VON BERNADETTE SCHWEDA
Wohin man in diesen Wochen auch blickt, wo man auch hinhört: Russland. Der Einmarsch russischer Truppen nach Georgien - ausgerechnet zu Beginn der Olympischen Spiele - hat die "eingefrorenen Konflikte" im Südkaukasus eskalieren lassen und markiert den vorläufigen Höhepunkt der gegenseitigen Provokationen der verfeindeten Nachbarn. Und er weckt böse Assoziationen.
Dass der Vergleich mit dem Einmarsch der Sowjettruppen in die Tschechoslowakei vor fast genau 40 Jahren nicht 1:1 stimmt, interessiert eher Experten. In den jungen EU- und ehemaligen "Bruder-Staaten" Mittel- und Osteuropas sind die Bilder der sowjetischen Interventionen noch lebendig. Sie eignen sich gut für Schlagzeilen und zeigen konkrete politische Wirkung - wie der schnelle Abschluss der zuvor zähen Verhandlungen über die Stationierung von Teilen des US-amerikanischen Raketenabwehrsystems in Polen zeigt.
Das Vokabular aus dem Kalten Krieg wurde auch im Westen wiederentdeckt. Die viel beschworene "strategische Partnerschaft" der vielstimmigen EU mit der Atommacht Russland liegt zunächst auf Eis, auch wenn beide Seiten - wohl wissend, dass sie sich gegenseitig brauchen - Dialogbereitschaft beteuern. Klar ist: Es geht bei diesem Konflikt um handfeste geopolitische, strategische Interessen - und schlicht um Ökonomie. Es ist zugleich ein Kräftemessen innerhalb des Dreiecks Russland-EU-USA. Nach der Chaos-Dekade der 1990er-Jahre unter Boris Jelzin gewinnt Russland allmählich ein neues Selbstbewusstsein. Allein die schiere Größe des Landes scheint dies zu rechtfertigen: Trotz der Gebietsverluste nach dem Zerfall des "Imperiums des Bösen" ist das Land der größte Staat der Erde - mit begehrten Rohstoffen, die es in den vergangenen Jahren geschickt auch als politisches Druckmittel nutzte. Die Kehrseite dieses Reichtums: Russlands Wirtschaft ist wenig diversifiziert, die Infrastruktur marode. Das Land ist auf die westlichen Abnehmer und Investoren angewiesen. Und fühlt sich vom Westen nicht gebührend ernst genommen, ja gedemütigt. Wie sehr, veranschaulicht eine Äußerung Wladimir Putins in einem "Times"-Interview: "Jeder soll glauben, dass es schon okay ist, Russland ein bisschen zu ärgern. So nach dem Motto: Die sind noch recht unzivilisiert, sie sind gerade von ihren Bäumen heruntergeklettert und brauchen einen Haarschnitt und eine Rasur."
Die jüngsten Muskelspiele Moskaus lassen die Weltöffentlichkeit vor allem über die Substanz seiner Großmachtambitionen spekulieren und lösen vorerst eindeutig das Rätsel, wer nach dem Wechsel im Präsidentenamt das Sagen im Kreml hat.
Diese Ausgabe unserer Zeitung nimmt diese Entwicklungen unter die Lupe, wirft aber auch Schlaglichter auf die großen sozialen und demografischen Probleme des Landes, zeigt in Reportagen pulsierende Metropolen, Konflikte und friedliches Zusammenleben im Vielvölkerstaat, analysiert die Medienlandschaft, die Träume der Jugend und deutsch-russische Klischees.