An die Frage "nach der Höchstgrenze des Mietzuschusses in Nordrhein-Westfalen" erinnert sich Michael Gengenbach noch genau: Woher soll jemand, der in Baden-Württemberg lebt, das wissen? Gengenbach las und las. Und fand irgendwann die richtige Zahl - in der gleichen Ausgabe von "Das Parlament", in der das Weihnachtsrätsel Leser zum Mitmachen und Gewinnen aufrief. Er steckte sein Ergebnis in die Post - und hatte Glück. Kurz darauf stand in der Zeitung: 1. Gewinner: Michael Gengenbach, Nusplingen. Weil er sich gar nicht mehr sicher war, was er nun bekommen würde, griff er zum Telefon und ließ sich so lange durchstellen, bis er die richtige an der Strippe hatte. Und bekam zu hören: "Sie haben eine dreitägige Reise nach Berlin und in den Bundestag gewonnen."
Einige Wochen später packte Gengenbach seine Sachen und setzte sich mit seiner Lebensgefährtin in den Zug nach Berlin. Zwei Tage lang ließen sie sich gemeinsam mit einer anderen Besuchergruppe die Stadt und das Innenleben des parlamentarischen Betriebs zeigen. Der rüstige Rentner, bis dato erst ein einziges Mal in Berlin, war schon nach 24 Stunden voller Eindrücke: "Unglaublich, wie rapide sich die Stadt verändert," sagte er. Und dann: "Das fällt Ihnen gar nicht auf? Nun ja, ich staune ja auch nicht jeden Tag, wie schön es auf der Schwäbischen Alb ist". Denn dort lebt er, der gelernte Kaufmann, der die letzten 12 Jahre vor der Rente eine Gaststube mit bürgerlicher Küche führte und dort auch selbst kochte. Gengenbach ist gebürtiger Baden-Württemberger, ging dort zur Schule und machte dort seine Ausbildung. Dann aber zog er um - genau zu einer Zeit, als die meisten innerdeutschen Umzügler in die entgegengesetzte Richtung umsiedelten. Aber Gengenbach, damals schwer verliebt, zog zu seiner Freundin in die DDR, und das ein halbes Jahr vor dem Mauerbau. 28 Jahre lang lebte und arbeitete er im sachsen-anhaltinischen Weißenfels. Zurück in die Heimat durfte er nicht - nicht einmal zur Beerdigung seines Vaters. Schließlich, im Sommer 1989, wurde dem Wahl-DDR-Bürger dann doch eine Ausreise gestattet: zum 91. Geburtstag seiner Mutter. Wieder in der schwäbischen Heimat angekommen, zog ihn nichts mehr nach Sachsen-Anhalt. Gengenbach blieb und begann noch einmal ganz neu. "Ich bin Multi-Deutscher," sagt er heute - und man hat den Eindruck dass es ihm gefällt, beide deutsche Staaten kennengelernt zu haben.
Bereits in der abgeschotteten Welt der DDR war sein politisches Interesse erwacht. Er guckte westdeutsches Fernsehen, wann immer er konnte. Am allerliebsten schaute er Bundestagsdebatten: "Adenauer, Strauß, Mende, Schiller, Wehner - ich habe sie alle gesehen," lacht er, "und ich habe es genossen." Auch geschrieben hat er an westdeutsche Politiker, wegen des Mitlesens der Stasi immer mit privatem Anstrich und vor allem an baden-württembergische Politiker: "Da hätte es ja sein können, dass ich sie von früher kenne." Die erste Antwort kam vom Stuttgarter SPD-Landtagsabgeordneten Peter Conradi. Und Gengenbach wandte sich noch in der DDR der SPD zu. Heute ist er in seiner schwäbischen Heimat in einer Ortsgruppe aktiv.
Dass er in der Politik nicht weit mehr macht, überrascht fast ein wenig. Der Siebenundsechzigjährige ist so etwas wie das personifizierte politische Interesse - also genau so einer, wie es ihn laut öffentlicher Meinung viel zu selten gibt. Bis heute verfolgt Michael Gengenbach Bundestagsdebatten "lieber im Originalton" als in Auszügen. Er schaut sie auf Phoenix, wann immer er kann und er liest die Debattendokumentation dieser Zeitung.
So bot für ihn auch die Berlin-Reise einen wahren Fundus an Erfahrungen, die er nur zu gerne einmal machen wollte. Vor allem der Besuch der Plenarsitzung und das anschließende Gespräch mit Abgeordneten haben ihn beeindruckt. Im Plenum erwartete die Besucher tatsächlich ein Programm, das nicht jeden Tag geboten wird. Denn in der Debatte um den Lissabon-Vertrag der Europäischen Union traten sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch der SPD-Vorsitzende Kurt Beck ans Rednerpult. Und der Württemberger wollte gar nicht wieder weg: "Ich hätte den ganzen Tag dort sitzen können."