Kinderlosigkeit
Wie die »Später vielleicht«-Männer ihre Vaterschaft verschleppen
Seit sich das Wort von der Greisengesellschaft und ihren dramatischen Folgen herumgesprochen hat, treibt uns die K-Frage um - die Frage, warum wir Deutschen immer weniger Kinder bekommen. Unter öffentlichem Rechtfertigungsdruck steht besonders die Frau ohne Kind. Man analysiert ihre Ansprüche, untersucht ihre Wertvorstellungen, beleuchtet ihre Lebensentwürfe, ihr postfeministisches Bewusstsein. Der kinderlose Mann war in dieser Rechnung der Demoskopen bisher eine unbekannte Größe. Dabei sind mehr Männer kinderlos als Frauen.
Jüngsten Erhebungen zufolge haben 30 Prozent der Bevölkerung zwischen 25 und 59 Jahren derzeit keine Kinder - und zwar 26 Prozent der Frauen und 35 Prozent der Männer. In ihrem Buch "Der Zeugungsstreik" hat die Autorin Meike Dinklage etwas Licht in die dunkle Gefühlslage männlicher Kinderverweigerer gebracht.
Dinklages Vermutung, dass die Mechanismen der Kinderlosigkeit bei Männern subtiler sind als bei Frauen, bestätigt die Lektüre: Denn während Frauen Monat für Monat an die Möglichkeit einer Schwangerschaft erinnert werden und die menschliche Natur ihnen zudem einen klaren Zeitrahmen setzt, existiert bei Männern keine Grenze zwischen dem Zustand des potenziellen Vaters und dem des Mannes ohne Kind.
Das führt bei ihnen nicht selten zu einer diffusen Gefühlslage; verstärkt durch die Freiheiten unserer multioptionalen Gesellschaft, in der Kinder keine Selbstverständlichkeit mehr sind. Das Ergebnis sind so genannte "Später vielleicht"-Männer, bei denen sich die Kinderlosigkeit irgendwie einschleicht. Sie entscheiden sich nicht bewusst gegen Kinder, sie hegen auch keinen gesteigerten Pessimismus gegen die Welt wie noch in den 1980er-Jahren, als man die Umweltverschmutzung zur Begründung gegen Nachwuchs bemühte.
Dass die Ehe mithin keine Kinder mehr voraussetzt und, seit es die Empfängnisverhütung gibt, auch kein biologisches Gesetz uns mehr in die Elternschaft zwingt, ist da Fluch und Segen zugleich - für Männer ebenso wie für Frauen. Weil das Elternsein nicht mehr vom Schicksal abhängt, sondern man sich aus freien Stücken dafür entscheiden muss, steht nämlich plötzlich alles auf dem Prüfstein: die finanzielle Basis, die Beziehung der Partner untereinander, die Wünsche und Perspektiven, die man mit Kindern verbindet - oder eben ohne. Und es gilt: Die Kinderfrage wird fast ausnahmslos von zweien entschieden. Will einer der beiden nicht mitziehen, findet die Angelegenheit nicht statt.
In diesem Zusammenhang aufschlussreich sind die Ergebnisse einer Allensbach-Studie aus dem Jahr 2007, die nach Unterschieden in der Wahrnehmung von Familie bei Eltern und Kinderlosen fragt. Dass die Differenzen gravierend sind, steht nach dieser Umfrage zweifellos fest. Und auch, dass die Familie nicht eben den besten Ruf hat - vor allem offenbar unter Kinderlosen nicht. Denn Eltern zu sein, bedeutet Verantwortung zu übernehmen, Einschränkungen zu akzeptieren, mithin gewisse Opfer zu bringen. Das scheint Eltern so bewusst wie Kinderlosen, doch letzteren erscheint manche Belastung nachgerade bedrohlich. Dagegen nehmen sie die Freuden und Vorzüge, die Kinder mit sich bringen, viel seltener wahr.
Es sind vor allem kinderlose Frauen, die meinen, dass, wenn erst einmal Kinder da sind, es vorbei ist mit der Selbstverwirklichung. Kinder als "Rund-um-die-Uhr-Job", fürchten sie, lasse ihnen wenig Zeit für sich und zwinge sie, nicht nur finanziell, auf vieles verzichten zu müssen. Armin Laschet (CDU), Familienminister in NRW, sagt: "Unsere Gesellschaft und Politik diskutiert Familie und Kinder zu häufig als Problem. Ein Wort wie Familienlastenausgleich kann nur Deutschen einfallen."
Deutlich unterscheiden sich Eltern und Kinderlose auch, wenn es um die Vorzüge geht, die mit einem Leben mit Kindern verbunden sind: Dies gilt hier vor allem für Männer: Während Väter ihr Vatersein meist mit "viel Freude" und als "ein Leben voller Überraschungen" beschreiben und sagen, durch ihre Kinder die Welt "mit anderen Augen" zu sehen, sehen Kinderlose dies ganz anders: Während 73 Prozent der Väter ihr Elternsein als ein letztlich "erfüllteres Leben" resümieren, können sich nur 41 Prozent der Kinderlosen vorstellen, dass ein Leben mit Kindern Erfüllung bringt. Aber nicht alle trauen Zahlen und Umfragen: Caren Marks (SPD), Sprecherin der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Bundestag warnt: "Ich halte bereits den Ansatz der Allensbach-Studie für falsch. Man sollte Kinderhabende und Kinderlose nicht gegeneinander ausspielen."
Egal, wie der Einzelne wertet. Dass der Kinderwagen irgendwann also gegen das Cabrio eingetauscht wird, ist längst nicht mehr selbstverständlich. Ein Leben mit Kindern ist eben nur noch einer unterer mehreren möglichen Lebensentwürfen. Es wird zwar von vielen gewünscht, aber mit abnehmender Tendenz. Nur noch die Hälfte der Bevölkerung glaubt überhaupt, dass man mit Nachwuchs wirklich glücklich sein kann, während mehr als ein Drittel überzeugt ist, ohne Kinder genauso glücklich zu werden.
"Als Gott am sechsten Schöpfungstag alles ansah, was er gemacht hatte, war zwar alles gut, aber dafür war auch die Familie noch nicht da." Kurt Tucholsky erzählte einst diesen Witz. Damals, vor fast hundert Jahren, umgab ihn freilich eine Lebenswirklichkeit, die voller Kinder war.
Die Autorin ist Redakteurin im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".