FINANZKRISE
Staatliche Eingriffe werden wieder hoffähig. Der Bundestag sucht nach dem richtigen Maß
Je größer die Krise, desto grundsätzlicher die Fragen. Haben die Akteure am Markt versagt oder die Politiker? Wie viel Staat braucht die Soziale Marktwirtschaft? Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) gab in seiner Regierungserklärung am 25. September vor dem Deutschen Bundestag den Krisenmanager. Dramatisch seine Beschreibung der Lage auf den internationalen Finanzmärkten: "Die Welt wird nicht wieder so werden wie vor dieser Krise." Die USA würden ihren Status als Supermacht des Weltfinanzsystems verlieren.
Im Kontrast dazu stand seine Schilderung der deutschen Situation: "Die Bürgerinnen und Bürger müssen keine Angst um ihr Erspartes haben." Das europäische Modell der Universalbanken habe sich dem amerikanischen Trennmodell zwischen Geschäfts- und Investmentbanken als überlegen erwiesen. Das deutsche Bankensystem mit seinen drei Säulen aus Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken sei robuster als das angloamerikanische System mit seiner "überzogenen Renditefixierung".
Unter dem Beifall der Koalitionsfraktionen nutzte der Minister die Gelegenheit, "ordnungspolitische Vorstellungen" der Europäischen Kommission im Hinblick auf den Status der Sparkassen in Deutschland zurückzuweisen. Während die Rettung der Düsseldorfer Mittelstandsbank IKB den deutschen Steuerzahler 1,2 Milliarden Euro koste, müsse der US-Steuerzahler mit einer Billion Dollar für die Krise geradestehen. Den ins Straucheln geratenen Landesbanken empfahl Steinbrück dennoch neue, zeitgemäße Geschäftsmodelle.
Zum laufenden Krisenmanagement muss aus Sicht des Ministers eine stärkere Regulierung auf internationaler Ebene hinzukommen. Neue "Verkehrsregeln" würden nach dieser "Bankrotterklärung" des zuletzt weithin dominierenden "Laisser-faire-Kapitalismus" benötigt. Auf lange Sicht könne die Krise jedoch die Idee der Sozialen Marktwirtschaft weltweit stärken, sagte Steinbrück. Jetzt müsse der Staat den Märkten Spielregeln geben und Grenzen setzen.
Dass es in den USA ein "völlig unzureichendes Regulierungssystem" gegeben habe, ist aus Sicht des finanzpolitischen Sprechers der FDP-Fraktion, Hermann Otto Solms, "ein Fehler des Staates und nicht des Marktes". Auch für Deutschland diagnostizierte Solms "Staatsversagen der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers", weil die deutsche Aufsichtsbehörde Bafin nicht erkannt habe, dass es Geschäftsmodelle gab, die "gefährliche Schneeballeffekte auslösen könnten". Bei der Staatsbank KfW habe der Bundesrechnungshof schon 2003 auf Organisations- und Aufsichtsprobleme hingewiesen. Dringend nötig wäre es, so der FDP-Politiker, die durch ihr Engagement bei der IKB in Mitleidenschaft gezogene KfW der "unabhängigen Aufsicht der Deutschen Bundesbank" zu unterstellen.
"Wir haben aufgrund des Regimes der internationalen Finanzmärkte keine soziale Marktwirtschaft mehr", so die Schlussfolgerung des Fraktionschefs der Linken, Oskar Lafontaine. Die Märkte hätten eine Fehlorientierung der Politik erzwungen, was zum Abschied von der Demokratie und vom Sozialstaat geführt habe. Entscheidungen seien nicht mehr so getroffen worden, dass die Interessen der Mehrheit dabei berücksichtigt wurden. Durch die "Privatisierung der Sozialversicherungssysteme" hätten Rentner erhebliche Verluste in Kauf nehmen müssen, durch Deregulierung seien die Löhne ins Rutschen gekommen. "Die Parole der Zeit ist nicht mehr Deregulierung", sagte Lafontaine, "sondern ein Staat, der reguliert." Die Formel von der Überlegenheit freier Märkte sei an die Wand gefahren: "Wir müssen gegen die internationalen Finanzmärkte regieren, um endlich wieder Ordnung in das System zu bringen." Auch für den Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Fritz Kuhn, ist die "neoliberale Konzeption einer Marktwirtschaft" gescheitert, die staatliche Regeln als Wachstumsbremsen versteht. Marktversagen ist für ihn immer auch eine Form von Politikversagen, weil die Politik in einer funktionierenden Marktwirtschaft den Rahmen so setzen müsse, dass die Finanzmärkte nicht so leicht versagen können. Gebraucht werde nun ein neues System klarer Regeln für diese Finanzmärkte, eine Rahmenordnung für Ratingagenturen, eine europäische Finanzkontrolle. Ein Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen um KfW und IKB könne Erkenntnisse liefern, wie die Instrumente "zu schärfen sind" und wie die Finanzaufsicht in Deutschland klug aufgeteilt werden kann.
Im Übrigen hält Kuhn ein oder zwei Landesbanken für ausreichend, um zu verhindern, dass sich die dezentrale Struktur der Sparkassen international nachteilig auswirkt. Bei den Landesbanken will CDU/CSU-Fraktionsvize Michael Meister zunächst die Länder als Eigentümer in die Pflicht nehmen. Er sieht die Soziale Marktwirtschaft durch diese Krise bestätigt. "Wir treten für Märkte ein, auf denen klare Rahmenbedingungen und Regelwerke gelten." Man wolle weder die Märkte noch die Regeln beseitigen. Statt dessen sollte das Modell der Sozialen Marktwirtschaft, zumindest seine Grundprinzipien, in andere Länder und in internationale Organsationen exportiert werden, um ein "etwas größeres Sicherheitsnetz zu schaffen". In dieser Krise liegt für ihn auch eine Chance, um die Märkte für die Zukunft zu stabilisieren, sagte Meister. Sorgen um Spareinlagen und die Altersversorgung sind nach seinen Worten unbegründet. Die betrieblichen und privaten Instrumente der Altersvorsorge funktionierten auch in der Krise, sie dürften nicht diskreditiert werden.
"Die Marktteilnehmer haben versagt", so die Einschätzung von SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler. Die Marktdisziplin sei verschwunden. Aufgrund dieser Krise habe der Staat das "moralische Recht", eine klare Neuordnung auf den Märkten vorzunehmen. "Diesen Auftrag lassen wir uns nicht mehr nehmen." In Amerika, in England und überall da, wo "die Deregulierer gesiegt haben", stehe nun ein "Fenster der Gelegenheit" offen. Selbst die Liberalen seien "regulierungsfromm" geworden, sagte Stiegler. Manche würden vom Deregulierer zum Regulierer werden: "Es passt auch zu den Geschehnissen auf den Finanzmärkten, auf welch abenteuerliche Weise hier versucht wird, sich an die Spitze zu setzen."