Bevor unsere Tochter Caroline im April 2007 zur Welt kam, war die Elternzeit für mich eher eine theoretische Möglichkeit. Meine Frau und ich hatten zwar darüber gesprochen, dass wir uns mit dem Baby abwechseln wollten, aber nur wenig konkret. Denn die Schwangerschaft war bis zuletzt risikobeladen. Auch mit meinem Arbeitgeber, einem Krankenhaus im Ruhrgebiet, hatte ich nicht über diese Option gesprochen.
Carolines Geburt war überwältigend. Zwar hatte ich in der ärztlichen Ausbildung Geburten erlebt; aber wenn es dein eigenes Kind ist, ist das natürlich ergreifender. Danach hatte ich drei Wochen Urlaub. Das große Glück, spät Eltern geworden zu sein, wurde mir da richtig bewusst. Auf den Spaziergängen mit Caroline im Kinderwagen fasste ich meinen Entschluss: "Ja, jetzt bist Du reif für die Elternzeit." Zum einen wollte ich meine Frau nicht alleine lassen; zum anderen wollte ich in meine Rolle als Vater hineinwachsen. Es gab auch Tipps von Freunden, die Elternzeit doch später zu nehmen, wenn das Kind schon mehr mitkriegt und man als Vater vielleicht noch gefragter ist, aber mir war Carolines Start ins Leben und unser Start als Familie besonders wichtig.
Als Caroline vier Wochen alt war, habe ich meinem Arbeitgeber meine Entscheidung mitgeteilt. Ich bin auf ein verhaltenes Echo gestoßen, vielleicht auch, weil ich meinen Entschluss wenig diplomatisch vorgetragen habe. Ich habe darauf vertraut, bei einem konfessionellen Arbeitgeber auf ein gewisses Verständnis zu treffen.
In unseren Familien waren die Reaktionen geteilt: Meine Schwiegereltern waren überrascht und auch besorgt, ob das nicht meiner Karriere schade; die gleichen Bedenken hatte mein Vater. Viele Kollegen haben mir Respekt ausgesprochen. Das Elterngeld gab uns eine gewisse Sicherheit, doch wichtiger war die öffentliche Debatte, die rund um die Einführung des Elterngeldes und der Vätermonate eingesetzt hatte; die Stimmung war ermutigend.
Neun Wochen nach Carolines Geburt begann meine Elternzeit. So viel Zeit zusammen hatten meine Frau und ich noch nie. Caroline bekam bald zusätzlich zum Stillen die Flasche, und es war für mich eine wunderbare Erfahrung, sie satt zu kriegen. Wir haben sie zusammen gebadet, Anderes haben wir so aufgeteilt, dass Freiraum für jeden einzelnen entstand.
Ich habe die Zeit nebenher auch beruflich genutzt. Ende Oktober habe ich eine Prüfung im Schwerpunkgebiet Angiologie (Gefäßheilkunde) abgelegt. Ich habe den Sommer hindurch auch ein paar Stunden am Tag gelernt. Als ich meinem Arbeitgeber das mitteilte, wendete sich das Blatt: Der anfängliche Ärger über den Wennemann, der angeblich nur noch Babynahrung im Kopf hätte, verflog, und mir wurde eine Oberarzt-Stelle angeboten, die ich schon länger angestrebt hatte.
Meine beste Erfahrung während der Elternzeit war, unser Kind selbständig versorgen zu können. Das hat mir großes Selbstbewusstsein als Vater gegeben. Meine Frau hat mir viel Verantwortung überlassen. Jetzt, wo ich wieder bei der Arbeit bin, weiß ich zu schätzen, was sie den ganzen Tag leistet. Die schönsten Erlebnisse waren unsere Ausflüge mit Kinderwagen, Wickeltasche und Fläschchen durch die Revierparks im Ruhrgebiet, die wir vorher gar nicht kannten.
Ende des Jahres möchte meine Frau wieder in Teilzeit in ihren Beruf als Sozialarbeiterin einsteigen. Von da an haben wir für Caroline einen Krippenplatz.
Für mich war es beim Wiedereinstieg in den Job schmerzlich, unsere Tochter nur noch so wenig zu sehen. Jetzt bemühe ich mich, um sechs Uhr abends wieder zu Hause zu sein; früher wurde es oft acht. Meine Tochter hilft mir, beruflichen Ärger nicht so wichtig zu nehmen. Wenn ich morgens um halb sieben das Haus verlasse, schaue ich noch kurz in ihr Bettchen. Ich habe das Gefühl, dass eine gute Bindung zwischen uns entstanden ist. Wenn ich heimkomme, strahlt sie mich an. Dann füttere ich sie, wickele sie, wasche sie und bringe sie zu Bett. Danach packt mich die Erschöpfung. Wie sehr sich durch ein Kind eigene Bedürfnisse relativieren! Die Elternzeit war für mich eine der wertvollsten Erfahrungen meines Lebens. Unerwartet hat sie mich auch beruflich vorangebracht.
Dr. Rainer Wennemann ist 41 Jahre alt, Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Angiologie. Er hat eine Tochter und lebt in Bochum.
Gesprächsprotokoll aufgezeichnet von Uta Rasche, Redakteurin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".