mazedonien
Die Regierungspartei hat die Parlamentswahl haushoch gewonnen. Blutige Gewalt überschattet die Freude darüber
Ein balkanisches Paradox: Obwohl die Parlamentswahl in Mazedonien formal für überaus klare Verhältnisse gesorgt hat, herrscht Unklarheit in dem kleinen Balkanstaat. Der Ministerpräsident und strahlende Wahlsieger Nikola Gruevski, dessen Parteienbündnis laut dem vorläufigen Endergebnis 48,2 Prozent der Stimmen und damit auch eine absolute Mehrheit der Sitze im neuen Parlament gewann, kann seinen Triumph nicht unbeschwert auskosten. Denn das Ergebnis der Abstimmung vom 1. Juni geriet angesichts ihres zum Teil gewalttätigen Ablaufs vorübergehend zur Nebensache.
Die Aufmerksamkeit galt vielmehr den Auseinandersetzungen zwischen den beiden um Stimmen der Albaner Mazedoniens ringenden Parteien. Etwas mehr als ein Viertel der gut zwei Millionen Einwohner des Landes gehören zur albanischen Bevölkerungsgruppe. Im Parlament lassen sie sich durch die Demokratische Union für Integration (BDI) und die Demokratische Partei der Albaner (PDSh) vertreten. Die Führer dieser Parteien lieferten sich in diesem Jahr nicht zum ersten Mal einen erbitterten Machtkampf, Blutvergießen inklusive. Bei Schießereien und anderen Zusammenstößen in albanisch dominierten Gebieten des Landes gab es am Wahltag mehrere Verletzte, in dem Ort Aracinovo unweit der Hauptstadt Skopje gar einen Todesfall.
Der wichtigste Grund für den Machtkampf jenseits der demokratischen Spielregeln liegt in der Struktur der beiden "Albanerparteien". Es lässt sich schwerlich behaupten, dass sie sich ideologisch voneinander unterscheiden, auch wenn sie verschiedene Ursprünge haben: Die BDI ist die Partei des ehemaligen Freischärlerführers Ali Ahmeti, die von einstigen albanischen Befehlshabern der Kämpfe des Jahres 2001 geprägt ist. Damals brachten die albanischen Freischärler den Balkanstaat an den Rand eines Bürgerkrieges, konnten aber durch internationale Vermittlung zur Räson gebracht werden. Die ältere Partei der Albaner Mazedoniens, die PDSh, hat sich seit dem Auftauchen der BDI allerdings ebenfalls radikalisiert.
Beide Kräfte werden in der Erwartung gewählt, dass sie ihren Anhängern im Falle eines Wahlsiegs Arbeitsplätze und Privilegien vermitteln. Daher ist ein Zugang zu den staatlichen Töpfen für diese Parteien fast unverzichtbar - denn wer in der Opposition ist, kann seinen Anhängern nichts bieten und verliert sie an den Konkurrenten.
Da die BDI bei den letzten Kommunalwahlen in den mehrheitlich albanischen Gegenden des Landes praktisch alle Rathäuser gewann, stand vor allem die PDSh bei der Parlamentswahl mit dem Rücken zur Wand.
Ein neuer Einbruch hätte eine existenzielle Bedrohung für sie bedeutet, da die stärkere der beiden albanischen Parteien auch den Anspruch erhebt, an der Koalitionsregierung in Skopje beteiligt zu werden. Tatsächlich ging das inneralbanische Rennen fast unentschieden aus: Die PDSh schlug sich, laut Aussagen von Beobachtern, nicht zuletzt dank massiven Wahlbetrugs, überraschend gut und erhielt 10,5 Prozent der Stimmen. Die BDI kam auf 11,1 Prozent.
Doch noch ist das Rennen nicht vorbei, da die Wahl in einigen der von Unruhen betroffenen Gebieten abgebrochen wurde und am 15. Juni wiederholt werden wird. Dann wird das Ergebnis erst recht Nebensache sein - denn alle, nicht zuletzt die EU, werden auf den Verlauf der Wahl achten. Der EU-Außenpolitikbeauftragte Javier Solana hat die Zwischenfälle in Mazedonien bereits ernsthaft gerügt: Er sei "enttäuscht", besonders "über das Versäumnis, Gewalttaten in den albanischen Gegenden zu verhindern".
Obwohl die erzwungene Zusatzrunde an den Mehrheitsverhältnissen nichts ändern wird, will Ministerpräsident Gruevski erst nach der Teilwiederholung der Wahl mit Koalitionsgesprächen beginnen. In jedem Fall bleibt sein Sieg durch einen Schatten verdunkelt, den andere werfen.