Frau Ministerin, würden Sie heute gerne ein Kind in Deutschland sein?
Unbedingt! Es gibt unendlich viele tolle Eltern und für ein Kind ist es das Wichtigste, in seiner Familie glücklich zu sein. Außerdem wird dieses Land im Augenblick richtig wach. Es bewegt sich etwas in den Köpfen: Den Menschen wird klar, wie wichtig Kinder sind.
In Deutschland ist die Geburtenrate im vergangenen Jahr erstmals seit zehn Jahren gestiegen. Dennoch reicht der Zuwachs nicht aus. Der Familienforscher Hans Bertram hat gerade analysiert: Die Mehrkindfamilie wird immer seltener. Die dritten und vierten Kinder fehlen.
Der Geburtenanstieg ist ein riesiger Vertrauensvorschuss der jungen Menschen. Den dürfen wir nicht enttäuschen, er sollte uns Ansporn sein. Im europäischen Vergleich haben wir nach wie vor eine der höchsten Zahlen von Kinderlosigkeit. Wenn Mutter und Vater beim ersten und vielleicht auch beim zweiten Kind finanziell kaum hinkommen und Beruf und Familie nur unter größtem Stress unter einen Hut bekommen, dann wagen viele Eltern selten ein drittes und viertes Mal den Schritt, ein Kind zu bekommen.
Wie wollen Sie Eltern zu diesem Schritt ermutigen?
Elterngeld und Kinderbetreuung waren erste wichtige Schritte für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber mit wachsender Kinderzahl steigen die Fixkosten sprunghaft. Bei mehreren Kindern muss es eben die größere Wohnung sein, das größere Auto, und die Waschmaschine läuft häufiger. Ein gestaffeltes Kindergeld unterstützt diese Familien ganz gezielt, damit sie nicht in die Armut abrutschen. Sonst besteht weiterhin das Bild: Wer mehr Kinder hat, macht sich arm. Dabei sind Kinder ein Reichtum.
Aber ein höheres Kindergeld allein löst das Problem sicher nicht.
Zwei Gruppen sind besonders gefährdet: Familien mit mehreren Kindern, in denen die Eltern zwar arbeiten, aber das Geld nicht für alle reicht. Ihnen hilft ein gestaffeltes Kindergeld und der Kinderzuschlag. Die zweite Gruppe sind Alleinerziehende. Viele könnten nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit einen Job annehmen, wenn sie einen Betreuungsplatz für ihre Kinder finden würden. Sie brauchen vor allem den bereits begonnenen Ausbau der Kinderbetreuung. Eine weitere Gruppe, die häufig von Armut betroffen ist, lebt oft mehrere Generationen in der Sozialhilfe. Bildung zählt in diesen Familien fast nichts. Deshalb haben die Kinder von vornherein schlechtere Startchancen. Diese Kinder brauchen schon früh Hilfe und Unterstützung außerhalb der Familien.
Nicht nur in sozial schwachen Familien gibt es Probleme. Jüngst hat das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) eine Studie veröffentlicht, wonach die Mittelschicht in Deutschland in den vergangenen sieben Jahren dramatisch geschrumpft ist - nämlich von 62 auf 54 Prozent.
Oft verzichten junge Familien auf Kinder, weil sie unsicher sind und Angst vor der Zukunft haben. Das bedrückt mich sehr. Es ist heute nicht mehr selbstverständlich, dass Kinder in mittleren Einkommensverhältnissen aufwachsen und es dann auch schaffen, in der Mitte der Gesellschaft zu bleiben. Der internationale Vergleich zeigt: die Kombination von Arbeitsmöglichkeiten für die Eltern und gezielte finanzielle Hilfen sind die wirksamsten Mittel, um Familien in ihrer Unabhängigkeit und Schaffenskraft zu stärken.
Wie wirkt sich diese Angst denn jenseits des Finanziellen gesellschaftlich aus?
Die Großfamilie, wie wir sie von früher kennen, ist selten geworden. Heute sind die Familien klein, jedes dritte Kind wächst ohne Geschwister auf. Aber Kinder brauchen andere Kinder. Viele der Probleme, die wir unter Kindern und Jugendlichen haben, kommen auch daher, dass die robusten, unkomplizierten dritten und vierten Kinder einer Familie in den Schulen kaum noch zu finden sind. Diese Kinder haben ein hohes Konflikt- und Toleranzpotential, können sich durchsetzen und achten gleichzeitig immer auf die Gerechtigkeit einer Gruppe.
Aber es geht nicht nur um Geld. Das Bild der Familie hat auch darüber hinaus anscheinend gelitten, denn es gibt nicht wenige, die sagen, sie können auch darauf verzichten. Woran liegt das?
30, 40 Jahre lang haben wir an Frauen gespaltene Botschaften gesendet - die vom "Heimchen am Herd" oder die der "Rabenmutter". Das bezahlen wir mit dem hohen Preis der Kinderlosigkeit und des Fachkräftemangels, wenn Beruf und Kinder einander ausschließen. Jetzt steuern wir um und diskutieren pragmatisch, wie ein modernes Leben mit Kindern geht. Und allen Unkenrufen zum Trotz, die Mehrheit der jungen Menschen wünscht sich ungebrochen Kinder und Familie.
Das Elterngeld mit den zwei Vätermonaten kommt gut an. Nun klopfen sich die Väter neuerdings auf die Schultern und finden sich ganz toll.
Zunächst einmal ist es der Beginn einer tiefgreifenden Bewusstseinsänderung. Das zeigt sich nicht nur an den Vätern selbst, sondern auch an dem Pragmatismus, mit dem sich die Unternehmen auf die Partnermonate eingestellt haben. Als ich Ende 2006 vorschlug, die Partnermonate im Elterngeld einzuführen, gab es einen riesigen Aufschrei, viel Empörung und Spott. Bei Einführung des Gesetzes haben weniger als die Hälfte der Deutschen gesagt: Wir finden das gut. Jetzt sind es bereits 61 Prozent. Welches Gesetz kann schon von sich behaupten, dass kurz nach der Einführung die Zustimmung so stark gestiegen ist? Diese Dynamik möchte ich nutzen und die Vätermonate erweitern. Interessanterweise habe ich dafür vor allem in Bayern breite Zustimmung geerntet. Dort nehmen besonders viele Männer Vätermonate. Diese Väter, die die Partnermonate nehmen, schlagen eine Bresche für alle aktiven Väter. Und darauf kommt es an.
Die Männer in der CDU, aber vor allem in der CSU tun auf einmal so, als hätten sie die Vätermonate erfunden...
Da bin ich großzügig. Erfolgreiche Reformen haben immer viele Väter. Außerdem freue ich mich einfach, wie uns die jungen Väter allesamt verblüfft haben.
Dann hat sich die Haltung der UnionsMänner Ihnen gegenüber entspannt?
Ich bin von Geburt an verwurzelt in der Union, sie ist so etwas wie eine innere Heimat für mich. Und wie es in Familien ist: Die nächste Generation muss immer Dinge vorantreiben, nicht um alles über Bord zu werfen und Werte vergessen zu machen, sondern um sie zu erhalten. Viele verstehen jetzt, dass es mir darum geht, die traditionellen Werte von Familie zu erhalten - unter modernen Rahmenbedingungen.
Sie haben viel für die Frauen und für die Familien getan. Dennoch mögen gerade viele Frauen Sie nicht.
Ich stelle als Politikerin mit sieben Kindern eine starke Projektionsfläche dar - für Aggressionen, Wünsche, Hoffnungen und Forderungen. Außerdem habe ich Diskussionen in diesem Land ausgelöst, die es vorher nicht gab. Aber die kann und will ich uns allen nicht ersparen. Entscheidend ist unter dem Strich, dass sich etwas für Familien und Kinder bewegt.
Jetzt müssen Sie ihr Leben als Mutter und Bundesministerin vereinbaren. War ihr Alltag vorher einfacher?
Nicht einfacher aber anders. Jedes Lebensalter hat seine Zeit. Ich war auch mal eine Studentin ohne Kinder, vollkommen ungebunden. Als junge Mutter war ich mit dem ersten Kind in vielen Punkten heillos überfordert.
Nun haben Sie sieben Kinder. Was war denn an einem Kind so anstrengend?
Ich fand es unglaublich anstrengend, aus der vollen Freiheit des Studentenlebens die Verantwortung rund um die Uhr für ein Kind zu übernehmen. Hinzu kam, dass ich sowohl von den Kollegen als auch von meiner privaten Umgebung auf einmal viele Fragezeichen entgegen gehalten bekam. Ich musste ganz schön kämpfen. Besonders getroffen war ich, als ich mit meiner Halbtagsstelle an der Universität aufhörte und niedersächsische Sozialministerin wurde. Da wurde mir die Frage gestellt: Wollen Sie eine schlechte Ministerin sein oder eine schlechte Mutter?
Sie werden gerne als großbürgerlich beschrieben und damit wird im Subtext unterstellt: Die hat ja nicht die Probleme, die wir haben. Empfinden Sie das als ungerecht?
Ich weiß, dass ich zwei große Privilegien in meinem Leben hatte. Das war die Erfahrung der Großfamilie und das Aufwachsen in einem Elternhaus, in dem Bildung sehr wichtig ist.
Die Frage nach Bildung ist die wirkliche, die eigentliche Gerechtigkeitsfrage, die die Gesellschaft stellen muss. Hier geben wir mit unserer Familienpolitik wichtige Antworten: der Ausbau der Kinderbetreuung schafft Brücken gerade für Kinder aus sozial schwächere Familien, das Elterngeld schafft finanzielle Sicherheit im ersten Lebensjahr des Kindes.
Ihr Vater war von 1976 bis 1990 Ministerpräsident von Niedersachen. Sie sind somit in einem politischen Haushalt groß geworden. Hilft Ihnen das in den aktuellen politischen Auseinandersetzungen?
Mein Vater hat ausgestrahlt: Mit Politik kann man etwas bewegen. Das habe ich tief in mir aufgenommen. Von seinen Konflikten und Auseinandersetzungen, die er sicher hatte, hat er sich zu Hause nichts anmerken lassen. Aus dieser positiven Erfahrung heraus, habe ich Politik immer als eine Option erlebt, unser Gemeinwesen mit zu gestalten.
Neuerdings gibt es viele jungen Autorinnen, die eine neue Emanzipationsbewegung fordern. Gleichzeitig bleibt ihr Lebensmodell, das sie zeichnen, schwammig. Was würden Sie heute als junge Frau anders machen?
Wenn ich einer 25-Jährigen etwas zurufen dürfte - denn ich selbst kann ja nur auf dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrung urteilen - würde ich sagen: "Du hast ganz viele Fähigkeiten, entfalte sie. Suche dir einen Mann, der das respektiert, aber respektiere du in ihn auch mit seinen Fähigkeiten. Lass ihn machen, auch als Vater. Denn er ist auf seine Art Vater und du bist auf eine andere Art Mutter. Kinder kommen nie zum richtigen Zeitpunkt. Das ist einfach so und deshalb zögert nicht zu lange. Lass dich als junge Frau nicht klein machen, denn in dir schlummert so viel, was du entfalten kannst. Sei fordernd."
Das Interview führte Annette Rollmann.