aufgeweicht. Dieses besagt, dass erst dann Sozialhilfe gewährt wird, wenn andere Leistungen ausscheiden. Bei der Grundsicherung im Alter wird das Vermögen der Kinder nicht angerechnet, wohl aber eigene Zusatzeinkünfte.
Auch Anhörung Nummer zwei - hier ging es um den Gesetzentwurf der Koalition zur Rentenerhöhung ( 16/8744) - bot über den eigentlichen Anlass hinausgehende Fingerzeige. Die OECD-Rentenexpertin Monika Queisser lobte es zunächst als "ziemlich einzigartig" und "spektakulär", wie Deutschland das Rentensystem an die demografische Entwicklung und an die Situation auf dem Arbeitsmarkt angepasst habe. Ein Lob, das die Rentenexperten der Großen Koalition, Peter Weiß (CDU) und Anton Schaaf (SPD) in der abschließenden Beratung des Gesetzentwurfs am 8. Mai gern ins Plenum weitertrugen.
Freilich schrieb Queisser in der Anhörung der Politik auch ins Stammbuch, dass beim Thema künftiger Altersarmut Handlungsbedarf bestehe. Es sollte schon darüber nachgedacht werden, "ob es nicht ein besseres System zur Armutsvermeidung im Alter geben würde, dass das Problem sozial nachhaltiger" löse und dabei "möglichst viel von der finanziellen Nachhaltigkeit" bewahre, sagte Queisser.
Die mit dem Gesetzentwurf selbst verbundenen Änderungen stießen derweil auf zum Teil harsche Kritik; auch wenn der Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, der Koalition bescheinigte, einen "gangbaren Weg" eingeschlagen zu haben. Der Wirtschafts- und Sozialstatistiker Professor Eckart Bomsdorf von der Universität Köln bemerkte zu den Koalitionsplänen: "Bestellt wird jetzt, bezahlt wird später." Belastet würden in den Jahren 2011 und 2012 im Wesentlichen die Beitragszahler.
Nach dem Entwurf, den der Bundestag mit fast allen Stimmen der Koalition und gegen die Stimmen der Opposition verabschiedete, steigen die Bezüge der rund 20 Millionen Rentner in Deutschland in diesem Jahr statt um 0,46 um 1,1 und im kommenden Jahr um voraussichtlich mindestens zwei Prozent. Dazu wird der so genannte Riester-Faktor für zwei Jahre ausgesetzt. Dieser dämpft den Rentenanstieg und soll die private Vorsorge der im Erwerbsleben stehenden Bevölkerung honorieren. Der Riester-Faktor soll in den Jahren 2012 und 2013 nachgeholt werden. Die Kosten belaufen sich auf 12 Milliarden Euro bis 2012. Der Beitragssatz wird in der Folge später gesenkt: auf 19,5 Prozent im Jahr 2012 und auf 19,1 Prozent im Jahr 2013.
In der Debatte sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Arbeitsministerium, Klaus Brandner (SPD), bei der Anhebung um 1,1 Prozent handele es sich zwar nicht um "einen großen Sprung, aber um einen verantwortbaren Schritt", nach Nullrunden und Minirentenerhöhungen in den vergangenen Jahren.
Der FDP-Abgeordnete Heinrich Kolb warf Union und SPD vor, die "Manipulation an der Rentenformel" sei "rein wahltaktisch bedingt". Die Grünen-Politikerin Irmingard Schewe-Gerigk zog in Zweifel, dass die ausgesetzten Riesterstufen tatsächlich 2012 und 2013 vor der dann anstehenden Bundestagswahl nachgeholt würden. Ihr Entschließungsantrag ( 16/9107), die Grundsicherung im Alter auf 420 Euro anzuheben, bekam keine Mehrheit. Der Vorsitzende der Linksfraktion, Oskar Lafontaine, befand die Erhöhung als viel zu gering und geißelte sie als eine "bodenlose Unverschämtheit". Der Antrag seiner Fraktion ( 16/9068), die Rente um vier Prozent zu steigern, wurde in die Ausschüsse überwiesen. Der CSU-Abgeordnete Max Straubinger warf der Linksfraktion vor, nichts zur Finanzierung ihres Vorschlags zu sagen. Zumindest eines ist sicher: Das Thema Zukunft der Rente bleibt auf der Tagesordnung.