NANCY PELOSI
Die Sprecherin des Repräsentantenhauses über Klimapolitik, Rückschritte unter Bush und die Sehnsucht nach einer besseren Zukunft
Sie kommen aus einer italienischen Immigrantenfamilie und vertreten einen eher liberalen, linken Wahlkreis in San Francisco (Kalifornien). Als "Madame Speaker" treten Sie eher überparteilich auf. Enttäuscht das Ihre Wähler?
Einige schon. Aber die meisten haben Verständnis für den Rollenwechsel. Immerhin bin ich gerade mit 98 Prozent Zustimmung wieder aufgestellt worden. Ich bin gewiss eine progressive Demokratin, aber als Speaker muss ich das zurückstellen. Viele Deutsche könnten sich bei uns in San Francisco zuhause fühlen: Bei uns ist jedes Kind krankenversichert, wir garantieren zwar keinen Mindestlohn, aber dafür ein Existenzminimum, das jedem Menschen ein würdiges Leben ermöglicht. Wir nennen das die "San Francisco Werte": Fairness, Respekt und die Liebe zur Familie.
Diese Garantien gelten nicht überall in den USA.
Das stimmt. Manche sprechen voll Abscheu über die "San Francisco Werte". Mich erfüllen sie mit Stolz.
Wie beeinflusst die italienische Abstammung Ihre Arbeit?
Auf dieses Erbe bin ich stolz. Meine Urgroßeltern kamen aus Italien, mein Vater war Bürgermeister von Baltimore. Auch mütterlicherseits bin ich rein italienisch, und meine Kinder sind ebenfalls rein italienischer Abstammung. Bei meinen Enkeln mischt es sich dann stärker. Sie können manchmal Deutsch bei uns zuhause hören. Einer meiner Schwiegersöhne stammt aus den Niederlanden und spricht deutsch.
Sie haben fünf Kinder und sieben Enkel. Was erwarten die von Ihnen, der ers-ten Frau im Amt des Speakers in der Geschichte der USA?
Sie nennen mich Mimi, zuallererst bin ich ihre Großmutter. Wenn sie in der Schule die wichtigsten Repräsentanten unseres Landes durchnehmen und mein Bild dabei auftaucht, reagiert ein Teil von ihnen mit Scheu, andere sagen zu ihren Mitschülern: Schau mal, meine Mimi. Mir ist wichtig, dass sie zeitlich nicht zu kurz kommen und nicht weniger von meiner Aufmerksamkeit genießen, weil ich jetzt Speaker bin.
Verlangen die Enkel ein besonderes Eintreten für die Interessen ihrer Generation?
Deshalb habe ich bei meiner Amtseinführung lauter Kinder um mich versammelt. Allen Kindern in den USA soll es gut gehen, egal woher sie kommen. Als Großmutter gewinnt man ein besonderes Verantwortungsgefühl für die nächsten Generationen.
Welche Rolle haben nationale Parlamente in der internationalen Politik? Wie viel Ihrer täglichen Arbeitszeit widmen Sie der Innen- und wie viel der Außenpolitik?
Die Innenpolitik nimmt den Großteil in Anspruch. Alle Volksvertreter leisten einen Amtseid, dass sie die Verfassung verteidigen und das amerikanische Volk schützen. Das betrifft auch die Außen- und Sicherheitspolitik, eingeschlossen unser Militär. Wir wollen, dass es hinter keiner anderen Armee zurückfällt. Aber zugleich wollen wir gesunde diplomatische Beziehungen. Die Frage, welchen Respekt die USA genießen, spielt eine große Rolle. Auch die internationale Zusammenarbeit bei der Begrenzung der Massenvernichtungswaffen, im Kampf gegen den Terror sowie gegen Krankheiten, Armut und Erderwärmung sind wichtige Pfeiler.
Die gegenseitige Abhängigkeit der Staaten nimmt durch die Globalisierung zu. Erhöht oder vermindert das den Einfluss nationaler Parlamente?
Ich meine, es steigert die Bedeutung nationaler Parlamente. Ich merke das an dem wachsenden Besucherstrom. Jede Woche habe ich Gäste: aus Taiwan, Saudi-Arabien, Großbritannien, Japan und anderen Ländern. Im Mai war Bundestagspräsident Norbert Lammert hier. Diese persönlichen Kontakte sind wichtig, weil wir weltweit vor ähnlichen Herausforderungen stehen, zum Beispiel Energiesicherheit, Umwelt- und Klimapolitik. Jedes Parlament muss zwar national daran arbeiten, aber kein Land kann es allein schaffen. Es sind ständige Themen, auch umgekehrt bei meinen Besuchen in Deutschland und anderen Staaten Europas.
In der öffentlichen Wahrnehmung spielen die Regierungen die ersten Geige, nicht die Volksvertretungen. Wie können Parlamente die Aufmerksamkeit auf ihre Arbeit lenken?
Wir haben unterschiedliche Systeme. Der Präsident mag seine Meinung haben, wir im Kongress haben unsere eigenen Ansichten. Er kommt nicht aus unserer Mitte. In vielen anderen Ländern stützt sich die Regierung auf die Parlamentsmehrheit. In den USA ist das nicht der Fall. In der Klimapolitik zum Beispiel stimmen wir überhaupt nicht mit Präsident Bush überein. Das ist wie Tag und Nacht. Ich möchte jetzt nicht in einem ausländischen Medium über ihn herziehen, aber wir haben geradezu gegensätzliche Ansichten.
Was ist Ihr erster Gedanke, wenn Sie das Wort Deutschland hören?
Ich war mehrfach in Berlin, auch in Hamburg und anderen Städten. Ich liebe Berlin, die Stadt ist so ungeheuer dynamisch. Und die ganze Kunst dort, das ist phantastisch. Kurz nach dem Mauerfall war ich auf der Ostseite des Tores. Was hat sich seitdem alles geändert! Und dann die Besuche amerikanischer Präsidenten. John F. Kennedy, "Ich bin ein Berliner". Das ist einfach unvergesslich. Oder Ronald Reagen: "Mister Gorbatschow, reißen Sie die Mauer nieder!" Berlin ist für mich der Ort, an dem der Kampf um die Freiheit ausgetragen wurde - und wo die Wende errungen wurde.
Beim Treffen der Parlamentspräsidenten der G8-Staaten in Berlin haben Sie 2007 den Klimawandel ins Zentrum gestellt. Was hat sich seither bewegt?
Die Bush-Regierung hat uns zunächst einen Rückschritt gebracht. Sie war nicht bereit zu führen. Und sie hat bis zum vergangenen Jahr geleugnet, dass es die Erderwärmung überhaupt gibt. Inzwischen sagt sie: Ja, es gibt den Klimawandel, und menschliches Handeln trägt dazu bei. Das ist ein Fortschritt, denn damit gibt sie auch zu, dass die Menschen etwas dagegen tun können. Für die war das eine völlig neue Erkenntnis. Aber manche dieser Konservativen bestreiten ja auch die Evolutionstheorie. Das Leugnen wissenschaftlicher Fakten ging quer durch die Bush-Regierung. Heute ist es keine Frage mehr, ob wir etwas gegen den Klimawandel tun müssen - sondern nur noch, wie wir dabei vorgehen. Forschung und Technik können uns dabei helfen. Es gibt keine einfache Lösung, die Herausforderung ist groß. Ich bin sehr stolz auf Al Gore und seine Reden zu dem Thema. Wir können eine Menge tun, aber wir müssen uns bewusst dafür entscheiden. Und wir müssen international zusammenarbeiten. Ein Land kann den Klimawandel nicht allein bekämpfen, aber manchmal reicht der Widerstand eines Landes, um die Lösung aufzuhalten.
Lernen die Parlamente dabei voneinander?
Gewiss doch. Wir haben in Deutschland viel Interessantes gehört. Egal, ob im Rahmen der EU oder der Nato: Wir sprechen mit allen darüber. Es ist eine Frage der Sicherheit, woher wir unsere Energie bekommen. Es beeinflusst unsere Wirtschaft. Wir können neue Jobs schaffen. Auch die Gesundheit hängt davon ab, wie viele Emissionen wir zulassen. Und es ist eine moralische Verantwortung, wie wir mit der Erde, diesem Geschenk Gottes, umgehen. Wir sollten sie in einem besseren Zustand an die nächste Generation übergeben, als wir sie bekommen haben. Europa ist uns in diesen Fragen voraus. Wir können von den Europäern lernen, etwa beim CO2-Handel. Auch von den Fehlern, die gemacht wurden. Nicht alle Ansätze hatten Erfolg. Und es ist eindrucksvoll, sich zum Beispiel in einer Stadt wie Barcelona erzählen zu lassen, was die alles tun, um die klimapolitischen Vorgaben der EU zu erfüllen - oder sogar noch besser abzuschneiden.
In diesem Wahljahr in den USA geschieht etwas Seltenes: Die Präsidentschaftskandidaten beider großen Parteien kommen aus dem Repräsentantenhaus, dem Kongress. Barack Obama und John McCain sind Senatoren. Steht das für einen Ansehensgewinn des Parlaments?
Nein, eher nicht. Sie haben zwar Recht: Die Präsidenten der letzten Jahrzehnte waren in der Regel zuvor Gouverneure von Einzelstaaten gewesen. Aber die Präsidentenwahl hier ist vor allem eine Persönlichkeitswahl, es geht weniger um die politische Funktion der Kandidaten. Wir sind sehr stolz auf Barack Obama. Es geht um die Wahl zwischen Vergangenheit und Zukunft. Es geht um ein neues Denken, um unsere Handlungs- möglichkeiten.
Washington ist nach meinem Gefühl eine Stadt, die in der Vergangenheit verharrt. Über viele Dinge, die ich als Sprecherin getan habe, hieß es: Zum ersten Mal seit den 1940er-Jahren... oder: zum ersten Mal seit 32 Jahren... Viele Gesetze, die wir verabschiedet haben, hatten eine historische Dimension. Sie veränderten den Status quo. Dafür mussten wir große Widerstände über- winden.
Was war besonders umstritten zwischen Kongress und Präsident?
Präsident Bush teilte leider viele unserer Ansichten nicht, zum Beispiel wenn es um eine Krankenversicherung für jedes Kind ging. Oder die Förderung der Stammzellenforschung. Oder das Bekenntnis zur Schlüsselrolle von Bildung und Forschung. Wir sind bereit für einen neuen Präsidenten. Und für eine neue Politik, von der Verteidigung über eine allgemeine Krankenversicherung - die es in Deutschland längst gibt - bis zum Ziel, die Wirtschaft der USA zu einer "grünen", umweltfreundlichen Wirtschaft umzubauen, aber bei ausgeglichenem Budget. Wir müssen aufhören, mehr auszugeben, als wir einnehmen. Wir sind bereit für einen neuen Präsidenten. Und er ist bereit.
Die Kandidaten haben auch erstmals richtig Wahlkampf im Ausland geführt. John McCain war in Kolumbien, Barack Obama reiste nach Europa und hielt in Berlin eine Rede an der Siegessäule. Wie denken Sie darüber? Sollen ausländische Politiker in die USA kommen und auf der National Mall in Washington oder vor der Freiheitsstatue in New York Wahlkampf führen?
Ich bin zuallererst für die Freiheit, zu reden. Denn ich komme aus Kalifornien. Natürlich müssen Politiker darauf achten, welche Auftritte an welchen Orten passend sind. Aber es gibt symbolische Orte, die gehören der ganzen Welt. Wenn jemand eine Rede zum Einwanderungsrecht vor der Freiheitsstatue halten möchte, dann ist das sehr passend, ganz egal woher der Redner stammt. Es gibt natürlich kulturelle und nationale Empfindlichkeiten, die muss man respektieren.
Das Interview führte Christoph von Marschall.