Hessen
Die Spekulationen über eine künftige rot-grüne Regierungsbildung in Wiesbaden reißen nicht ab. Wie die Landtags-Fraktionen die Planspiele über die politische Zukunft ihres Bundeslandes bewerten
Die Sonne scheint zum Weinfest in Wiesbaden, eine Band spielt beherzt "Die Caprifischer" und Andrea Ypsilanti hat richtig gute Laune. Mitte August hatte der Landesvorstand der hessischen SPD ihr grünes Licht gegeben, um doch noch eine Regierung auf die Beine zu stellen. Ihr Einzug in die Staatskanzlei ist damit vielleicht ein kleines Stückchen näher gerückt. Sieben Monate nach der Landtagswahl nehmen die hessischen Sozialdemokraten einen zweiten Anlauf. In einem "ergebnisoffenen Prozess" soll die Partei bis Anfang Oktober klären, ob sie in eine Koalition mit den Grünen eintreten und Regierungschef Roland Koch mit Hilfe der Linkspartei aus dem Amt jagen möchte.
Drei Möglichkeiten gibt es nach Überzeugung der SPD-Führung im Moment noch, um das Dauerchaos zu beenden: Eine Große Koalition, Rot-Grün unter Duldung der Linkspartei oder Neuwahlen. "Ich muss eine hessische Entscheidung treffen", erklärt die Parteivorsitzende ein ums andere Mal. Ypsilantis Präferenz liegt mehr oder weniger deutlich bei einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit - nur in einer solchen Konstellation könnte sie Ministerpräsidentin werden. Damit das Projekt nicht wie im März an innerparteilichen Widerständen scheitert, soll es diesmal einen umfassenden Entscheidungsprozess geben. Auf Regionalkonferenzen bekommt die Basis noch einmal ausführlich Gelegenheit, den Weg zur Regierungsbildung zu diskutieren. Parallel soll der Landesvorstand Kriterien zur "Klärung weiterer offener Fragen in Bezug auf die Linkspartei" erarbeiten.
Auf eine Stimme Vorsprung könnte Ypsilanti im Fall ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin bauen, auch wenn die Darmstädter Abgeordnete Dagmar Metzger ihr weiterhin die Stimme verweigern will. Den Rest ihrer Fraktion glaubt die Parteivorsitzende hinter sich. Zumindest derzeit erscheinen beide Fraktionsflügel pragmatisch zusammengerückt: "Wir haben innerhalb der SPD einen vernünftigen Prozess eingeleitet", findet zum Beispiel Günter Rudolph aus der "Aufwärtsgruppe", der auch Ypsilantis Gegenspieler Jürgen Walter angehört.
Hinter diesem Weg steht auch die Abgeordnete Nancy Faeser. Der Kriterienkatalog für eine mögliche Zusammenarbeit mit den Linken muss für sie die Klärung verfassungsrechtlicher Fragen, verlässliche Zusagen für das politische Kerngeschäft, etwa zur Aufstellung des nächsten Haushalts, und die inhaltliche Verständigung über die anstehenden politischen Herausforderungen in der Bildungs,- Energie,- und Sicherheitspolitik umfassen. Einseitig ausrichten möchte Faeser die Gestaltung des Landes keinesfalls: "Wir haben die Wahl in der Mitte gewonnen", betont sie, "nicht nur links."
Die Linkspartei ist sich bewusst, dass sie jetzt Politikfähigkeit beweisen muss - nicht nur, wenn es um die großen Leitlinien, sondern auch, wenn es darum geht, das politische Pflichtprogramm abzuwickeln bis hin zu mehr als 50 Landesgesetzen, die 2009 auslaufen und neu beraten werden müssen. "Ich weiß, dass wir eine historische Chance haben und die wollen wir nicht versemmeln", beteuert Fraktionschef Willi van Ooyen. Er befürwortet die Vereinbarung politischer Eckpunkte und sucht eine "tragfähige Zusammenarbeit bis 2013". Dass er dies auch der Parteibasis vermitteln kann, bezweifeln allerdings viele. "Die Partei wird auch Kröten schlucken müssen", erklärt dagegen van Ooyen.
Verbindlichkeiten für die Gestaltung des Haushalts und zu zentralen Gesetzgebungsverfahren verlangen auch die Grünen. "Wenn die Bedingungen nicht stimmen, machen wir es nicht", betont Fraktions- und Parteichef Tarek Al Wazir. Schon vor Beginn von Koalitionsverhandlungen wollen sich die Grünen durch geheime Abstimmungen in den drei Fraktionen absichern.
Doch auch der Grünen-Chef und seine Fraktionskollegen müssen aufpassen, dass sie ihre Partei auf dem Weg zur Macht nicht verlieren. Denn längst nicht alle hessischen Ökos sehen in Rot-Rot-Grün die einzige Option. "Meine Begeisterung hält sich in Grenzen", sagt zum Beispiel die ehemalige Landesvorsitzende der Partei, Evelin Schönhut-Keil. Als erste Beigeordnete des hessischen Landeswohlfahrtsverbands, in dem CDU, FDP und Grüne die Mehrheit haben, erlebt Schönhut-Keil seit 2005 jeden Tag Jamaika und verweist zudem auf gute Erfahrungen mit den Christdemokraten auf kommunaler Ebene. "In einer solchen Koalition hätten wir klare Alleinstellungsmerkmale in den Bereichen Umwelt und Soziales", argumentiert sie. "Aber das Thema steht im Moment nicht an."
Dass die Grünen irgendwann doch einknicken bleibt jedenfalls die feste Hoffnung von FDP und CDU. "Ich bin relativ gelassen," erklärt der Chef der hessischen Liberalen, Jörg-Uwe Hahn, "aber eines ist auch klar: Die Wahrscheinlichkeit, dass Andrea Ypsilanti es bis in die Staatskanzlei schafft, ist größer geworden". Sollte die SPD-Chefin scheitern, will Hahn noch am gleichen Abend ein Sechs-Augen-Gespräch mit CDU und Grünen führen. "Dann müssen die Grünen sich Ratz-Fatz bewegen oder es gibt Neuwahlen." Gelassenheit demonstrieren auch die Christdemokraten: "Wir bauen hier keine Worst-Case-Szenarien auf", erklärt CDU-Fraktionschef Christean Wagner. Die Selbstmontage der SPD spiele am Ende seiner Partei in die Hände. Für seinen Parteichef Koch behält Jamaika die oberste Priorität. Im Dezember will die geschäftsführende CDU-Landesregierung den Haushalt für 2009 einbringen und ansonsten "ihre Pflicht in Parlament und Regierung machen".