LITAUEN
Nach den jüngsten Parlamentswahlen stehen den Konservativen schwierige Koalitionsverhandlungen bevor. Im Parteienspektrum dominieren jetzt drei populistische Parteien
So ganz wissen die Litauer noch nicht, was sie am 12. Oktober in die Seimas, das litauische Parlament, gewählt haben. Erstens, weil Andrius Kubilius mit seinem konservativen Bündnis aus Christdemokraten und Heimatunion zwar die Wahl gewonnen hat, aber vor einer schwierigen Regierungsbildung steht: Von 16 Parteien haben es sieben über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. Die Anteile von Liberaler Bewegung und Liberal-zentristischer Union werden kaum reichen, um Kubilius' Konservativen eine Mehrheit zu verschaffen.
Zweitens, weil die Litauer zur zweitstärksten Kraft eine Partei ("Wiederauferstehung des litauischen Volkes") gewählt haben, von der niemand so recht weiß, wofür sie eigentlich steht: Spaß oder Ernst?
Per Listenwahl wurden außerdem am 12. Oktober nur knapp die Hälfte der 141 Sitze im Parlament vergeben. Die andere Hälfte wurde am 19. Oktober in einer Stichwahl zwischen den jeweils stimmstärksten Direktkandidaten in den Wahlkreisen bestimmt (die Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor). Diese zweite Wahlrunde könnte noch das eine oder andere Direktmandat bringen für Splitterparteien wie die der russischen und der polnischen Minderheit, die Rechtsaußen-Partei "Junges Litauen" oder die "Bauern- und Volksunion" der frühen Premierministerin Kazimiera Prunskiene.
Fest steht aber schon jetzt, dass die sozialdemokratische Regierung unter Premier Gediminas Kirkilas mit 11,7 Prozent der Stimmen und 11 von 70 zu vergebenen Mandaten eine schwere Schlappe erlitt. Schuld sind die zweistellige Inflationsrate, die Angst vor einem Ende des Wirtschaftswachstums - und die Russen. Seit der Krise im Kaukasus lässt sich im ehemals sowjetischen Baltikum gut punkten mit der alten Angst, schließlich waren bei den Sozialdemokraten lange die einst kommunistischen Funktionäre zu Hause. So setzten vor allem die Konservativen, die 19,6 Prozent der Stimmen und 17 Mandate erhielten, im Wahlkampf auf die Furcht vor den früheren Besatzern.
Wenn der Realpolitiker Kubilius - er war schon von 1999 bis 2000 Premierminister -, die Bedrohung durch Russland dramatisiert, nutzt ihm das vor allem im Machtkampf gegen zwei andere Politiker: Viktor Uspaskich und Rolandas Paksas. Ihnen wird vorgeworfen, sie bekämen Geld aus Russland. Kubilius schließt wegen der "unklaren Verbindungen" ein Bündnis mit der linkspopulistischen Arbeitspartei des russischstämmigen Self-Made-Millionärs Uspaskich ebenso aus wie mit der rechtspopulistischen "Recht und Ordnung" von Paksas. Uspaskich musste 2005 als Wirtschaftsminister wegen seiner Beziehungen zu russischen Firmen zurücktreten. Immer noch wird gegen ihn ermittelt, doch jetzt hat er ein Mandat errungen, das ihm Immunität verschafft.
Paksas wurde 2004 seines Amtes als Staatspräsident enthoben, weil er es zugunsten eines russischen Geschäftsmanns missbraucht hatte. Er selbst darf kein Amt mehr annehmen und denkt vielleicht deshalb daran, dass seine Partei - mit 12,7 Prozent und 11 Mandaten bislang drittstärkste Kraft - in der Opposition bleiben könnte.
Auch den Sozialdemokraten werden enge Verflechtungen zur Wirtschaft vorgeworfen. Im Bauboom vergangener Jahre gedieh die Korruption wie die Pfifferlinge in den litauischen Wäldern. Dagegen zieht die Partei "Wiederauferstehung des litauischen Volkes" zu Felde. Der Fernsehmoderator Arunas Valinskas, eine Art litauischer Günther Jauch, hat sie vor wenigen Monaten gegründet, viele TV-Kollegen stehen auf ihren Listen. Neben Slogans wie "Das Schiff sinkt - aber mit uns macht es mehr Spaß" hat sich die Partei dem Kampf gegen die Korruption verschrieben. Sie will die Zahl der Abgeordneten halbieren und Bürokratie abbauen. Mit 15,1 Prozent und 13 Mandaten ist sie nach der ersten Runde zweitstärkste Kraft. Es ist unwahrscheinlich, dass sie ernsthaft für eine Koalition in Frage kommt - zumal jetzt auch einige Kandidaten abwinken: Sie hatten wohl nicht erwartet, wirklich ins Parlament gewählt zu werden.
Die etablierten Parteien müssen sich nicht wundern, dass sie den Fluch des Populismus nicht loswerden. Sie setzten mit der Wahl auch ein Referendum über die Zukunft des Atomkraftwerks Ignalina an, obwohl die längst besiegelt ist. Die Schließung des Reaktors vom gleichen Typ wie Tschernobyl bis Ende 2009 war eine Bedingung für Litauens Aufnahme in die EU. Dennoch lag der Anteil der Ja-Stimmen bei über 90 Prozent. Da die Wahlbeteiligung knapp unter den nötigen 50 Prozent lag, ist das Referendum jedoch nicht gültig. Noch-Premier Kirkilas hofft trotzdem, dass die EU es Litauen erlaubt, das AKW bis 2012 weiterzufahren, um weniger von russischer Energie abhängig zu sein; das AKW deckt drei Viertel des litauischen Strombedarfs.
Bisher sagt Kubilius, der von Präsident Adamkus den Auftrag zur Regierungsbildung erwarten kann, nur, er sehe Chancen für "eine Koalition des Wandels". Das klingt nicht nach einem Bündnis mit den bisher regierenden Sozialdemokraten. Bekäme er keine Koalition zustande, könnten sich die Sozialdemokraten mit Arbeitspartei und "Wiederauferstehung" einlassen. Dann hätte der Populismus in Litauen gesiegt. Mal wieder.