VEREINSSPORT
Zwischen Kreisklasse und Champions-League liegen Welten, aber manchmal auch nur Meter. Wie in München
Spätestens als der Unbekannte sagte, er sei einmal Jugendnationalspieler Nigerias gewesen, witterte Michael Uhl einen Coup. Im Nu hatte er Aufnahmeschein und Passantrag parat. Die Situation war zu verlockend: Der FC Sportfreunde feiert gerade ein Sommerfest mit Jugendturnier, noch auf dem alten Vereinsgelände. Plötzlich kommt ein junger fremder Mann vorbei und sagt, er wolle beitreten, unbedingt. "Ich habe ihn gefragt: Warum? Er antwortete: Weil ihr die Besten seid", erinnert sich Uhl, der Präsident des FC Sportfreunde.
So etwas hört man natürlich immer gern. Als Uhl schon dabei war, die Papiere auszufüllen, sagte die Begleiterin und Dolmetscherin des Gastes, eine ältere Dame, das mit dem Geld sei erst mal nicht so wichtig. "Da habe ich mir gedacht: Das werden wir mal im Training sehen, ob wir ihm Fahrgeld zahlen", sagt Uhl.
Heute gibt er gern zu, dass er damals, vor etwa zehn Jahren, ein bisschen schwer von Begriff war. Der junge Mann wollte natürlich nicht für den kleinen FC Sportfreunde spielen, einen Verein mit heute etwa 360 Mitgliedern, dessen einzige Erwachsenen-Mannschaft in der zweituntersten Liga Münchens kickt. Das wunderliche Gespann hatte sich verlaufen, es wollte nicht zur Säbener Straße 59, wo der FC Sportfreunde seine Heimat hat, sondern zur Hausnummer 51, zum großen FC Bayern. Der Nigerianer wollte sich dort um einen Platz in der zweiten Mannschaft bewerben. "Die Frau hätte doch sehen müssen, dass ich nicht der Hoeneß bin", sagt Uhl. Wie die Geschichte des jungen Afrikaners weiterging, weiß man nicht. Dessen Namen hat Uhl längst vergessen. Beim FC Bayern jedenfalls fand er sein Fußballer-Glück nicht. Aber immerhin schmückt seitdem eine weitere nette Anekdote diese lange Geschichte einer besonderen Nachbarschaft.
Seit der Nachkriegszeit hat der FC Sportfreunde, ein rein breitensportlich orientierter Fußballverein, seine Heimat auf dem gleichen Sportgelände im Stadtteil Harlaching wie die Fußballabteilung des FC Bayern, einem mittelständischen Betrieb aus der Unterhaltungsbranche. "Berührungspunkte haben wir eigentlich keine", sagt Uhl. Aber je länger Uhl erzählt, desto deutlicher wird, dass das nicht ganz stimmt.
Es fliegen zum Beispiel immer mal Bälle von den Bayern herüber. "Früher haben wir die meistens zurückgeschossen", erzählt Uhl. "Aber irgendwann hat der Augenthaler gesagt: Behaltet's die doch." Das war in den 1980er-Jahren, Klaus Augenthaler war Nationalspieler damals. Heute kommt der Sicherheitsdienst und sammelt die Bälle wieder ein. Ein anderes Mal kam Lothar Matthäus auf ein Weißbier bei den Sportfreunden vorbei. Nur Geld hatte er gerade keins dabei. "Ich zahle nächste Woche", sagte der Fußballprofi. Er hielt Wort.
In den vergangenen Jahren hatten beide Vereine sogar eine sozusagen geschäftliche Verbindung, wenn auch über den Umweg der Stadtverwaltung, der das ganze Areal an der Säbener Straße gehört. Der FC Sportfreunde kämpfte schon seit den 1970er-Jahren um einen neuen Sportplatz. Zwar sind die Sportfreunde privilegiert: Sie haben eine Heimat, einen Ort, an dem das Herz des Vereins schlägt. Andere Vereine dieser Größe müssen darum kämpfen, auf einer der überlasteten Bezirkssportanlagen unterzukommen. Aber dort ist wenigstens die Infrastruktur halbwegs intakt. Auf dem alten Gelände der Sportfreunde wuchs der Rasen im Sommer nur stellenweise, den Rest buk die Sonne zu einem betonharten Panzer, im Herbst wurde daraus eine Sumpflandschaft. Das Vereinsheim war eine viel zu kleine, grün lackierte Bretterbude. Doch 30 Jahre lang passierte nur wenig. Der FC Sportfreunde war einer von zahllosen Vereinen, die Ansprüche an die Stadt stellten, wie so vielerorts in der Republik.
Schließlich hatte die Sportfreunde aber einen Vorteil: den großen Nachbarn. 2002 beschloss der FC Bayern, die Vereinszentrale entscheidend zu vergrößern. Geld war nicht das Problem. Der Platz schon. Die Sportfreunde gaben einen Teil ihres Geländes ab. Dafür traten die Bayern gegenüber der Stadt mit gut 2 Millionen Euro in Vorleistung, um den Bau eines neuen Platzes und eines gemauerten Vereinsheims für den kleinen Nachbarn zu ermöglichen. Im August 2007 feierten die Sportfreunde das Eröffnungsfest, und auch Karl Hopfner, Finanzvorstand des FC Bayern, war zu Gast.
Jetzt steht Günther Gandl an einem Frühlingsmittag auf der Terrasse des Vereinsheims und kann einen Moment durchatmen. Es ist ein Feiertag, aber Gandl ist schon seit acht Uhr morgens da. Drüben, hinter dem Zaun, haben die Jugendmannschaften der Sportfreunde ihre Spiele, eine nach der andern, bis 15.30 Uhr. Im Moment ist die zweite D-Jugendmannschaft zu Gange. Ein Elfjähriger mit blonder Mähne hat gerade sein zweites Tor geschossen und läuft mit ausgebreiteten Armen in Richtung Außenlinie, im Jubeln ist er, wie so viele Jungs, schon ein Großer. Am Ende steht es 7:0. Gandl verfolgt den Triumph nur aus der Ferne. Zu viel zu tun. Er ist 66 Jahre alt und seit 30 Jahren Jugendleiter bei den Sportfreunden. Aber er ist guter Dinge zurzeit. Seine Abteilung wächst und wächst. 220 der Vereinsmitglieder sind Jugendliche. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist wohl der neue moderne Kunstrasenplatz. Die Kinder kommen nicht mehr ständig mit blutig geschlagenen Knien nach Hause.
Solche Probleme hat der FC Bayern nicht. 1995 hat der größte deutsche Fußballverein seine Jugendarbeit vom Breitensport abgekoppelt und konzentriert sich auf die Talentförderung. 165 Kinder und Jugendliche dürfen hier kicken, allesamt sorgsam "gescoutet", wie es im Fußballjargon heißt. "Ab und zu kommen auch mal Eltern mit ihren Kindern vorbei. Aber einfach ein Anmeldeformular auszufüllen, das geht bei uns nicht", sagt Werner Kern, Jugendleiter des FC Bayern. Er hat 40 Mitarbeiter, die Hälfte davon sind hauptamtlich. Über das Budget der Abteilung schweigt er. Es beträgt aber auf jeden Fall mehrere Millionen. Teil der Bayern-Jugendarbeit ist auch ein Internat. 13 Fußballer aus entfernteren Regionen der Republik und dem Ausland wohnen dort. Um die Anziehungskraft seiner Jugendabteilung auf deutsche Spieler muss sich der deutsche Rekordmeister keine Sorgen machen - so ähnlich wie der FC Sportfreunde.
Und doch sind die Funktionen der Jugendarbeit ganz andere. Der FC Bayern hat 2002 seine Fußballabteilung in eine AG ausgegliedert. 90 Prozent davon hält der e.V., der auch noch sieben Breitensportabteilungen unterhält. Der Rest wurde für 77 Millionen Euro an Adidas verkauft. Ein Börsengang ist nicht geplant. Ein dreiköpfiger Vorstand führt das Unternehmen: Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß und Karl Hopfner, dem Mann fürs Finanzielle. Im Geschäftsjahr 2006/2007 machte die AG 225,8 Millionen Euro Umsatz und einen Gewinn von 18,9 Millionen Euro. Werner Kern ist sozusagen der Chef der Bayern-Azubis.
Der FC Sportfreunde wirtschaftet mit knapp 20.000 Euro im Jahr und darf keinen Gewinn machen - was eine leicht zu erfüllende Aufgabe ist. Doch was muss er dafür leisten? Uhl grübelt und schaut sein halbvolles Weißbierglas an. Der 48-Jährige hat schon 19 Jahre als Vereinspräsident hinter sich, aber er ist nicht der Typ, der an dieser Stelle zu einem sportsoziologischen Referat ansetzen würde. Er verdient sein Geld im Außendienst. "Es geht darum, Kindern Fairness gegenüber dem Gegner beizubringen. Integration von Ausländern ist natürlich auch ein Thema." Wichtige Aspekte zweifelsohne. Aber etwas später schimmert durch, was für Uhl den Kern eines Breitensportvereins ausmacht. Es ist der Moment, als er darüber spricht, was nicht mehr so ist wie früher: "Als ich noch gespielt habe, ist man nach dem Spiel zusammen sitzen geblieben, hat Karten gespielt und Fußball oder Formel 1 geschaut. Da war man den ganzen Sonntag hier. Heute verschwinden die meisten gleich nach dem Duschen."
Günther Gandl, der Jugendleiter, nennt den FC Sportfreunde seine "zweite Familie". Das zu sagen bedeutet für ihn kein Risiko: Seine Frau verbringt schließlich auch einen guten Teil ihrer Zeit im Verein. Neben ihm sitzt nun Herbert Schiller, der Kassierer. Wenn ein Forscher Schillers DNA entschlüsseln würde, könnte er eine kleine Entdeckung machen: das FC-Sportfreunde-Gen. Schiller ist in dritter Generation Klubmitglied. Sein Großvater hat den Verein nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebt. Und die zwei Söhne des 41-Jährigen sind natürlich auch schon dabei.
Die drei, Uhl, Gandl und Schiller, haben ihre Bande zum Verein in einer Zeit geknüpft, als das Wort von der Dienstleistungsgesellschaft noch keine Rolle spielte. "Heute wird der Verein eben eher für das Sportliche genutzt, der gesellige Faktor ist nicht mehr so wichtig", sagt Uhl. Aber Gandl und Schiller sehen Ansätze, dass das Vereinsleben auflebt. "Durch das neue Vereinsheim kommen schon mehr Leute. Das muss wachsen", sagt Schiller. Es wäre ein Wachstum wider den gesellschaftlichen Trend - viele wollen sich eben nicht binden.
Bald hat Uhl wieder so einen Berührungspunkt mit dem FC Bayern. Wenn dort die Eröffnung des Neubaus ansteht, ist er eingeladen. Es ist ein knapp Bau von zweifelhaftem architektonischem Wert. Uhl wird sich dann mit leichtem Widerwillen eine Krawatte umbinden und den Bau von innen sehen dürfen, die neuen Geschäftsstellenbüros, die eigene Arztpraxis und vielleicht auch schon Teile der Freizeitlandschaft für die Spieler, die auf Wunsch des neuen Trainers Jürgen Klinsmann geschaffen wird. Dafür musste unter anderem die Vereinsgaststätte "Insider" weichen. Michael Uhl merkte gleich auf, als er davon hörte.
Vielleicht würde es ja dann eine Chance für eine Gaststättenlizenz geben. Die wurde dem FC Sportfreunde für seinen neuen, 60 Quadratmeter großen, mit Theke und Leinwand ausgestatteten Gemeinschaftsraum nämlich von der Stadt verweigert, wegen Anwohnerschutz und so. Im Moment darf der FC Sportfreunde nur Mitglieder bewirten. Einnahmen aus einer Wirtschaft würden dem Verein gut tun. "Ich habe bei der Stadt nachgefragt", erzählt Uhl. "Aber die Bayern lassen die Konzession nur ruhen. Keine Chance." Doch er hat schon eine Idee, wie er die Vereinskasse ordentlich füllen könnte. 2012 wird der FC Sportfreunde 100 Jahre alt. Das gibt ein großes Fest. Als zuschauerträchtigen Höhepunkt wünscht sich Uhl ein Freundschaftsspiel - gegen den großen Nachbarn.