Sportwetten
Das Geschäft mit der Lust am Spiel hat zwei Seiten. Eine gute und eine schlechte. Gut 3 Milliarden Euro staatlicher Einnahmen fließen jährlich in soziale und kulturelle Projekte. Aber es wird auch wild manipuliert
Es war ein herrlicher Tag im Januar, die Vögel zwitscherten im Garten von Maggies Guest House, reife Bananen hingen an den Palmen und der Duft des nahen Meeres wehte herüber. Hier, am Rande des ghanaischen Hafenstädtchens Takoradi, residierte der deutsche Fußballtrainer Reinhard Fabisch mit seinem Team, der Nationalmannschaft des Benin. Er freute sich auf den Afrika-Cup, das größtes Turnier seiner Trainerlaufbahn, bis ein dubioser Mann das Idyll störte.
"Es war jemand von einer Wettorganisation aus Singapur", erzählt Fabisch, "er hat gefragt, ob ich zu mindestens zwei Spielern im Team ein Vertrauensverhältnis habe, um mit ihnen eine Absprache zur Spielmanipulation treffen zu können." Am besten seien der Torhüter und ein Verteidiger, auch ein Preis sei genannt worden. "Ein Elfmeter gegen uns sei ihm 20.000 US-Dollar wert", berichtet Fabisch. Er hat den Mann hochkant aus dem Hotel geworfen, den Vorfall öffentlich gemacht.
Es dürfte sich um eine Szene gehandelt haben, wie sie sich häufig ereignet - hinter der glamourösen Fassade der Sportwelt. Im Tennis, wo sich praktisch unsichtbar betrügen lässt, gehört es offenbar zum Alltag, dass windige Personen versuchen, Spieler zu Manipulationen zu überreden. Der argentinische Profi Vassallo Arguello beklagte jüngst, dass eine "Kultur des gegenseitigen Belauerns" entstanden sei: "Das hat Ausmaße wie bei der Stasi. Keiner kann keinem mehr trauen."
Schnell dringt angesichts solcher Berichte die Erinnerung an Robert Hoyzer hervor, doch wahrscheinlich ist der bestochene DFB-Schiedsrichter Opfer ziemlich ungeschickter Hintermänner. Denn wer wirklich Wetten mit bestechlichen Protagonisten gewinnen möchte, findet jenseits des medial ausgeleuchteten Milliardengeschäfts der großen europäischen Fußballligen weitaus günstigere Bedingungen vor - in Afrika beispielsweise oder in den ehemaligen Sowjetstaaten. Auch Polen, wo im April mehr als 100 Spieler, Schiedsrichter und Funktionäre aufgrund konkreter Korruptionsvorwürfe vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen wurden, ist offenbar ein interessantes Spielfeld. Mindestens 29 Vereine, darunter fast alle Erst- und Zweitligisten, sollen in den Skandal im Land des Fußball-EM-Gastgebers von 2012 verstrickt sein.
Ein Schatten, der gern verdrängt wird, liegt über dem Sport, und es gibt kaum ein wirksames Gegenmittel. Auch mit dem in Deutschland existierenden staatlichen Wettmonopol, das mit dem zu Jahresbeginn in Kraft getretenen Glücksspielgesetz zementiert wurde, ist dieser internationalisierten Kriminalität nicht beizukommen. Der Bremer Professor Gerhard Meyer, der seit Jahren über Glücksspiele forscht, sagt, "einer Analystenschätzung zufolge haben die Deutschen 2005 3,65 Milliarden Euro für Sportwetten ausgegeben". Nur 431 Millionen davon setzte der staatliche Anbieter Oddset um.
Das Zentrum des Betrugs liegt offenbar in Asien. Anders als in Europa, wo Spieler sich auch bei nichtstaatlichen Anbietern meist ausweisen müssen, die Einsätze streng limitiert sind und Kontrollinstanzen wie "Betradar" auffällige Quotenbewegungen innerhalb von Sekunden melden, gibt es östlich des Urals nur sehr laxe Beschränkungen.
Der Spiegel schrieb im Dezember 2007: "Zwar gibt es auch in Asien Höchsteinsätze. Nur: Diese Limits liegen häufig bei 30.000 bis 40.000 Euro, und man kann diesen Betrag beliebig oft setzen. Das Geld platzieren in der Regel so genannte Agenten. Ihre Hintermänner, die via Mobiltelefon auch von Europa aus den Kontakt halten und ihrerseits aus unterschiedlichen Kanälen Wettgeld einsammeln, bleiben im Dunkeln."
Die Befürworter der staatlichen Kontrolle lassen sich jedoch nicht von diesen typischen Merkmalen einer globalisierten Welt beirren. Sie verweisen vor allen Dingen auf das Suchtpotenzial, das Sportwetten hätten. Weil sich der deutsche Wettmarkt derzeit weitgehend in staatlicher Hand befindet, sei nur eine kleine Minderheit innerhalb der Gesellschaft abhängig, glaubt denn auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Bernd Heynemann, ehemaliger Bundesligaschiedsrichter. "So wie wir theoretisch auch an Rauschgift kommen, können Sie Ihre Wetten machen", sagt er. "Aber es gibt nicht an jeder Ecke Rauschgift zu kaufen, die Normalisierung solcher Sachen erhöht die Gefahr, verführt zu werden."
Diese These wird von einer Studie des schweizerischen Bundesamtes für Justiz der Eidgenössischen Spielbankenkommission gestützt. "Dort hat sich gezeigt: Wo es viele Wettmöglichkeiten auf der Straße gibt, da sind auch besonders viele Leute abhängig", erläutert Ilona Füchtenschnieder, Vorsitzende des Fachverbandes Glücksspielsucht in Deutschland. Eine Verknappung des Angebots sei die wirkungsvollste Prävention, meint sie. "Schon bei den bestehenden Anbietern liegt so viel im Argen, da kann man nicht das Angebot noch erweitern. Damit holt man sich das soziale Elend ins Haus."
Allerdings betont Füchtenschnieder, dass nicht die Sportwette das gefährlichste Glücksspiel sei, sondern die Automaten in den Spielhallen. Und die zählen kurioserweise nicht zu den Glücksspielen, sie gelten als Unterhaltungselektronik.
Ungewollt liefert sie Argumente für private Wettanbieter. Dort heißt es immer wieder, es sei gar nicht die Sportwette, von der die Hauptgefahr ausgehe. "Wir haben schon 2003 eine Studie mit der Harvard Medical School aufgesetzt", sagt Manfred Bodner, Vize-Chef Onlinewettanbieters bwin. "Dort werden über 40.000 Spieler beobachtet, und die ersten Ergebnisse zeigen, dass im Sportwettenbereich weit unter einem Prozent der Spieler als suchtgefährdet eingestuft werden kann", erläutert der Österreicher.
Er wird nicht müde, zu betonen, dass es sich um ein "reines Unterhaltungsgeschäft" handle. Tatsächlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass eine Wette, den Reiz einer Sportübertragung im Fernsehen erheblich steigern kann. Auch weil das Gefühl nicht nur mit Glück, sondern vielmehr mit sportlichem Sachverstand gewinnen zu können, erheblich befriedigender empfunden wird, als etwa ein Dreier im Lotto. Weil die Wettbewerbskommission der EU das Monopol der Staatswette für rechtswidrig erklärte, und Verbände wie die Deutsche Fußball Liga, die auf das Sponsoring der privaten Anbieter hofft, mit Klagen gegen das neue Glücksspielgesetz drohen, ist sich Bodner sicher: "Die Deregulierung des Marktes ist unausweichlich." Der Unternehmer hat ohnehin Zweifel, dass die Angst vor Abhängigkeit oder Manipulationen der wahre Grund für die staatliche Intervention ist.
Es gehe wie so oft ums Geld, glaubt Bodner. Das staatliche Glücksspiel, zu dem neben dem Sportwettenanbieter Oddset auch das lukrative Lottogeschäft gehört, führen rund die Hälfte ihrer Einnahmen an den Staat ab. Deutlich über 3 Milliarden Euro fließen aus diesen Töpfen jedes Jahr in soziale und kulturelle Projekte. Aus Angst, diesen Goldesel zu verlieren, sei die Hemmschschwelle, das Sportwettengeschäft zu privatisieren enorm hoch - auch wenn dieses Segment nur einen Bruchteil des staatlichen Glücksspielumsatzes ausmacht.
Wenn dieser Pfeiler des Sozialstaates einbricht, geht der Gesellschaft wohl tatsächlich eine finanzielle Stütze verloren. Auch im Kern der Diskussion um Sportwetten geht es also um zentrale Fragen: Wie viel Staat brauchen wir? Wie viel Eigenverantwortung kann den Menschen zugetraut werden? Welcher Schaden entsteht durch ausschließlich an Gewinnmaximierung ausgerichteten Interessen?