Georgien
Solange russische Truppen im Land sind, wird nach der politischen Verantwortung nicht gefragt
Beobachter hatten es geahnt: Diesen Sommer werde die Gewalt im Südkaukasus eskalieren. "Die Russen haben einen Anlass gesucht, um Georgien in einen Konflikt zu verwickeln", sagt der georgische Konflikforscher und Oppositionspolitiker Paata Zakareischwili. Im Auftrag des Berghof Forschungszentrums mit Sitz in Berlin koordiniert er seit acht Jahren informelle Gespräche zwischen Abchasen, Südosseten und Georgiern. Noch im Frühjahr habe es Anzeichen für eine friedliche Lösung der Konflikte gegeben, berichten Teilnehmer. Ihre Hoffnungen sind jetzt zunichte gemacht. "Russland ist es gelungen, Georgien zu provozieren", stellt Zakareischwili fest.
Die Provokationen hatten schon vor Jahren begonnen. Zunächst gab Russland in Abchasien und Südossetien russische Pässe aus - völkerrechtswidrig. Es verschaffte sich so ein Argument, um im Falle einer bewaffneten Auseinandersetzung einzugreifen und seine Bürger zu schützen. Es folgten der Boykott georgischer Produkte und die Hatz auf Georgier in Moskau. Im April schoss ein russischer Kampfjet ein unbemanntes georgisches Aufklärungsflugzeug über Abchasien ab. Der Kampfjet hatte dort nichts zu suchen, die Aufklärungsdrohne allerdings auch nicht. Die Georgier sehen sich nun einmal mehr in ihrer Grundauffassung bestätigt, die lautet: Im Zweifelsfall sind immer die Russen Schuld. Erst im vergangenen Herbst hatte der Präsident Georgiens, Michail Saakaschwili, "ausländische Elemente" ins Feld geführt, um sein hartes Vorgehen gegen Demonstranten und die kritische Presse in Tiflis zu rechtfertigen. Gemeint war Russland, das einen "Putsch" in Georgien vorbereite - so Saakaschwili damals. Seine teils irrationalen Vorwürfe gegenüber Russland treffen den Nerv vieler Georgier. So war nach dem Erdbeben in Tiflis 2002 von einer "unterirdischen Erbebenmaschine" zu hören, die die Russen in Gang gesetzt hätten.
Der Anteil der Georgier und ihres 40-jährigen Staatsoberhauptes an der Eskalation des Konfliktes wird in Georgien derzeit nicht diskutiert. "Solange russische Truppen unser Land besetzt halten, ist es nicht angebracht, die Regierung zu kritisieren", sagt Kacha Kukava, Abgeordneter der oppositionellen Konservativen Partei. Seiner Ansicht nach wisse ohnehin jeder, wer Schuld sei an der Situation: "Saakaschwili regiert wie der Papst. Er hat alles allein entschieden, ohne sich mit dem Rest der Bevölkerung abzustimmen. Das ist der Hauptgrund der jetzigen Krise."
Saakaschwili war einmal der Hoffnungsträger der Demokraten in Georgien und Westeuropa. Nach tagelangen Demonstrationen gegen den damaligen Präsidenten Eduard Schewardnadze stürmte der einstige Justizminister im Herbst 2003 mit einer Rose in der Hand in das Parlament und übernahm die Führung. Doch viele seiner Weggefährten von damals trennten sich bald von ihm, so auch Kukava. Er beschreibt Saakaschwili als machtversessen. Auch der Europarat hat den einstigen Rosenrevolutionär wegen dessen autoritären Führungsstils gerügt. Die Schließung des Fernsehsenders "Imedi" sorgte international für Proteste. Bei der Parlamentswahl in diesem Jahr schließlich stellten Beobachter gravierende Verstöße fest. Das Regierungsbündnis gewann mit knapp 60 Prozent die Mehrheit, die Opposition forderte Neuwahlen.
Die politische Kultur in Georgien war schon lange auf den Hund gekommen. Das schließe die Opposition mit ein, bemerkt der Leiter der Georgischen Stiftung für Strategische und Internationale Studien, Alexander Rondeli. Er sagt über die georgischen Politiker: "Sie hassen sich persönlich. Es geht ihnen überhaupt nicht um politische Ideen, sondern nur um die Macht." Über ihre persönlichen Fehden haben es die meisten Parteien versäumt, ernsthaft an einer Lösung der regionalen Konflikte zu arbeiten. Saakaschwili legte zwar Friedenspläne vor, es gab aber nie einen direkten Dialog mit der Bevölkerung in Abchasien und Südossetien. Stattdessen hielt die georgische Regierung eine Wirtschaftsblockade gegenüber den abtrünnigen Gebieten aufrecht, die den Menschen dort signalisierte, dass die Georgier ihnen ohnehin nur schaden wollten. Dabei war es das große Ziel Saakaschwilis, das Land wieder zu einen. "Wir wollen das auf jeden Fall mit friedlichen Mitteln tun", betonte er stets. 2005 berichtete er mit glänzenden Augen von einem Treffen mit südossetischen Ferienkindern: "Nachdem ich diese Kinder gesehen habe, werde ich nie den Befehl geben können, auf sie zu schießen. Denn jedes von ihnen könnte leiden." Mit dem Beschuss der südossetischen Hauptstadt Zchinwali am 8. August hat Saakaschwili nicht nur sein Wort gebrochen; sein Marschbefehl stellt auch die Glaubwürdigkeit seiner Friedensbeteuerungen nachhaltig infrage.
Oppositionelle, wie der Konfliktforscher Paata Zakareischwili fordern schon länger, dass der Westen nicht allein auf Saakaschwili setzen solle. Allerdings gibt es nur wenig Alternativen. Die Republikanische Partei, die zum Dialog mit Abchasen und Südosseten aufruft, spielt politisch keine Rolle. Bei der Parlamentswahl scheiterte sie an der Fünf-Prozent-Hürde.
Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters hat Nino Burdschanadze, bis vor kurzem als Parlamentspräsidentin ein nüchternes Korrektiv an Saakaschwilis Seite, ein politisches Comeback angekündigt. Kacha Kukava warnt jedoch vor schnellen Neuwahlen nach der Krise: "Ein Wahlkampf würde unser Land zerstören." Er fordert statt dessen eine "Regierung der Nationalen Einheit". Saakaschwili solle endlich auf die Opposition zugehen.
Paata Zakareischwili indessen sieht in dem Krieg auch eine Chance für Georgien, sofern die Regierung nun beginne, eigene Fehler der vergangenen Jahre einzugestehen. Die Erfahrung aus dem Kosovo und aus Serbien zeigt, dass Reformen und Friedenslösungen nur vorankommen, wenn die Ursachen für die Kriege selbstkritisch aufgearbeitet und die Verantwortlichen benannt werden. In Georgien ist davon bisher wenig zu spüren. Die Regierung inszeniert sogar die militärische Niederlage als Erfolg, gibt sich überzeugter von sich selbst als je zuvor. "Vielleicht", räumt Zakareischwili ein, "ist es für Selbstzweifel aber auch noch zu früh."