MARION RODEWALD
Die Kapitänin der deutschen Hockey-Nationalmannschaft und stellvertretende Vorsitzende im Beirat der Aktiven zum Wandel der olympischen Grundstimmung
Es hieß, dass es bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen unter den Hockeyspielerinnen besonders lustig war. Werden Sie und Ihr Team in Peking weniger fröhlich sein?
Wenn ich die Bilder vom Fackellauf sehe, macht mich das schon traurig. Der Lauf soll ja die Vorfreude symbolisieren, die ist jetzt ein bisschen getrübt. Aber ich schaffe es ganz gut, das Politische auszuklammern.
Es sind Ihre dritten Olympischen Spiele. Ist das Fest noch das gleiche wie vor acht Jahren?
In Sydney war ich ein Küken und bin dort ganz unbekümmert hingefahren. In Athen fragten sich schon im Vorfeld alle: "Wie sicher ist das?" Die Welt hat sich ja nach dem 11. September verändert. Wir wurden extrem gefilzt, wenn wir zum Beispiel ins olympische Dorf gingen, und direkt neben dem Dorf waren auf einem militärischen Gelände Waffen zu sehen. Jetzt ist die Situation wieder anders, zum einen aufgrund der Lage in Tibet, aber auch, weil ich im Beirat der Aktiven bin und nun einen gewissen Weitblick habe.
Sie haben wegen unglücklicher Spiel- ansetzungen die Eröffnungsfeiern in Athen und Sydney verpasst. Es wäre also ein großes Opfer, wieder nicht ins Olympiastadion einlaufen zu können, oder?
Ja, dieses Erlebnis gehört schließlich irgendwie dazu. Wir haben dem sehr nachgetrauert. Als die anderen aus dem olympischen Dorf zur Eröffnung aufgebrochen sind und wir dort bleiben mussten, saßen einige von uns da und haben geweint. Es ist ein großes Erlebnis und auch ein Motivationsschub, dort einzulaufen.
Sie plädieren nicht für einen Boykott der Eröffnungsfeier?
Ich könnte mir das schon vorstellen, aber ich möchte das nicht tun, um mich irgendwie zu profilieren. Das muss man sich wirklich genau überlegen, man muss darüber nachdenken, welches Signal gesendet wird, wenn die deutsche Mannschaft ganz fern bleibt, und wie man der Welt den Grund für eine solche Maßnahme vermittelt.
Hatten Sie Angst, dass die deutsche Mannschaft nicht nach Peking reist?
Klar hatten wir Angst. Ich wurde von Zeitungen und Radiosendern angerufen, da hieß es, 70 Prozent der Deutschen seien für einen Boykott. Es ist immer leicht zu sagen: Ja, ich bin dagegen. Aber für die Athleten bedeutet das so viel, die haben so viel investiert, das sind Olympische Spiele. In der Situation war ich schockiert, weil das so schnell und pauschal kam. Ich glaube, dass es mehr bringt, wenn man da ist.
Es war also kein Fehler, die Spiele nach Peking zu vergeben?
Vielleicht hätte man klarere Forderungen an China stellen sollen, was Menschenrechtsfragen betrifft. Außerdem hätte man mit klaren Sanktionen drohen können. So wie es lief, hatte das IOC wohl nur die vage Hoffnung, dass sich etwas verbessert. An Stelle der Tibeter hätte ich es nicht anders gemacht, die können die Situation jetzt für sich nutzen. Und ich glaube auch, dass sich dort etwas ändert. Das kann noch etwas dauern, aber die Spiele könnten dabei eine wichtige Rolle spielen.
Die Fechterin Imke Duplitzer artikuliert immer wieder ein enormes Bedürfnis, irgendwie politisch aktiv zu werden. Ist das eine Außenseiterhaltung unter den Athleten oder gibt es das öfter?
Das ist sicher ein Extrembeispiel. Wir als Mannschaft haben uns beraten, aber es gibt noch keine konkreten Pläne, etwas zu machen. Da die Mannschaft noch nicht endgültig steht, geht es für viele jetzt erstmal darum, überhaupt dabei zu sein. Im Beirat der Athleten ist die Stimmung auch nicht so, dass wir sagen: Wir müssen da jetzt unbedingt was machen.
In Deutschland wird besonders heftig über die Menschrechtslage in China diskutier. Woran könnte das liegen?
Möglicherweise sind die Deutschen durch ihre Vergangenheit besonders sensibilisiert. Die Situation der Spiele von 1936 ist einfach da, und damals waren wir Deutsche blind und haben das alles mitgemacht. Natürlich kann man China nicht mit Hitler-Deutschland vergleichen, aber Deutschland ist einfach sensibel, wenn es um Propaganda geht.
In Peking sind die Augen der Welt auf Sie gerichtet: Ist es nicht ein verführerisches Gefühl, die öffentliche Aufmerksamkeit und damit einen gewissen Einfluss zu besitzen?
Das empfinde ich nicht so. Aber vielleicht sind wir Sportler uns unserer Macht gar nicht bewusst. Vielleicht sind wir viel einflussreicher als wir denken.
Das Interview führte Daniel Theweleit.