Doris Ahnen
Die Kultusministerin über den Sonderweg von Rheinland-Pfalz bei der Einführung des G8-Abiturs
Überall wird über Schulstress gestöhnt, den die verkürzte Gymnasialzeit auf acht Jahre hervorruft - nur im SPD-regierten Rheinland-Pfalz nicht. Frau Ahnen, wie fühlt man sich als zuständige Ministerin auf der Insel der Glückseligen?
Ich fühle mich mit unseren Regelungen sehr wohl. Ich mache aber auch keinen Hehl daraus, dass ich zeitweise sehr unter Druck gestanden habe, weil wir den bundesweiten Weg nicht mitgegangen sind. Meine Argumentation war von Anfang an: Man kann nicht einfach 265 Stunden nehmen und statt bisher durch neun nun durch acht Jahre teilen. Niemand muss glauben, dass das dann eine Reform ist. So etwas muss in ein pädagogisches Konzept eingebunden sein.
Teil dieses pädagogischen Konzepts ist, dass in Rheinland-Pfalz G8 nur ganztags von Ihnen erlaubt wird.
Ja, die Ganztagsschule ist ein Kernstück des Konzepts. Wir sagen ganz klar: Verkürzung ist möglich, aber nur in Kombination mit der Ganztagsschule. Das Angebot haben wir den Schulen gemacht und es ist gut aufgenommen worden. Bis jetzt haben wir erfahren, dass es einige Schulen und vor allem Eltern gibt, die das wünschen, aber eben bei Weitem nicht alle.
Sie haben das Ganztagsangebot immer damit begründet, dass verantwortlich mit der Lebenszeit junger Menschen umgegangen werden muss. Haben das Ihre Kollegen in den anderen Bundesländern nicht getan?
Ich glaube schon, dass auch die Kollegen den Ansatz hatten, mit der Lebenszeit junger Menschen verantwortlich umzugehen. Das heißt natürlich auch zu schauen, wo verkürzt werden kann. Wir haben das übrigens schon einige Jahre vorher getan, indem wir das Abitur auf den 31. März vorgezogen haben. Aber bei der Umsetzung von G8 muss ich schon sagen, dass da einige Fehler in anderen Ländern gemacht worden sind. Da ist einfach die Dimension unterschätzt worden: Es geht um junge Menschen, die elf, zwölf, 13 oder 14 Jahre alt sind und dann plötzlich 34 Stunden in der Woche haben. Bei jedem Erwachsenen würde man sagen: Klar, wer den ganzen Tag arbeitet, braucht eine Mittagspause und eine Gelegenheit, etwas essen zu gehen. Aber bei Kindern war das plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Da ist die Verkürzung isoliert von der ganzen Schule gesehen worden. Das war ein Fehler.
Das ist genau das, was Eltern, Lehrer und Schüler kritisieren: G8 sei ein Schnellschuss gewesen. Was muss Politik aber tun, um den Bildungsstandort Deutschland zu stärken? Wie kann eine erfolgreiche Reform aussehen?
Es ist wichtig, eine Reform so umzusetzen, dass die einzelnen Maßnahmen erkennbar ineinander greifen. Wir haben in Rheinland-Pfalz die Ganztagsschule ganz bewusst zum Konzept für alle Schulen gemacht - nicht nur für Gymnasien. Ich halte es nämlich auch für ein Problem, wenn der Eindruck entsteht, Bildungsreformen könnten sich nur auf's Gymnasium beschränken. Wir brauchen eine Reform, die das ganze System in den Blick nimmt. Dazu gehören übrigens nicht nur die Schulen, sondern auch die frühkindliche Bildung. Eine Reform kann nur gelingen, wenn sie ganzheitlich gedacht ist.
Was schätzen Sie, wie lange dauert dann so etwas?
Die Pisa-Forscher haben gesagt, man dürfe sich keine Illusionen machen: Das Bildungssystem nachhaltig zu verändern, dauert zehn bis 15 Jahre. Das halte ich für einen realistischen Zeitraum.
Im Zuge von G8 macht immer wieder die Forderung nach einer "Entrümpelung der Lehrpläne" die Runde. Steht so etwas in Rheinland-Pfalz an?
Auch für uns steht an, bei der Umsetzung von G8 zu überprüfen, ob ausreichend Freiraum gegeben ist. Ich bin mit solchen Worten wie "Entrümpelung" aber sehr vorsichtig. Man muss dann immer auch entscheiden, auf was am Ende verzichtet wird. Im Abstrakten ist das leicht gesagt. Wenn Sie konkret anfangen, etwas zu streichen, haben sie sehr schnell Widerstände. Dieselben, die jetzt eine Entrümpelung der Lehrpläne wollen, konfrontieren uns jeden Tag mit zusätzlichen Forderungen, was in der Schule noch gemacht werden muss. Ich bin aber trotzdem der Meinung, dass regelmäßig überprüft werden muss, was in einen Lehrplan gehört. Und das machen wir auch.
Jetzt hat Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) angekündigt, Wissenschaftler zu beauftragen, Musterlehrpläne für G8 zu erstellen. Damit greift sie in ein Kernelement der Länderkompetenzen ein. Würden Sie einen solchen Modelllehrplan umsetzen?
Ich habe noch keinen meiner Länderkollegen gehört, der das für eine gute Idee hält. Es ist schon manchmal merkwürdig, wo uns der Bund Hilfe anbietet und wo er es nicht tut. Gerade wird doch zu Recht gefragt, ob die Einführung von G8 gut gelaufen ist. Und es war nicht zuletzt die Umsetzung der Schulzeitverkürzung in Baden-Württemberg und anderen Ländern, die Anlass gab, in der Kultusministerkonferenz noch einmal darüber zu reden. Jetzt sind die Länder gefordert, die Probleme haben. Ich warne davor, mit allzu einfachen Vorschlägen auf die zu Recht aufgeworfenen Fragen zu reagieren und Lösungen für komplexe Probleme vorzugaukeln.
Das Interview führte Marco Pecht