LISSABON-VERTRAG
Bundesrat stimmt für EU-Reformvertrag. Berlin enthält sich der Stimme
Die portugiesische Hauptstadt Lissabon gilt als Hochburg der traurigen Lieder. Und nichts verkörpert den besungenen Seelenschmerz besser als der Fado, das traditionelle portugiesische Liedgut. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Schicksal.
Auch wenn es am Morgen des 23. Mai im Bundesrat bei der Abstimmung über den Vertrag von Lissabon nicht mehr um das Schicksal der Europäischen Union ging, dürfte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) den Plenarsaal nicht wirklich unbeschwert betreten haben. Nachdem der Reformvertrag - als er noch den Namen EU-Verfassung trug - schon EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso, diversen Staats- und Regierungschefs und vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) viel Kopfzerbrechen bereitet hatte, dürfte das Vertragswerk auch Klaus Wowereit ein paar zusätzliche graue Haare beschert haben: Denn während sich die SPD und die Oppositionsfraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses für die Ratifizierung des Vertrages im Bundesrat aussprachen, hatte Die Linke, der Koalitionspartner der SPD, auf eine Enthaltung gedrungen.
Bereits bei der Abstimmung am 24. April im Bundestag hatte die Linke geschlossen gegen das Vertragswerk votiert. Ihrer Meinung nach ist der EU-Vertrag arbeitnehmerfeindlich und stellt eine Militarisierung der europäischen Außenpolitik dar. Auch die Berliner Linke wollte daher im Bundesrat nicht zustimmen und verlangte auch von Wowereit, den Vertrag nicht zu billigen. Ihre Begründung: Der Koalitionsvertrag sehe vor, dass sich das Land bei Unstimmigkeiten, wie abgestimmt werde, enthalten müsse.
Auch wenn die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit für die Annahme des Gesetzes zum Vertrag von Lissabon (275/08), die dafür notwendige Änderung des Grundgesetzes (275/1/08) und das Begleitgesetz zur Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates zu keinem Zeitpunkt gefährdet waren, wurde die Abstimmung am Freitagmorgen mit Spannung erwartet. Wowereit ließ nicht einen Senatsvertreter der Linken an seiner Seite Platz nehmen, sondern Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD). Sie war es dann auch, die für Berlin bei der Abstimmung ein nur schwer verständliches "Enthaltung" murmelte.
Dieses kleine Wörtchen hatte Berlin Bürgermeister vor der Abstimmung in eine echte Zwickmühle gebracht: mit einer Zustimmung zum Vertrag hätte der Koalitionsfrieden schief gehangen. Aber auch die Alternative einer Erhaltung stellt Wowereit gleich vor eine ganze Reihe von Schwierigkeiten. Bereits Tage vor der umstrittenen Bundesratssitzung wurde ihm vorgeworfen, dass eine solche Entscheidung bedeuten würde, in einer "zentralen Frage" vor dem kleineren Koalitionspartner einzuknicken. Und Bundespolitiker der CDU und der Grünen kritisierten, es sei ein "verheerendes Signal", wenn sich Berlin als Bundeshauptstadt gegen das europäische Vertragswerk ausspreche. Kein bundespolitisches Ruhmesblatt für Wowereit, dem nachgesagt wird, dass er eines Tages gerne vom Roten Rathaus in den Bundestag oder sogar ins Kanzleramt umziehen würde.
Erst einmal musste er sich aber im Bundesrat die Schelte des hessischen Staatsministers Volker Hoff (CDU) anhören. "Es wäre fatal, wenn eine europafeindliche Stimmung Politik gestalten würde", sagte Hoff. Er wies darauf hin, dass der Vertrag von Lissabon zukünftig "noch mehr zur Innenpolitik" werde. Dabei hob er die mit dem Begleitgesetz vergrößerten Rechte von Bundestag und Bundesrat hervor, insbesonders die neu geschaffene Subsidiaritätsrüge und Subsidiaritätsklage. "Wir werden sie am Ende auch nutzen müssen", mahnte er.
Die Stärkung der Subsidiarität - des Prinzips, das besagt, dass der EU nur Aufgaben übertragen werden sollen, die nicht auf anderen nationalen Ebenen besser wahrgenommen werden können - stellt auch nach Auffassung des bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein (CSU) einen "Paradigmenwechsel" dar. "Wir wollen Wächter der Subsidiarität sein", sagte Beckstein. Dies sei auch im Interesse der Menschen, denn "die Bürger wollen keinen europäischen Superstaat, sie wollen ihre nationale Identität", sagte Beckstein.
Der neue Vertrag von Lissabon ermöglicht es den Staaten, bei vermeintlichen Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip sowohl eine Rüge auszusprechen, als auch Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu erheben. Die damit verbundene Stärkung der Rechte der nationalen Parlamente nannte auch Gernot Erler (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt eine der zentralen Verbesserungen des Vertragswerkes. Daneben zählt er das ordentliche Gesetzgebungsverfahren als Regelfall, die Einführung des Prinzips der doppelten Mehrheit ab 2014 sowie die Einführung des Amtes eines Hohen Kommissars für die Außenpolitik als weitere wichtige Schritte des EU-Reformvertrages auf.
Er warf aber auch einen Blick zurück und erinnerte daran, dass es noch 2007 "große Zweifel" gegeben habe, ob es gelingen würde den "(Reform)prozeß wieder in Gang zu bringen". Deutschland hat mit der Entscheidung für den Vertrag als 14. Land der Ratifizierung zugestimmt. Einem Vertragswerk, dass die politischen Entscheidungen in den nächsten Jahren weitreichend prägen wird. Dazu passte auch das symbolträchtige Datum: Am 23. Mai vor 59 Jahren unterzeichnete der Parlamentarische Rat das Grundgesetz - die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland.