INTERVIEW
Dirk Kurbjuweit über Fassaden von Politikern und Wege eines Reporters, diese zu überwinden
Herr Kurbjuweit, ist es für einen Journalisten ein gutes Gefühl, einen Termin bei der Kanzlerin zu haben?
Als Journalist ist das für mich natürlich gut. Auch wenn man sich immer sagen muss: Das bin nicht ich, mit dem sich die Kanzlerin trifft. Sie trifft sich mit dem "Spiegel". Dazu kommt, dass sich in vielen Hintergrundgesprächen die Welten trennen. Da ist die Welt, die wir als Journalisten erkennen. Und die Welt, die wir unseren Lesern erzählen. Wenn ich sehr wesentliche Dinge erfahre, über die ich auf Wunsch der Politiker nicht berichten soll, dann funktioniert mein Beruf nicht. Ich muss dann manchmal Wege finden, den Leser trotzdem über das Gesagte zu informieren.
Hat die Politik ein Kommunikationsproblem mit den Menschen?
Auf jeden Fall. Wir haben ja schon seit Jahren einen dramatischen Ausfall an Redekunst. Die große Rede an die Bevölkerung, an den Bürger, die kann keiner.
Barack Obama hat in Berlin vorgemacht, wie das aussehen könnte.
Richtig. Gerhard Schröder konnte im Wahlkampf emotionalisieren. Aber die Agenda 2010 erklären oder gar dafür begeistern, das war nicht drin. ,Pathos kann ich nicht', hat er immer gesagt. Und Angela Merkel besitzt diese Gabe auch nicht.
Brauchen wir mehr Pathos in der Politik?
Ich würde dieses Wort nicht unbedingt verwenden. Aber Leidenschaft, das ja. Ich erwarte, dass Politiker mit einer spürbaren Leidenschaft für ihre Projekte werben.
Welcher Politiker ist leidenschaftlich?
Spontan wäre mir Joschka Fischer eingefallen. Wenn ich die Aktiven betrachte, muss ich allerdings schon überlegen . Wer gut Leidenschaft spielen kann, ist Oskar Lafontaine. Ob er wirklich so ist, wie er tut, kann ich schlecht beurteilen. Auf jeden Fall ist er sicherlich der Vollprofi in der politischen Kommunikation.
Wie stehts mit Lafontaines Parteigenossen Gregor Gysi?
Ja, der ist auch ein Profi. Aber es kann doch kaum sein, dass es nirgends anders einen gibt . Frau Merkel kann in Hintergrundgesprächen politisch leidenschaftlich werden. Sie ist dann eine ganz andere als die, die der Bürger sieht. Argumentiert viel, ist sehr engagiert. In der Öffentlichkeit nimmt sie sich dagegen wahnsinnig zurück, kontrolliert jedes Wort. Das finde ich manchmal etwas schade, dass sie diese zwei Welten so auseinanderhält. Jeder Politiker hat Angst vor seinen Worten. Das liegt auch an uns, den Journalisten. Wir nehmen die Worte auf und machen etwas mit denen. Manchmal hysterisieren wir sie auch. Das führt dazu, dass Politiker noch ängstlicher werden.
Politiker sind es gewohnt, beobachtet zu werden und sich eine Fassade aufzubauen. Wie erfährt man als Reporter trotzdem Dinge, die Politiker vielleicht verbergen wollen?
Durch Beobachten, im wörtlichen Sinne. Man muss extrem genau hinschauen. Wenn ich Reportagen schreibe, dann bin ich die Kamera. Ich stehe da, wo die Fotografen stehen, immer im Pulk, wo gerangelt wird um einen Platz. Als Reporter ist es meine Aufgabe, da zu stehen, denn ich muss beobachten. Worte sind leichter zu kontrollieren als Gesten oder Mimik. Und so tolle Schauspieler sind Politiker dann auch nicht, als dass sie immer nur spielen können. Die große Jagd im Regierungsviertel ist die nach dem echten, nach dem authentischen Moment. Ich schaue, ob ich den irgendwo finde, einen ehrlichen Moment. Für ein "Spiegel"-Stück möchte ich, dass die Kollegen die Leute, die sie porträtieren, wochenlang beobachten. Die sind bei den blödesten Terminen dabei. Und finden hoffentlich in der Masse des Spielens, des Gespielten, diese drei bis vier authentischen Momente.
Alles ist Fassade?
Vieles ist Fassade. Das muss auch zu einem gewissen Teil so sein. Aber unsere Politiker verstecken sich viel zu viel. Eins ist natürlich auch klar - dieses Gebiet hier, auf dem wir uns täglich bewegen, stellt eine Extremsituation des Menschseins dar. Wir Journalisten schauen dabei zu. Das ist erstens interessant und zweitens mit vielen Gefahren und Versuchungen aufgeladen.
Täuscht es, dass Ihren Roman "Nicht die ganze Wahrheit" ein Hauch von Desillusionierung über die Funktionstüchtigkeit des politischen Systems durchweht?
Ich sehe durchaus eine Gefährdung für das Projekt Demokratie. Man muss sich nur anschauen, wie wenig sich die Jugend für Politik interessiert, wie schlecht die allgemeinen Zustimmungsraten zur Demokratie sind, wie gering das Zutrauen in Politiker ist. Die Demokratie ist nicht auf alle Zeiten gesichert, man muss um sie kämpfen. Journalisten übernehmen dabei eine wahnsinnig schwierige Rolle. Wir sind die ersten Kritiker unserer Politiker, müssen das sein. Damit tragen wir dazu bei, dass Politik bei den Menschen nicht gut angesehen ist. Gleichzeitig haben wir aber auch den Auftrag, Demokratie zu verteidigen. Und das ist ein Konflikt. Eigentlich dürfen wir kein Projekt mit einem Politiker gemeinsam haben. Aber in Wahrheit haben wir eins.
Was heißt das konkret für Ihre Arbeit?
Wir müssen Kritiker bleiben und auch das Hässliche an der Politik aufzeigen. Aber wir müssen auch das Gelingen beschreiben. Denn das gibt es, das geht manchmal unter. Journalismus ist eben sehr auf Streit fixiert.
Wird die Große Koalition bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr noch etwas Substanzielles zuwege bringen?
Im Ergebnis wird nicht mehr viel passieren. Wir werden uns das nächste Jahr sehr viel mit dem Wahlkampf beschäftigen.
Ist sie nach der Wahl Geschichte?
Das weiß ich nicht. Wenn ich etwas gelernt habe, dann, keine Prognosen abzugeben. Ich halte in der Politik wahnsinnig viel für möglich. Welt Eins ist vor dem Wahltag, Welt Zwei nach dem Wahltag. Diese Welten haben oft nicht viel miteinander gemein.
Das Interview führte Christian Meier.