Kritik am Westen
Der amerikanische Journalist James Mann glaubt nicht an den Wandel durch Handel in China
Die Flagge folgt dem Handel: Mit dieser Kurzformel brachten deutsche Kaufleute Ende des 19. Jahrhunderts ihre Strategie zum Ausdruck, den Erwerb von Kolonien durch das Deutsche Reich in Schwung zu bringen und der von Reichskanzler Otto von Bismarck bis dahin betriebenen Politik kolonialer Enthaltsamkeit ein Ende zu setzen. Die Tage der Kolonialreiche gehören zwar längst der Vergangenheit an, aber der Glaube, dass Wirtschaftsbeziehungen neue politische Realitäten schaffen können - zumindest auf lange Sicht - hat sich erhalten. Heute rangiert er unter einer neuen Kurzformel: Wandel durch Handel.
Wohl für keine andere Region der Welt wird die These vom Wandel durch Handel so oft und so beharrlich zitiert wie im Falle Chinas. Für den amerikanischen Journalisten James Mann ist diese Formel jedoch nichts weiter als der Ausdruck einer gefährlichen Selbsttäuschung - zumindest im Falle der kommunistischen Volksrepublik. Wann immer in den USA das repressive Einparteiensystem Chinas, die Missachtung der Menschrechte, die stetige Aufrüstung der Volksbefreiungsarmee, das wachsende Handelsdefizit, der Verlust von heimischen Arbeits- plätzen an die Niedriglohnfabriken Chinas angemahnt würden, fiele die Antwort an die Kritiker ähnlich aus: "Die Dinge in China bewegen sich in die richtige Richtung. Schauen Sie sich die bemerkenswerten Veränderungen auf den Straßen an. Die chinesische Wirtschaft blüht; das chinesische Volk wird reicher. Das rasante Wirtschaftswachstum des Landes wird auch zu einem politischen Wandel führen. Schließlich wird der wachsende Handel und der steigende Wohlstand China Liberalisierung und Demokratie bescheren."
James Mann, von 1984 bis 1987 arbeitete er als Auslandskorrespondent für die "Los Angeles Times" in Peking, nennt dies das "Beschwichtigungsszenario". In Washington und anderen Hauptstädten der westlichen Welt werde dieses Szenario über die künftige Entwicklung im fernen Asien gebetsmühlenartig wiederholt, moniert Mann in seinem Buch über die "China Morgana". Daneben werde allenfalls noch das "Aufruhrszenario" diskutiert. Die Vertreter dieser Theorie sehen China auf ein innenpolitisches Desaster zusteuern: das Land werde aufgrund der wachsenden Kluft zwischen Reich und Arm, der immensen Umweltzerstörungen und der anhaltenden Unterdrückung ethnischer, kultureller und religiöser Minderheiten ausein- anderbrechen.
Mann setzt diesen zwei Szenarien ein drittes entgegen, dass er selbst zwar nicht für zwangsläufig hält, aber eben doch für ebenso realistisch. Die Führung in Peking wird das Land wirtschaftlich für den Westen weiter öffnen, die Wirtschaft Stück um Stück nach marktwirtschaftlichem Vorbild umbauen und somit letztendlich nur die eigene Herrschaft in den kommenden Jahrzehnten sichern. Sprich: die Wirtschaft Chinas wird kapitalistisch während das kommunistische Einparteiensystem nicht nur erhalten sondern gar noch gestärkt wird.
Für die Thesen Manns spricht einiges. In Peking hat man den Zerfall der ehemaligen Sowjetunion, der letztlich durch die Reformpolitik Michael Gorbatschows initiiert wurde, offenbar genau beobachtet und analysiert. Eine ähnliche Entwicklung wollen die Führer in Peking um jeden Preis verhindern. Wie rigide Chinas Kommunisten ihren alleinigen Führungsanspruch trotzt aller wirtschaftspolitischen Reformen verteidigen, ist all zu offensichtlich. Mann belegt dies an einer Reihe von Beispielen. Das er dies völlig unaufgeregt und sachlich tut, spricht für sein Buch. Er generiert sich nicht als "Kalter Krieger", der einer offenen Konfrontation mit China das Wort redet. Aber er wendet sich argumentativ sauber dagegen, Peking mit Samthandschuhen anzufassen, um die guten Geschäfte mit den wirtschaftlich potenten Chinesen nicht zu gefährden.
Bemängeln lässt sich an Manns Ausführungen sicherlich, dass er keine Vorschläge unterbreitet, wie eine vernünftige Chinapolitik des Westens aussehen müsste. Umgekehrt hat er jedoch Recht, wenn er darauf hinweist, dass eine solche Politik sich erst entwickeln lässt, wenn man sich von der Vorstellung verabschiedet, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwangsläufig zu einem politischen Wandel in China führt. Immerhin, so führt er an, werde diese Politik von den USA bereits seit Präsident Richard Nixon betrieben - ohne sichtbaren Erfolge: "Handel ist Handel; es ist kein politischer Zaubertrank für Demokratie."
Leider verzichtet Mann darauf, seine Sicht der Dinge an einem anderen offensichtlichen Beispiel zu untermauern. Wenn man in Washington an den Erfolg der Wandel-durch-Handel-Theorie glaubt, so hätte das Wirtschaftsembargo gegen Kuba längst aufgehoben werden müssen. Doch im Falle dieser nach China und Nordkorea letzten kommunistischen Bastion halten es die USA weiterhin mit der Formel: erst Wandel, dann Handel.
China Morgana. Chinas Zukunft und die Selbsttäuschung des Westens.
Campus Verlag, Frankfurt/M. 2008; 145 S., 14,90 ¤