Lobbyismus
Wie Unternehmen und Verbände in den Ministerien an Gesetzen mitwirkten
Ursprünglich steckte hinter dem während der rot-grünen Regierungszeit installierten "Austauschprogramm Öffentliche Hand - Privatwirtschaft" eine gute Idee. Schreibtischwechsel zwischen Politik und Wirtschaft sollten Alltagsnähe in politische Vorhaben bringen und umgekehrt, Unternehmen das Behördendenken vermitteln. Diesen durchaus vernünftigen Ansatz rechtfertigt Regierungssprecher Thomas Steg bis heute als "präventive politische Kultur". Doch in dem System "Seitenwechsel" haben sich undurchsichtige Strukturen mit fragwürdigen Auswüchsen herausgebildet.
In dem flott, manchmal leicht aufgedreht geschriebenen Buch "Der gekaufte Staat" prangern die investigativen Fernsehjournalisten Sascha Adamek und Kim Otto diese Verformungen an.
Ihre Enthüllung wird Folgen haben: Die unerwünschten und untragbaren Zustände werden, wenn schon nicht beseitigt, so doch immerhin kontrollierbar begrenzt. Soeben kündigte die Bundesregierung eine Verwaltungsvorschrift an, mit der die Tätigkeit "externer Beschäftigter" in Ministerien auf eine rechtliche Grundlage gestellt wird.
Seit 2004 sind insgesamt rund 300 Abgesandte von Unternehmen und Verbänden zeitweise in Bundesministerien untergeschlüpft. Dort formulierten sie im Sinne ihrer Auftraggeber, die übrigens die meisten von ihnen fortbezahlten, an Gesetzen mit. Dieses Verfahren ist vom Bundesrechnungshof gerügt wurden: Es berge "rechtliche Risiken" und sei "nicht ausreichend transparent", steht in einem auf der Website der Linken-Abgeordneten Gesine Lötzsch veröffentlichten Gutachten (Drucksache Nr. 4311 des Bundestags-Haushaltsausschusses). Der Rechnungshof empfiehlt darin einen "einheitlichen Verhaltenskodex".
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Peter Altmaier (CDU), hat versichert, solche Beschäftigungsverhältnisse sollten "die Ausnahme" bleiben, und es habe "bisher keine Missbräuche" gegeben. Die von Adamek und Otto aufgedeckte Wirklichkeit sieht aber nicht so harmlos aus.
Von 2004 bis 2006 haben im Jahresdurchschnitt 88 bis 106 Lobbyisten in Ministerien an Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt - und zwar auch an solchen, die ihre Auftraggeber betrafen. Ausnahmen sind das also nicht. Was im Rechnungshof-Bericht anonymisiert ist, wird bei Adamek und Otto, die darüber schon mehrere Beiträge für das ARD-Magazin "Monitor" verfasst hatten, beim Namen genannt.
Ein von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse ins Bundesgesundheitsministerium abgestellter Mitarbeiter kopierte interne Unterlagen für die DAK - ein krasser Missbrauchsfall. Eine Angestellte des Bundesverbands deutscher Investment-Gesellschaften (BVI) nahm im Bundesfinanzministerium auf ein Steuergesetz Einfluss, ein Fraport-Manager tat im Bundesverkehrsministerium Dienst - zweifellos liegt hier eine "Vermischung öffentlicher Dienstpflichten und privatwirtschaftlicher Interessen" vor, wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer zitiert wird. Weitere Beispiele dafür: Osteuropa-Experten der Energiekonzerne Eon und Wintershall wurden im Auswärtigen Amt platziert, ein BASF-Vertreter durfte sich in die Erarbeitung der EU-Chemikalienrichtlinie einschalten, Fachleute des Bundesverbands öffentlicher Banken und der Deutschen Börse AG feilten im Finanzministerium an Gesetzestexten mit, und eine Frau aus der allerorten umtriebigen Bertelsmann-Stiftung beriet den politischen Planungsstab des Gesundheitsministeriums. Sie alle hatten Einblicke in Entscheidungsabläufe und Zugang zu Informationsflüssen, die sie nutzen konnten.
Eine "dubiose Schattenregierung", wie die beiden Buchautoren dick auftragen, ist das allerdings noch lange nicht, und die Demokratie gerät deshalb nicht gleich ins Wanken. Aber die Ertappten sind aufmerksam geworden und scheinen einsichtig. Insofern war die Recherche ein feiner journalistischer Erfolg.
Der gekaufte Staat.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008; 304 S., 19,95 ¤