MIGRANTENVEREINE
Sie haben Ärger mit ungeöffneten Briefen und Rechtsradikalen. Dabei wollen sie nur Fußball spielen
Mehmet Matur ist Fußballdiplomat, seine Stimme überschreitet den Flüsterton kaum. Manche Kollegen behaupten, er sei der wichtigste Mann im Präsidium des Berliner Fußball-Verbandes (BFV). Seit 2004 ist er Integrationsbeauftragter, er kümmert sich um die Sorgen der Migrantenvereine, in einer Stadt, die nicht arm ist an Konflikten, zwischen Türken und Kurden, Israelis und Iranern oder Deutschen und Afrikanern. Oftmals werden Streitigkeiten, Frustrationen und Ressentiments, deren Ursprünge fernab Europas liegen, zwischen zwei Berliner Fußballtoren ausgetragen. Nicht nur in der Hauptstadt, in ganz Deutschland, vor allem in den Ballungsgebieten. Und da behaupte noch jemand, Sport habe nichts mit Politik gemeinsam.
Mehmet Matur, 48 Jahre alt, ist als Aufklärer tätig, als Dolmetscher und Schlichter. Und so klingt er auch, verständnisvoll und nach Argumenten suchend. Seit mehr als 30 Jahren lebt er in Deutschland, kennt die Hürdenläufe durch die Bürokratie, hat oft um seine Aufenthaltserlaubnis kämpfen müssen, hat am eigenen Leib gespürt, wie es ist, unerwünscht zu sein. Mittlerweile betreibt er mit seiner Familie eine Bäckerei, nebenbei hilft er in den Sportgeschäften seines Bruders aus. "Wir wurden in Deutschland dazu erzogen, dem Staat nicht zur Last zur fallen", sagt Matur. "So ist es im Leben, so ist es im Fußball."
Von den mehr als 100.000 Berlinern, die organisiert Fußball spielen, ist etwa ein Drittel ausländischer Herkunft, rund 20.000 stammen aus der Türkei. Mehr als ein Viertel aller Berliner Klubs haben einen migrantischen Hintergrund, inzwischen sind es 52 Vereine, 36 wurden von Türken ins Leben gerufen. Oft werden ethnische Klubs mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden sich vor der Mehrheitsgesellschaft abschotten. Mehmet Matur hat vieles probiert, um die Klubs in Berlin zu etablieren. Er hat Versammlungen abgehalten, Integrationsfeste veranstaltet, ein befristetes Spieleraustauschprogramm angeregt und Antigewaltkurse organisiert. Schließlich geht Gewalt auf dem Rasen auch von Migranten aus. "Auf ein großes Temperament oder eine gescheiterte Integration darf man das nicht reduzieren", sagt Matur. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die sich zu einem Berg auftürmen, und die dann einen Verein die Gemeinnützigkeit kosten: ungeöffnete Briefe vom Verband, missverstandene Anordnungen, fehlende Schiedsrichter, nicht bezahlte Strafen. "Viele Funktionäre sind die deutsche Ordnung nicht gewohnt", erklärt Matur. "In der Türkei gibt es keine gefestigten Breitensportstrukturen mit Ehrenämtern."
Cetin Özaydin kann das bestätigen. Er ist Krankenpfleger von Beruf, und irgendwie trifft diese Bezeichnung auch auf seine Tätigkeit bei Türkiyemspor zu. Der Fußballverein aus dem Berliner Bezirk Kreuzberg ist einer der bekanntesten Migrantenvereine Europas, seit 1978 bietet er nicht nur türkischen Einwanderern Vertrautheit und Kontakte, in der ersten Mannschaft sind sieben Nationalitäten vertreten. In den Nachwuchsteams treten Kinder aus ganz Europa gegen den Ball. Die meisten kommen aus den Bezirken Kreuzberg, Neukölln und Friedrichshain, wo etwa eine Million Menschen leben. Arbeitslosenquote und Kriminalitätsrate liegen über dem Durchschnitt. Der Fußball soll zur Integration beitragen, oft funktioniert das besser als in der Schule. Doch Türkiyemspor hat es nicht leicht, der Klub leidet unter den Angriffen von Rechtsextremisten - seit seiner Gründung vor dreißig Jahren. "Nach der Wende ist es am schlimmsten gewesen", sagt Özaydin. Als sich in Cottbus die Spieler Türkiyemspors einmal Richtung Kabine aufmachten, standen Jugendliche mit Baseballschlägern Spalier. Auf dem Rückweg wurde die Mannschaft von der Polizei bis zur Autobahn begleitet. Von solchen Geschichten könnte Cetin Özaydin Dutzende erzählen. Dass die Spieler bespuckt, beleidigt, mit Fladenbrot beworfen und mit Bier begossen werden, erwähnt er gar nicht mehr.
Cetin Özaydin, 42, geboren in der Türkei, aufgewachsen in Deutschland, leitet den Förderverein Türkiyemspors, gegründet von Fans, die den wöchentlichen Terror nicht schweigend in Kauf nehmen wollten. Jeden Tag muss er bei den Behörden nachfragen, ob das Training gesichert ist. Türkiyemspor hat keine eigene Anlage, die Spieler müssen sich in anderen Bezirken fit halten. Seit Jahren soll sich das ändern, versprechen Politiker, die in der Geschäftsstelle vorbeischauen, vor allem im Wahlkampf. "Chancengleichheit gibt es nicht", sagt Özaydin und macht mit seiner Hand eine abwinkende Bewegung. "Es ist ein Wunder, dass wir überhaupt existieren." Für sein Engagement wurde Türkiyemspor kürzlich mit dem Integrationspreis des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) geehrt.
Dem Verein steht ein Jahresetat von 100.000 Euro zur Verfügung. Der Klub hat es schwer, Sponsoren zu finden, vor allem deutsche Firmen engagieren sich woanders. Man ist auf Hilfe aus der Gemeinschaft angewiesen, auf Trikots eines spendablen Fans oder auf ein paar Kisten Wasser aus dem türkischen Geschäft um die Ecke. Der größte Teil des Budgets fließt in den Sport, in das Oberligateam und in die Nachwuchsabteilung. Was übrig bleibt, fließt in Sozialarbeit. Cetin Özaydin und seine Kollegen sind jeden Tag unterwegs - in Schulen, Kindertagesstätten, Jugendklubs, Vereinsheimen oder Moscheen. Türkiyemspor hat ein Netzwerk aufgebaut, mit Projekten gegen Rassismus oder Gewalt gegen Frauen. Für eine Initiative gegen Homophobie ließen sich die Spieler nackt fotografieren. "Die Mechanismen der Ausgrenzung sind immer gleich", sagt Özaydin, "ob es sich um Homosexuelle, Juden oder Türken handelt."
Tuvia Schlesinger kann dem nur zustimmen. In seiner Stimme schwingt Enttäuschung und Wut. Er sagt: "Wenn der Spaß verloren geht, wenn der Beruf darunter leidet, die Konzentration, der Schlaf, dann muss man über Rücktritt nachdenken." Schlesinger ist Präsident des Sportvereins TuS Makkabi. 1898 war in Berlin der erste jüdische Sportverein der Welt ins Leben gerufen worden, der Turnverein Bar Kochba, in dessen Nachfolge sich 1970 Makkabi gründete. Schlesinger hat oft überlegt aufzuhören. Immer wieder werden Mitglieder seines Klubs antisemitisch beleidigt. Am schlimmsten war es im September 2006. Neonazis hatten im Ostberliner Bezirk Altglienicke Spieler der zweiten Fußballmannschaft zutiefst beleidigt. "Synagogen müssen brennen", tönte es von der Seitenlinie. Makkabi verließ aus Protest den Rasen.
"Die Leute wissen nicht, was sie von sich geben", sagt Schlesinger. Makkabi vereint viele Nationalitäten und Religionen. "Wir bezeichnen uns nicht als Verein mit Immigranten-Hintergrund, wir sind ein deutscher Verein", betont Schlesinger. "Wir haben bloß einen anderen religiösen Hintergrund. Der Glaube ist kein Kriterium, wer bei uns spielen möchte, kann bei uns spielen." Das gilt für den gesamten jüdischen Sportverband Makkabi Deutschland, der 37 Vereine mit 3.000 Mitgliedern zählt.
Die Förderung von Integration im Sport ist ein mühsamer Kampf gegen Klischees, das weiß auch Gül Keskinler, ehrenamtliche Integrationsbeauftragte des DFB. Deshalb will sie regelmäßige Fortbildungsmaßnahmen etablieren, vor allem an der Basis. "Ein großes Ziel ist es, Sportler mit Migrationshintergrund für das Ehrenamt zu motivieren", sagt sie. Schließlich sind Integrationsbeauftragte in Sportverbänden und Vereinen bislang eine Seltenheit. Unterstützung erhält Keskinler durch das Projekt "Am Ball bleiben", das der Deutschen Sportjugend angegliedert ist, vom DFB und dem Familienministerium gefördert wird. Darüber hinaus werden auch immer mehr regionale Netzwerke gegründet. "Es ist ein wichtiger Anfang", sagt sie, "doch es muss weiter gehen. Eine der größten Herausforderungen des Sports ist die Integration."