MINDESTLÖHNE
Koalition erwartet neue Arbeitsplätze durch besseren Schutz der Beschäftigten
Angespornt vom Druck der Weltfinanzkrise haben Union und SPD ein klares Bekenntnis zu Mindestlohn-Regelungen abgelegt. Teile der SPD, vor allem aber Grüne und Linkspartei wollen noch mehr und fordern einen gesetzlichen Mindestlohn, wie er in 20 EU-Staaten bereits eingeführt ist. Allein die FDP erscheint wie ein Rufer aus früheren Zeiten und plädiert für Freiheit in der Wirtschaft. Sie will von einem Staat, der bei den Löhnen durchgreift, nichts wissen.
Ohne Weltfinanzkrise hätte die Arbeitsmarktpolitik am 16. Oktober im Bundestag zum Höhepunkt der Debattenwoche werden können. Nach jahrelangen Diskussionen hatte sich die Koalition von Union und SPD endlich auf gesetzliche Maßnahmen zur Regelung von Mindestlöhnen verständigt.
In der Öffentlichkeit ist der Mindestlohn bis heute heftig umstritten. Die Wirtschaft ist größtenteils dagegen, in der Bevölkerung hat das Projekt eine Mehrheit. Als sich die Koalition im November 2007 darauf verständigte, einen Mindestlohn in der Postbranche einzuführen, gingen viele Tochtergesellschaften des größten privaten Briefdienstleisters PIN AG in Konkurs. Kritiker sahen sich bestätigt, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze kosten würden.
Dagegen erklärte Arbeitminister Olaf Scholz (SPD) in der Debatte, es gebe bis heute keine empirischen Belege, dass ein Mindestlohn Arbeitsplätze kosten würde. Im Gegenteil: Wo Mindestlöhne eingeführt worden seien wie etwa in Großbritannien, sei es auf dem Arbeitsmarkt aufwärts gegangen. Durch die staatlichen Interventionen im Finanz- und Bankensektor fühlt sich Scholz bestätigt: "Denn aus der richtigen Erkenntnis, dass sich der Staat in einer Marktwirtschaft nicht in alles einmischen soll, folgt lange nicht der Schluss, dass er sich aus allem raushalten soll." Es sei notwendig, Grenzen zu ziehen, damit die Löhne nicht ins Kellergeschoss gedrückt werden würden. Mindestlöhne seien "keine sozialromantische Idee". Sie würden verhindern, dass Unternehmen Wettbewerb mit Lohndumping betreiben.
Hohe Beschäftigung sei das beste Mittel gegen niedrige Löhne, aber man wolle ergänzend einen rechtlichen Rahmen dafür setzen, dass in Deutschland gerechte Löhne gezahlt würden, betonte der CDU-Abgeordnete Ralf Brauksiepe. "Einen anständigen Lohn für eine anständige Arbeit zu bezahlen, das ist ein urchristliches Anliegen", so der CDU-Politiker. Das sei auch die beste Voraussetzung für eine soziale Marktwirtschaft.
Heinrich Kolb (FDP) warnte, die Bundesrepublik stehe am Scheideweg. Er warf der Koalition eine "strategische Fehlentscheidung" vor, die das Land und die Volkswirtschaft auf Jahrzehnte schwer belasten und schädigen könne. Diese Fehlentscheidung sei allenfalls vergleichbar mit dem "Irrweg" der Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich, die für das Verschwinden vieler einfacher Tätigkeiten gesorgt habe. Bei den Postdientleistern seien binnen weniger Monate 6.000 Arbeitsplätze verschwunden. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel bezeichnete Mindestlöhne als "maximalen Unsinn". Wenn sie zu niedrig seien, wirkten sie nicht. Seien sie zu hoch, würden sie Arbeitsplätze vernichten.
Linksfraktion und Grünen gehen die Pläne der Regierung dagegen nicht weit genug. Werner Dreibus (Die Linke) forderte einen flächendeckenden Mindestlohn. Wo ein Mindestlohn eingeführt worden sei, habe er in keiner Weise geschadet. Brigitte Pothmer (Bündnis 90/Die Grünen) hielt der Regierung vor, tatenlos zugesehen zu haben, wie sich der Niedriglohnsektor ausgebreitet habe. Auch die SPD-Abgeordnete Andrea Nahles sagte: "Im Übrigen brauchen wir einen flächendeckenden Mindestlohn."
1,8 Millionen Arbeitnehmer seien bereits heute durch Mindestlöhne geschützt, teilte Scholz mit. Acht weitere Branchen hätten sich gemeldet, um in das Gesetz aufgenommen zu werden und einen gesetzlichen Mindestlohn zu erhalten. Es handelt sich dabei unter anderem um die Branchen Bauhauptgewerbe, Gebäudereinigung sowie Briefdienstleistungen. Auch die Fleischindustrie will Mindestlöhne einführen. Für andere Branchen mit einer Tarifbindung von mindestens 50 Prozent bestehe das Angebot, in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen zu werden, so die Regierung. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ( 16/10486) ist eines von zwei Gesetzen das zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen wurde. Danach sollen Tarif-Mindestlöhne für alle Arbeitnehmer einer Branche verbindlich gemacht werden können, wenn eine Tarifvertragspartei dies beantragt. Mit dem Mindestarbeitsbedingungengesetz ( 16/10485) will die Koalition Mindestlöhne in Branchen mit wenigen Gewerkschaftsmitgliedern (unter 50 Prozent der Beschäftigten) einführen.