Bulgarien
Alternde Gesellschaft bereitet EU-Neuling Nöte
Bulgarien sieht sich auch aufgrund des Wegzugs junger Leute und des Geburtenrückgangs während der krisenhaften 1990er-Jahre mit den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft konfrontiert. Auf den Aderlass an Jungen ist das Balkanland schlecht vorbereitet, verfügt es doch über viel zu wenig Einrichtungen für Alte und Pflegebedürftige. Zwar wurde die Zahl an Pflegeheimen im Jahr 2006 von 158 auf 205 erhöht, doch bleibt ihre Kapazität mit 5.556 Betten unzureichend. Den 1,2 Millionen Einwohnern der Hauptstadt Sofia etwa stehen gerade mal drei Altenheime mit 750 Plätzen zur Verfügung.
Eine von der Regierung im Jahr 2002 beschlossene "Neue Strategie in der Sozialpolitik" zielt auf eine Ausweitung nicht-stationärer Pflegeangebote ab; seitdem wurden einige mit Hilfe von EU-Fördergeldern finanzierte Tageszentren für Senioren und Pflegebedürftige eingerichtet und das individuelle Hilfsprogramm "Assistent für Menschen mit Behinderung" aufgelegt. Von einer spürbaren Besserung kann allerdings nicht die Rede sein.
Bulgarien wendete 2007 gerade mal 4,25 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Volksgesundheit auf - damit liegt es bei der Hälfte des in Europa üblichen Satzes. Dementsprechend sind viele der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen für Alte, chronisch Kranke, Behinderte und elternlose Kinder baulich in schlechtem Zustand und mit veralteter Technik ausgestattet. Schlechte Arbeitsverhältnisse veranlassen viele Ärzte und Pflegekräfte zu einem Berufswechsel oder der Suche nach einer besser bezahlten Tätigkeit im Ausland, was zu akutem Mangel an medizinischem Personal in zahlreichen ländlichen Regionen führt. Zum 1. Mai wurden zumindest die Gehälter von 17.000 staatlichen Angestellten im Gesundheitswesen um 15 Prozent erhöht.
Zuletzt versprach die im Sommer 2005 angetretene, von dem Sozialisten Sergej Stanischew geführte Koalitionsregierung eine umfassende Gesundheitsreform. Bislang hat sich wenig getan. Der neue Gesundheitsminister Ewgenij Schelew, erst seit wenigen Wochen im Amt, sieht sich bereits in Zugzwang. Er hat einen Aktionsplan aufgestellt, um im verbleibenden Jahr bis zu den Neuwahlen zur Bulgarischen Volksversammlung erste Schritte der überfälligen Reform umsetzen.
Von 2009 an soll die Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrags von sechs auf acht Prozent dem Gesundheitswesen zusätzliche 250 Millionen Euro zuführen. Schelew setzt auf die Privatisierung von Krankenhäusern. Kritiker dieses Ansatzes befürchten allerdings die Umwandlung von Pflegeeinrichtungen in lukrativere Hotels und Spa-Zentren. Ebenfalls umstritten ist Schelews Plan der Demonopolisierung der Nationalen Krankenkasse (NSOK) durch die Zulassung privater Krankenkassen. Von 2010 an werde die Konkurrenz der Kassen den Bulgaren mehr Wahlfreiheit für ihre Gesundheit und künftige Pflegen verschaffen, verspricht Schelew. Gegner dieses Ansatzes wähnen die Gefahr einer Zwei-Klassen-Medizin mit einer Minimalversorgung für Normalsterbliche und Luxuspflege für Begüterte.
Der Autor ist freier Balkan-Korrespondent.