GESUNDHEITSFONDS
Widerstand der Opposition bis zuletzt. Schon im nächsten Jahr drei Milliarden Euro Defizit befürchtet
Eigentlich ging es bei Punkt 35 der Tagesordnung des Bundestages um eine eher technisch anmutende Vorlage. Doch die Diskussion am 17. Oktober zum "Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung" ( 16/9559), der mit den Stimmen der Koalition gegen die Opposition verabschiedet wurde, geriet einmal mehr zur Generalabrechnung mit dem Gesundheitsfonds und der Gesundheitsreform.
Dass Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) mit Blick auf die Debatte zum Banken-Hilfspaket sagte, gerade diese Situation habe einmal mehr bewiesen, wie gut es sei, dass man in der Sozialversicherung nicht auf das Modell der Kapitaldeckung umgestiegen sei, erboste den FDP-Gesundheitsexperten Daniel Bahr. Er warf der Ministerin eine "unseriöse Argumentation" vor, denn genau aus diesem Grund hätten die gesetzlichen Krankenkassen immer "von der Hand in den Mund gelebt" und keine Rücklagen gebildet, wie es sinnvoll gewesen wäre. Der Fonds sei eine "grundlegend falsche Weichenstellung".
Doch abseits des Streits dürften für die Versicherten Details der Neuorganisation auf den ersten Blick weniger wichtig sein als die Festlegung des einheitlichen Beitragssatzes. 15,5 Prozent werden alle gesetzlich Krankenversicherten ab dem 1. Januar 2009 zahlen. Ihr Geld geht in den großen Gesundheitsfonds, der es wiederum an die Kassen verteilt, je nach Alter und Geschlecht der Versicherten. Haben Kassen überdurchschnittlich viele alte und chronisch Kranke, deren Behandlung teuer ist, wird ihnen mehr Geld zugewiesen.
Doch für die Kassen ändert sich mehr als die Art, in der sie ihr Geld erhalten: Nach der Neuregelung sind künftig alle Kassen insolvenzfähig. Bislang konnten etwa Allgemeine Ortskrankenkassen nicht pleite gehen, weil die Länder eingesprungen wären - für die Bundesregierung "ungleiche wettbewerbliche Ausgangspositionen". Ab 1. Januar 2010 sollen alle Kassen in den Anwendungsbereich der Insolvenzordnung fallen und sind künftig verpflichtet, "ausreichendes Deckungskapital" zu bilden
Für diesen Kapitalaufbau sind insgesamt bis zu 40 Jahre vorgesehen. Einzelheiten zum Aufbau des Deckungskapitals sollen im kommenden Jahr geregelt werden. Außerdem müssen die Kassen eine sogenannte Liquiditätsreserve - etwa 800 Millionen Euro jährlich - aufbauen. Daraus soll die Konvergenzklausel finanziert werden: Diese vom ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber ausgehandelte Regelung besagt, dass kein Land durch den Finanzausgleich aus dem Gesundheitsfonds mit mehr als 100 Millionen Euro belastet werden darf und reiche Länder nur bis zu dieser Grenze herangezogen werden können, um denen unter die Arme zu greifen, die nur geringe Beitragseinnahmen haben.
Noch auf den letzten Metern hatten Opposition und Interessenverbände versucht, den Fonds zu kippen. In einer Anhörung des Gesundheitsausschusses am 15. Oktober hatten viele Sachverständige Kritik an den Plänen geäußert und prognostiziert, der Einheitsbeitrag werde nicht ausreichen, um die Kosten der Krankenkassen zu decken. Am 16. Oktober beschwor eine Gruppe verschiedener Gesundheitsexperten die Fraktionen des Bundestags in einem Brief, den Fonds doch noch ad acta zu legen.
Für Gesundheitsministerin Schmidt sind dies allerdings "interessengeleitete" Versuche, die wichtige Reform zu verhindern, und außerdem "falsche Behauptungen".
Schmidt sieht die beschlossenen Regelungen als letzte Schritte hin zu mehr Übersichtlichkeit und Transparenz in der Gesundheitsversorgung. Es gehe damit künftig "einfacher, gerechter und fairer" zu, kündigte sie an. Bislang gebe es rund 208 Krankenkassen mit 39 verschiedenen Beitragssätzen: "Es ist fair, wenn alle den gleichen Prozentsatz zahlen und dafür das gleiche Recht auf medizinische Versorgung haben." Schmidt zeigte sich optimistisch, dass die Berechnungen des Schätzerkreises exakt genug seien, um die Auslagen der Krankenkassen für das kommende Jahr abzusichern. Wenn es zu Einbrüchen kommen sollte, würden diese nicht von den Kassen getragen: "Dann steht der Staat gerade."
Vorwürfe, es sei der Gesundheitsfonds, der die finanziellen Belastungen der Versicherten in die Höhe treibe, wies Schmidt zurück. Die Beiträge würden steigen, weil man höhere Honorare für die Ärzte ausgehandelt und Leistungen etwa bei den Reha-Ansprüchen ausgebaut habe.
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Union, Annette Widmann-Mauz, sagte, alle Krankenkassen würden zum 15. November über die Höhe ihrer Zuwendungen informiert und könnten sich damit auf das nächste Jahr einstellen. Die Kassenmanager könnten nun beweisen, ob sie auch "zu anderen Tätigkeiten als zum Unterschreiben wenig sachverständiger Papiere" in der Lage seien und eine gute medizinische Versorgung der Versicherten organisieren könnten: "Willkommen in der neuen Welt des Gesundheitsfonds."
Für die Grünen warnte Birgit Bender davor, es sei bereits jetzt absehbar, dass es im kommenden Jahr eine Finanzierungslücke von rund drei Milliarden Euro geben werde, weil der einheitliche Beitragssatz nicht zur Deckkung der Ausgaben ausreichen werde. Damit würden zwangsläufig "Zusatzbeiträge für Versicherte" erhoben werden. Linksfraktions-Sprecher Frank Spieth bezeichnete die Gesundheitsreform als "Geisterfahrt", die letztlich den Versicherten immer mehr aufbürde. Ohnehin sei die Reform so kompliziert, das "nur noch zwei Handvoll Abgeordnete in der Lage sind, das Gesamtpaket nachzuvollziehen".