Medien
Der Zeitungsmarkt hat nun auch kleine Kinder als neue Zielgruppe entdeckt
Die deutschen Zeitungen haben die Kinder als Leser entdeckt. Selbst die altehrwürdige "ZEIT" widmet in einer Sommeraktion zwei extra Seiten "KinderZEIT" ihren jüngsten Lesern. "Danach werten wir erstmal aus", sagt Pressesprecherin Silvie Rundel, "ob das Angebot für die Acht- bis Zwölfjährigen weitergehen soll." Die Resonanz der Anzeigenabteilung sei sehr positiv, da vor allem Kinder- und Jugendbuchverlage großes Interesse zeigten.
Angesichts sinkender Auflagen und des abnehmenden Interesses bei jüngeren Leuten an der täglichen Lektüre fürchten die Verlage um ihre Zukunft. Fast die Hälfte aller Haushalte abonniert heute bereits keine Zeitung mehr. Neben den Jugendlichen im ersten Zeitungslesealter von 14 bis 19 Jahren rücken nun kleinere Kinder immer stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit. Medienforscher warnen, dass bewährte Projekte wie "Zeitung der Schule" viel zu spät ansetzen, um zukünftige Leser früh genug an das Medium zu binden.
Kein Wunder also, dass der Bundesverband Deutscher Zeitungsverlage (BDZV) Ende Februar nun bereits zum dritten Mal eine Fachtagung zum Thema "Kinder und Zeitung" organisierte, die bei Verlegern und Chefredakteuren auf großes Interesse stieß. Sorge bereitet, dass für junge Leute elektronische Medien stark im Vordergrund stehen und die Lesekompetenz immer weiter abnimmt. "Die Pisa-Studie war ein Schock für uns - da hatten wir es dann schwarz auf weiß", sagt BDZV-Pressereferentin Anja Pasquay. Die Antwort darauf sind vielfältige neue Kinderangebote vor allem in den Lokal- und Regionalzeitungen. Schon Grundschulkinder sollten sich an die Zeitung gewöhnen, heißt nun das Motto. Vereinzelt setzen Zeitungsprojekte zur Frühförderung sogar schon bei Kindergartenkindern an.
Der "Hellweger Anzeiger" in Unna startete als erste deutsche Tageszeitung im April 2006 eine tägliche Kinderseite. "Wir wollen Kinder für Print begeistern", sagt Chefredakteur Volker Stennei. "Das hat sich super entwickelt und die Abonnenten-Zahl nimmt seither zu."
"Kinder sind nicht die Leser von morgen, sondern von heute", zeigt sich Stennei überzeugt. Es sei wichtig, Kinder als normale Zeitungsleser zu begreifen und ihre Themen im Blatt zu integrieren. Studien zeigten, dass junge Leser der Kinderseite auch auf anderen Seiten des Blattes weiterläsen, wenn sie etwas interessiere, sagt Stennei.
Die Zeitung sucht den engen Kontakt zu ihren kleinen Lesern. So ist der Kinderredakteur in den Schulen unterwegs und die Kinder kommen regelmäßig zu Redaktionsbesuchen. In allen Grundschulen der Region hängt die Kinderseite am Schwarzen Brett. Die Lehrer erhalten auf Wunsch per E-Mail die Informationen über die Themen des nächsten Tages, um dies im Unterricht behandeln zu können. Das Konzept des "Hellweger Anzeigers" wurde dieses Jahr von der Bundeszentrale für Politische Bildung als bestes redaktionelles Angebot für Kinder mit dem "Jugend-Drehscheibe-Preis" ausgezeichnet.
Auch die Deutsche Presse Agentur (dpa) hat den neuen Trend erkannt und bietet seit April 2007 "Nachrichten für Kinder" an. Zielgruppe sind die Sechs- bis Zehnjährigen. Die fünfköpfige Redaktion sitzt in der Hamburger dpa-Zentrale und soll Nachrichten für Kinder aus dem weltweiten dpa-Netz auswerten und kindgerecht aufbereiten. "Wir haben eine schöne Resonanz", sagt Redaktionsleiterin Petra Kaminsky. "Der Markt hat darauf gewartet." Viele Zeitungshäuser hätten noch kein eigenes Konzept gehabt und könnten nun mit dem dpa-Angebot Konzepte für Kinderseiten entwickeln.
Auch der Deutsche Depeschendienst (ddp) bietet seinen Kunden seit September 2007 einen solchen Kindernachrichtendienst an. "Der Markt schreit danach", sagt auch ddp-Sprecherin Kirstin Thordsen. Allerdings hat ddp anders als die Konkurrenz nicht in eine eigene Redaktion investiert, sondern die Wissenschaftlerin Judith Roth mit der Zusammenstellung eines kindgerechten Nachrichtenangebotes betraut. Die Forscherin gestaltet zusammen mit Journalisten, Grafikern und Medienforschern die wöchentliche Kindernachrichtenseite "Klaro Safaro", die fertig produziert an Regionalzeitungen weiterverkauft wird. Parallel wertet Roth in Schulklassen aus, wie die Nachrichtenseiten bei der Zielgruppe eigentlich ankommen.
"Die Tageszeitung ist komplexer als andere Medien", ist Roths Erfahrung. "Den Fernseher schaltet man einfach an, bei der Zeitung muss man dagegen erst lernen, die unterschiedlichen Darstellungsformen zu verstehen." Vielen Jugendlichen fehle für die Lektüre das Hintergrundwissen. "Da Zeitung ein Medium ist, das sich täglich erneuert, setzt sie viel Wissen voraus." Wer einen Kommentar von einem Bericht nicht unterscheiden könne, empfinde die Lektüre schnell als anstrengend und lege die Zeitung leicht wieder beiseite. Deshalb müsse man junge Leser gezielt an dieses Medium heranführen.
In anderen europäischen Ländern sind Kinderseiten schon lange etabliert. In Frankreich gibt es eine regelrechte Kinderzeitungstradition. Schon seit 1995 gibt der Verlag "Lay Bac Presse" vier erfolgreiche Titel heraus: "Quoti", "Le Petit Quotidien", "Mon Quotidien" und "Làctu". Die Zeitungen richten sich an Altersgruppen zwischen fünf und 17 Jahren und werden mit der Post zugestellt. Ihre Auflage liegt bei 200.000 Exemplaren. Ein Erfolg, der sich in Deutschland nicht wiederholen ließe, meinen Fachleute. In Frankreich wird der Postversand von Zeitungen vom Staat subventioniert und wäre in Deutschland für einen Verlag unbezahlbar.
Im Vergleich zu Fernsehen, Radio und Internet haben die Zeitungen ohnehin erst spät auf den Bedarf nach kindgerechten Informationsangeboten reagiert: Vorreiter im Fernsehen war vor allem "logo!". Mit zwei Sendungen täglich erreicht die Nachrichtensendung im Kinderkanal (Kika) rund 300.000 Zuschauer und hat längst Kultcharakter. "Wir stellen Informationen einfach und anschaulich dar, vermeiden Worthülsen und erklären Hintergründe", sagt der verantwortliche Redakteur Markus Mörchen. "logo!" vermeidet alles, was Kindern Angst machen könnte. "Es ist heute unmöglich, Kinder von Ereignissen fernzuhalten, deshalb wird es umso wichtiger, möglichst viel zu erklären". Gemma Pörzgen