In den Reihen der Hirnforscher besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass seelisch-geistige Phänomene ausnahmslos als Hirnprozesse physisch realisiert sind; es gibt jedenfalls keine anerkannten empirischen oder gar experimentellen Hinweise auf hirnunabhängige seelisch-geistige Phänomene. Das Verhalten und Erleben eines Individuums in seiner Umwelt ist demnach zwar untrennbar verknüpft mit den Prozessen in einem seiner Organe, nämlich dem Gehirn; aber diese Phänomene sind offensichtlich nicht identisch.
Während das Dass dieses Geist-Gehirn-Zusammenhangs klar scheint, ist das Wie weitgehend ungeklärt. Klinische Neuropsychologen beobachten die Folgen von Hirnerkrankungen auf das menschliche Erleben und Verhalten (z.B. Sprachverlust nach einem Schlaganfall). Experimentelle Neuropsychologen verändern gezielt physisch die Hirnfunktion, z.B. im Tiermodell durch chirurgische Läsionen (Beschädigungen) oder beim Menschen mittels Drogen oder repetitiver transkranieller (durch den Schädel verlaufende) Magnetstimulation, und untersuchen die Effekte dieser Interventionen auf das Verhalten und Erleben des Individuums. Psychophysiologen gehen gleichsam den umgekehrten Weg und kontrollieren das Verhalten und Erleben im Rahmen experimentalpsychologischer Paradigmen und Konzepte (z.B. durch definierte Stimuli oder Aufgabenstellungen), während sie gleichzeitig mit Hilfe der Elektroenzephalographie (EEG), der funktionellen Bildgebung des Gehirns (fMRI u.a.) oder anderen ungefährlichen physiologischen Messverfahren die im Gehirn ausgelösten Prozesse beobachten (z.B. regionale Blutflussänderungen infolge lokal gesteigerter Nervenzellaktivität).
Auf faszinierende Weise lassen sich für verschiedene psychische Funktionen Hot Spots der Hirnaktivität ausmachen, deren Unversehrtheit eine notwendige Voraussetzung für die intakte Funktion darstellt. Man kennt, um nur einige Beispiele zu nennen, die primären motorischen und taktil-sensorischen Regionen (Gyrus prae- und postcentralis), die für die Bildung episodischer Gedächtnisinhalte unbedingt erforderlichen Strukturen (der Hippocampus im tiefen Schläfenlappen), Regionen, die an Emotionsverarbeitung entscheidend beteiligt sind (z.B. Mandelkern) sowie Areale, die im Falle von Erfolgs- und Belohnungserlebnissen stark aktivieren (Nucleus accumbens, das Striatum, so genanntes "Belohnungssystem"). Wenngleich die funktionelle Bildgebung bei gesunden Probanden für sich genommen nicht beweisen könnte, dass die beobachteten Hirnprozesse ("Aktivierungen") für die intakten kognitiven Prozesse tatsächlich kausal relevant sind, so wird mit Hilfe der Bilddaten in Verbindung mit dem bereits vorhandenem Struktur-Funktions-Wissen quasi sekundär eine Art psychologische "Sezierung" eines kognitiven Prozesses möglich.
Psychologisches Wissen kann in ganz verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen dazu eingesetzt werden, gewünschtes Verhalten zu befördern und unerwünschtes zu unterdrücken (Psychotherapie, Pädagogik, Forensik, Personalauswahl/-entwicklung, Werbung usw.). In der Werbewirkung spielen keine anderen psychologischen Faktoren und Funktionen eine Rolle als im sonstigen menschlichen Erleben und Verhalten auch: Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Lernen und Gedächtnis, Emotion, Motivation, Einflüsse der Persönlichkeit, der sozialen Situation. Marken- und Werbepsychologie werden seit Jahrzehnten betrieben, und die Forschungsergebnisse fließen in die Planung von neuen Produkten und Marketingstrategien maßgeblich ein. Größere Unternehmen und Werbeagenturen leisten sich eigene werbepsychologische Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, oder sie kooperieren intensiv mit akademischen Partnern. Der Versuch, menschliches Verhalten und Erleben unter dem Gesichtspunkt einer kommerziellen Anwendung dieses Wissens zu erforschen, ist mindestens so alt wie die wissenschaftliche Psychologie. Konditionierung, Lernen am Modell und die Ausnutzung aufmerksamkeits-, wahrnehmungs- oder denkpsychologischer "Schwächen" sind in unserer von Werbung geprägten Kultur an der Tagesordnung. Ist es nicht erstaunlich, dass die Psychologie bisher nicht zum Gegenstand öffentlicher Ethikdebatten wurde?
"Neuromarketing" bezeichnet die Psychophysiologie bzw. Neuropsychologie der Marken- und Werbewirkung, d.h. eine um neurowissenschaftliche Verfahren erweiterte Marken- und Werbepsychologie. Es sind bereits viele zuverlässig reproduzierbare marken- und werbepsychologische Effekte bekannt - aber keinesfalls verstanden. Das Neuromarketing sucht nach Erklärungen auf der Ebene des Gehirns. Die Neuropsychologie der Werbewirkung kann dabei Verhaltenseffekte einer gezielten Manipulation des Gehirns ermitteln; z.B. wäre es denkbar, dass die Applikation geeigneter, in der Raumluft gelöster neuroaktiver Substanzen über die Nasenschleimhaut die Kauflaune von Kunden und schließlich ihr Kaufverhalten günstig beeinflussen (Stichwort: Oxytocin). Aber Marketeers (Personen, die für die Vermarktung eines Produktes zuständig sind) beabsichtigen wohl kaum, unmittelbar physiologisch-mechanisch, chemisch, genetisch oder elektro-magnetisch in den Köpfen ihrer Kundinnen und Kunden zu intervenieren. Ein offener Einsatz neurophysiologischer Beeinflussungsverfahren erscheint auf lange Sicht hin inakzeptabel; ein heimlicher Einsatz wäre hoch riskant im Hinblick auf das Firmenimage. Die Grenzen zwischen noch psychologischer und bereits neurophysiologischer Manipulation sind allerdings fließend. Es sei hier aber daran erinnert, dass eine psychologische Stimulation subtiler und effektiver sein und die Integrität der Person letztlich stärker gefährden kann als eine neurophysiologische Manipulation.
Psychophysiologen können mittels funktioneller Bildgebung des Gehirns die neuronalen Mechanismen bekannter oder vermuteter marken- und werbepsychologischer Effekte aufschlüsseln. Tatsächlich verbinden sich heute mit dem Begriff "Neuromarketing" vor allem dieser Ansatz und die außerklinische, nichtinvasive (weder Injektionen noch Strahlung anwendende) Forschung an gesunden Probanden ohne jede Intervention auf Gehirnebene. Es ist unstrittig, dass diese Forschung dazu beiträgt, die Funktionen bestimmter Hirnareale zu erforschen: Mit Hilfe experimentalpsychologischer Verfahren identifiziert man bestimmte Module der Hirnfunktion und charakterisiert sie anhand ihrer psychologischen Funktion. Sekundär, d.h. unter Rückgriff auf bereits vorhandenes Struktur-Funktions-Wissen, ermöglicht dieses "Neuroimaging" eine genauere psychologische Analyse kognitiver Prozesse. Zum Beispiel könnte strittig sein, ob das Erleben einer bevorzugten Marke eher gedächtnisbezogen mit dem Wiederaufleben früherer positiver Erinnerungen oder eher motivational mit aktuellem Belohnungserleben zu tun hat. Eine funktionell-bildgebende Studie könnte zur Klärung dieser Fragestellung wertvolle Daten liefern, denn im Fall der gedächtnisbezogenen Hypothese würde man eine starke Aktivierung gedächtnisassoziierter Hirnstrukturen im tiefen Schläfenlappen erwarten (Hippocampus), während eine Aktivierung des mit Belohnungssituationen assoziierten Nucleus accumbens im Stirnhirn eher ein motivationales Modell bestätigen würde.
Werbemaßnahmen, die mit dem Hinweis auf bestimmte Vorteile auf der Hirnebene angepriesen werden - was durchaus nicht selten ist -, können heute im Hinblick auf diese Behauptungen evaluiert werden (z.B. stärkere Aktivierung der rechten Hirnhälfte bei Verwendung von Bildmarken, stärkere Aktivierung von emotionsassoziierten Arealen bei Verwendung von Gesichtern). Auch zur Aufklärung der Ursachen differenzieller Effekte von Werbemaßnahmen können Hirndaten beitragen: Warum verfangen bestimmte Werbemaßnahmen zum Beispiel nur bei jungen oder bei weiblichen oder bei extravertierten oder bei europäischen Kunden? In dieser Hinsicht darf man vom Neuromarketing zu Recht einen Erkenntnisfortschritt erwarten, der über die bloße Illustration bereits bekannter psychologischer Phänomene hinausgeht und zugrunde liegende neuronale und (indirekt) psychologische Mechanismen aufzuklären hilft.
Doch wie beim neuropsychologischen Zugang stellt sich auch hier die Frage, wie interessant die Problemstellungen und möglichen Forschungsergebnisse eines psychophysiologisch angelegten Neuromarketings für den Anwender sind. Diese werden die Wirkung ihrer Maßnahmen weiterhin ja nicht an mutmaßlichen oder gar nachgewiesenen Hirnaktivierungen, sondern an repräsentativen Umfragewerten (Bekanntheits- und Einstellungsmessungen) und (besser noch) manifesten Umsatzzahlen (Kaufverhalten) ablesen wollen. Das heißt, aus Sicht des reinen Anwenders zählt und genügt methodisch und konzeptuell die psychologische Ebene - das Erleben und Verhalten von Kunden unter dem Einfluss eines werblich gestalteten Kontexts. Die Einstellungs- und Verhaltenseffekte selbst, um die es dem Marketeer letztlich geht, lassen sich zudem kostengünstiger ermitteln als die ihnen zugrunde liegenden hirnphysiologischen Mechanismen.
Das Neuromarketing muss erst noch beweisen, dass zum Beispiel die Vorhersage des Erfolgs einer Werbekampagne unter zusätzlicher Nutzung kostspieliger neurowissenschaftlicher Verfahren effizienter wird, als wenn man ausschließlich psychologische Verfahren einsetzt. Ferner sollte man nicht vergessen, dass Werbung nicht nur ein individuelles, sondern primär ein soziokulturelles Phänomen darstellt, dessen Wirkung nicht nur in einem einzelnen Gehirn, sondern in einer Vielzahl von Gehirnen eintreten muss. Bisher hat sich das Neuromarketing mit Werbewirkungen ausschließlich auf individueller Ebene befasst; eine laborexperimentelle Abbildung sozialer Phänomene im Kernspintomographen bzw. unter der EEG-Haube ist zwar nicht ausgeschlossen, wird sich aber wohl immer deutlich vom realen Feld unterscheiden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass man mit Neuromarketing - Neuropsychologie und Psychophysiologie - notwendige Voraussetzungen effizienter Werbemaßnahmen auf psychologischer und neuronaler Ebene entdeckt, während deren hinreichende Bedingungen unbekannt bleiben. Die Marken- und Werbepsychologie trägt seit Jahrzehnten dazu bei, Werbemaßnahmen auf einer rationalen psychologischen Basis zu planen und dadurch unnötige Ausgaben zu vermeiden (Beispiel: Einhaltung minimaler Darbietungszeiten für verbale Informationen, damit diese überhaupt gelesen werden können). Psychologische Kenntnisse ersetzen aber weder den kreativen und stets risikobehafteten Prozess der Entwicklung einer neuen Kampagne - ein guter Physiker ist ja auch nicht notwendigerweise ein guter Erfinder - noch deren sorgfältige psychologische und ökonomische Evaluation.
Die Neuroökonomie (neuroeconomics) ist die Psychophysiologie bzw. Neuropsychologie sozioökonomischen Verhaltens von Tieren und Menschen (z.B. Entscheidungen unter Unsicherheit). Dieses Fachgebiet sollte sorgfältig vom Neuromarketing unterschieden werden. Auch mit dem Begriff "Neuroökonomie" verbinden sich langfristig anwendungsorientierte Fragestellungen; doch zum jetzigen Zeitpunkt kann dieses Fachgebiet eher als grundlagenwissenschaftlich eingestuft werden. Es formiert sich derzeit akademisch mit eigenen Fachzeitschriften und Professuren.
Die in der Neuroökonomie verwendeten Paradigmen werden typischerweise bereits seit geraumer Zeit im Bereich der so genannten Behavioral Economics untersucht, einem Teilbereich der Wirtschaftswissenschaften. Die Paradigmen haben einen spieltheoretischen bzw. mikroökonomischen Hintergrund, sodass das optimale Verhalten der Versuchspersonen (oder eines Computergegners) mathematisch berechnet werden kann. Auf diese Weise kann das in den Wirtschaftswissenschaften noch immer weit verbreitete Modell des homo oeconomicus empirisch geprüft werden. Auch wenn von Fachvertretern auf die Abgrenzung zur Psychologie großer Wert gelegt wird, kann dieser Ansatz in einem umfassenden Sinne methodisch und konzeptuell als "psychologisch" qualifiziert werden, denn offensichtlich geht es auch hier primär um Erleben und Verhalten von Individuen oder kleinen Gruppen.
Ein erstes Beispiel: Im so genannten Trust Game erhält ein Proband A von der "Bank" (Testleiter) einen gewissen Geldbetrag, von dem er einer weiteren Person B einen gewissen Anteil abtreten soll. Akzeptiert Person B den Deal, können beide ihren jeweiligen Anteil behalten; lehnt Person B die Offerte von A jedoch ab, bekommen beide nichts. Rational betrachtet, müsste Person B jedes Angebot annehmen; denn jeder erhaltene Betrag ist mehr als nichts. Tatsächlich lehnen Personen aber als unfair empfundene Angebote ab. Die Ablehnungsschwelle unterliegt dabei starken kulturellen Einflüssen - ebenso wie die typischen Angebote von Person A. In manchen Kulturen wird von vornherein mehr als die Hälfte angeboten (und auch nicht weniger akzeptiert), während in anderen Kulturen gerade einmal zehn bis zwanzig Prozent der Summe offeriert und angenommen werden. Die Spielsituation lässt sich vielfach variieren: So können sich die beiden Spieler gegenseitig persönlich bekannt oder unbekannt sein; man kann virtuelle Mitspieler mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften erfinden und dadurch Effekte des Geschlechts, des sozioökonomischen Status, des ethnischen Hintergrundes oder der Persönlichkeit auf das Kooperationsverhalten experimentell untersuchen; ferner kann ein Rollenwechsel stattfinden oder nicht, zuvor angekündigt werden oder nicht, um Effekte der Gegenseitigkeit von fairem und unfairem Verhalten zu ermitteln.
Im Trust Game verbirgt sich die Operationalisierung altruistischen (uneigennützigen) Verhaltens; denn wenn Person B ein Angebot ablehnt, dann bestraft sie auf eigene Kosten Person A für unfaires Verhalten. Dieser Befund erscheint ökonomisch betrachtet unverständlich. Hier setzt die Neuroökonomie ein; denn möglicherweise erbringt die Darstellung der beteiligten Hirnstrukturen interessante Hinweise zur Erklärung dieses eigenartigen Verhaltens. Entsprechende Studien zeigen bei altruistischer Bestrafung eine Aktivierung des Nucleus accumbens. Diese Struktur wird hauptsächlich in erfolgs-, belohnungs- oder lustassoziierten Situationen aktiviert. Wird also bei Ablehnung eines unfairen Angebots vielleicht eine Art heimlicher Lust empfunden, den anderen dadurch für seine Unfairness strafen zu können, dass sein Anteil durch die Ablehnung ebenfalls an die Bank fällt? Ist einem dieses Lustgefühl die eigenen Kosten wert? Es scheint, dass subtile Mechanismen der Entstehung, Aufrechterhaltung und des Abbruchs von Kooperation neurobiologisch bestens verankert sind. Langfristig wird Person A durch die konsequente Bestrafung seitens Person B im Sinne operanter Konditionierung (Lernen durch Belohnung bzw. Verstärkung) lernen, sich (kulturgemäß) fairer zu verhalten - das heißt, die scheinbar irrationale Strategie verursacht auf Seiten von Person B lediglich kurzfristig Kosten im Sinne einer Investition in eine kooperativere Zukunft (die ihr neurobiologisch durch eine positive Aktivierung quasi ausgeglichen werden). Langfristig rechnet sich das scheinbar irrationale Verhalten demnach sehr wohl für Person B.
Ein weiteres Beispiel: Es ist bekannt, dass die beruflich-finanzielle Zufriedenheit ganz entscheidend vom Lohnvergleich mit anderen Personen abhängt. Ist erst einmal ein gewisser Standard erreicht, so bringt ein absoluter Zuwachs weniger zusätzliche Zufriedenheit als ein relativer Zuwachs im Vergleich zu anderen Personen. In bildgebenden Studien konnte gezeigt werden, dass auch relative Lohnunterschiede das "Belohnungszentrum" des Gehirns - unabhängig von der absoluten Lohnhöhe - aktivieren. Dabei hatte man zwei Versuchspersonen gleichzeitig in zwei benachbarten Scannern (Magnetresonanztomographen) gegeneinander spielen lassen. Das Spiel bestand lediglich darin, immer wieder die Anzahl von Punkten einer Punktwolke, die kurzzeitig präsentiert wurde, einzuschätzen. Die nachfolgende Belohnung war von der Richtigkeit der Antworten abhängig, aber in manchen Situationen wurde nach einem vorgegebenen Plan eine der beiden Personen trotz gleich guter Leistung stärker belohnt als die andere (Stichwort: Lohnungerechtigkeit). In diesen Fällen kam es zu einer Aktivierung des Nucleus accumbens auf Seiten des Übervorteilten. Bisher wurden in dieser Studie nur Männer untersucht, und es bleibt abzuwarten, ob die derzeit durchgeführte Folgeuntersuchung an Frauen ähnliche Hinweise auf die belohnende Wirkung relativer Lohnunterschiede erbringen wird.
Die beiden genannten Beispiele verfolgen einen psychophysiologischen Ansatz. Ein abschließendes Beispiel verdeutlicht die Möglichkeiten neuropsychologischer Studien im Bereich der Neuroökonomie: Im Investment Game gibt ein "Sponsor" einen bestimmten Geldbetrag an einen "Gläubiger"; die "Bank" (der Testleiter) verdoppelt diesen Betrag, und der Gläubiger zahlt daraufhin einen frei wählbaren Anteil seines Vermögens an den Sponsor zurück. Dann beginnt das Spiel von vorn. Die Sponsoringbereitschaft kann in diesem Spiel durch angemessene Gewinnbeteiligung seitens des Gläubigers beeinflusst werden. Es ist bekannt, dass das Hypophysenhormon Oxytocin das Bindungsverhalten von Tieren und Menschen positiv beeinflusst; interessanterweise lässt es sich über die Nasenschleimhaut leicht aufnehmen und gelangt von dort schnell ins Gehirn. Wie beeinflusst das Hormon neuropsychopharmakologisch das Verhalten des Sponsors? Es zeigt sich, dass die Vertrauensbereitschaft eines Sponsors unter Oxytocin (im Vergleich zu einem Placebo-Nasenspray) zunimmt, allerdings nur gegenüber Menschen, nicht gegenüber Computermitspielern. Das Verhalten des Gläubigers bleibt von Oxytocin unbeeinflusst. Ergänzende bildgebende Studien der Züricher Forschergruppe konnten kürzlich zeigen, dass dieser Hormoneffekt über eine Deaktivierung des Mandelkerns (Emotion) sowie des Striatum (Belohnungszentrum) vermittelt sein könnte. Ist es also vorstellbar, dass ein Mittelständler, der dringend einen Kredit von seiner Bank benötigt, in Zukunft vor der Verhandlung heimlich ein wenig Oxytocin im Raum versprüht, um seinen Finanzberater gnädiger zu stimmen?
Insgesamt erstaunt das Ausmaß an Kooperation, das im Rahmen behavioral-ökonomischer und neuroökonomischer Studien entdeckt werden kann. Besonders bei Menschen lassen sich komplexe langfristige Kooperationen beobachten. Die Bedingungen der Entstehung, Aufrechterhaltung sowie Beendigung von Kooperation lassen sich mit Hilfe spieltheoretischer Paradigmen empirisch studieren und sind derzeit eines der meist beforschten Themen in der Biologie. Die oben aufgeführten Beispiele verweisen übereinstimmend auf einen ausgeprägten "Fairness-" bzw. Gerechtigkeitssinn, und tatsächlich ist wahrgenommene Fairness bzw. Gerechtigkeit eine wesentliche Bedingung stabiler Kooperationen.
Mit Blick auf die (zukünftige) Anwendung dezidiert neuroökonomischer Erkenntnisse und das Interesse reiner Anwender an dieser Forschungsrichtung kann auf die Ausführungen zum Neuromarketing verwiesen werden. Direkte Hirnmanipulationen sind wohl kaum intendiert, denn die neuropsychologische Neuroökonomie bringt dem Anwender keinen Nutzen. Effekte ökonomischer Maßnahmen werden im manifesten Verhalten erfasst, nicht auf der Ebene der diesem Verhalten zugrunde liegenden Hirnaktivierungen; die psychophysiologische Neuroökonomie hilft dem Anwender ebenfalls wenig. Der reine Anwender wird auch hier auf zuverlässig reproduzierbare psychologische bzw. behavioral-ökonomische Effekte zurückgreifen.
Neuromarketing und Neuroökonomie stehen in besonderer Weise für die derzeitige Ausdehnung der Hirnforschung mit ihren ursprünglich medizinischen Untersuchungsverfahren (EEG, Kernspintomographie) in einen außerklinischen Forschungskontext, bis hin zu einer kommerziellen Anwendung. Die beiden neuen Fachgebiete stellen methodisch und konzeptuell eine neurowissenschaftliche Erweiterung psychologischer (bzw. behavioral-ökonomischer) Forschung dar, welche seit vielen Jahrzehnten existiert, schon lange kommerziell angewandt wird und bemerkenswerterweise bisher kaum öffentlich unter ethischen Gesichtspunkten diskutiert wurde. Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass der reine Anwender an dieser neurowissenschaftlichen Erweiterung - also der Einbeziehung von Hirndaten mittels funktioneller Bildgebung und Ähnlichem - kaum Interesse haben wird. Der Blick in den Kopf des Kunden, den sich der Marketeer vielleicht metaphorisch wünscht, ist eben nicht der Blick in ein fünfzehnhundert Gramm schweres Organ aus Wasser, Fett, Proteinen, Kohlenhydraten und Mineralien, sondern in den "Geist" des Kunden, in die psychologischen Gesetzmäßigkeiten, die dem Verhalten und Erleben zu Grunde liegen. Sowohl im Hinblick auf die Maßnahmen wie auch deren Evaluation ist ausschließlich die psychologische Ebene anwendungsrelevant: Erleben (z.B. Markenbekanntheit und Einstellung zu Marken) und manifestes Verhalten (Verkaufszahlen).
So betrachtet erscheint es eigenartig, nur deswegen, weil in der Marken- und Werbewirkungsforschung nun medizinische Großgeräte zum Einsatz kommen und das Gehirn als Organ in den Blick genommen wird, unter dem Stichwort "Neuroethik" eine aufgeregte Ethikdiskussion zu beginnen. Offensichtlich ist die Meinung weit verbreitet, dass Handeln erst dann eine gesellschaftlich und politisch relevante ethische Dimension erhält, wenn teure Geräte und riskante Technologie ins Spiel kommen - die ethische Dimension von Psychotechniken wird vernachlässigt. Die vielfältige Nutzbarkeit psychologischen Wissens - auch ohne Kenntnis der zu Grunde liegenden neuronalen Mechanismen - wird verkannt. Eine Evaluation des über Jahrzehnte etablierten faktischen Einflusses der Angewandten Psychologie auf das alltägliche und ökonomische Verhalten in vielen verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Kontexten wäre die notwendige Grundlage einer angemessenen neuroethischen Diskussion.
Die aufkommenden neuroethischen Fragestellungen weisen strukturell bedeutsame Ähnlichkeiten zu den in den vergangenen zwei Jahrzehnten intensiv diskutierten Problemstellungen rund um die Genetik und die Gentechnologie auf. Das Gehirn ist dem Verhalten und Erleben, also der Person, allerdings noch näher als das Genom. Vergleichbare Fragestellungen betreffen zum Beispiel den Umgang mit Zufallsbefunden in der Forschung an gesunden Probanden, den Umgang mit prognostisch bedeutsamem Wissen (z.B. Hinweise auf ein deutlich erhöhtes Demenzrisiko bei jungen Menschen), die Frage, wer Zugang zu entsprechenden Daten haben soll und wer nicht (z.B. Lebensversicherungen, Personalabteilungen), sowie die grundsätzliche Frage nach dem Schutz der Privatheit der Person. Die Neuroethik-Debatte würde von einer genauen Analyse der Genethik-Debatte profitieren. Es wäre wünschenswert, dass irrationale Elemente - zum Beispiel unbegründete diffuse Befürchtungen auf der Basis fiktiver Zukunftsszenarios - aus der öffentlichen Diskussion soweit wie möglich herausgehalten werden. Den journalistischen Medien kommt hier eine zentrale Rolle und Verantwortung zu.
Ganz abgesehen davon, dass sich mit guter Werbung oder einem geschickten Verkaufsgespräch keinesfalls nur unerwünschte Manipulationen, sondern durchaus auch angenehme Erfahrungen der gelungenen Verführung zu neuen positiven Erlebnissen verbinden, steht es jedem Unternehmen zu, seine Marketingaktivitäten und den Dialog mit Kunden zu optimieren und entsprechende Studien durchzuführen bzw. durchführen zu lassen. Größere Werbeagenturen forschen, weil sie die vorgeschlagenen Maßnahmen gegenüber ihren Kunden überzeugend begründen möchten. Es erscheint wünschenswert, dass ein möglichst großer Teil dieser Forschung öffentlich, mit akademischer Anbindung erfolgt und regulär im Peer-Review-Verfahren publiziert wird, sodass sich im Prinzip jede und jeder über neue Erkenntnisse informieren kann. Dies würde das Vertrauen in die Seriosität dieser Forschung sowie die Qualität der Studien nachhaltig sichern.
Auf lange Sicht profitiert auch ein Unternehmen von transparenten Kommunikationsstrategien. Bei wachsendem "Manipulationswissen" könnte es notwendig werden, regelmäßig die Rechtslage anzupassen und sicherzustellen, dass bestimmte Formen intransparenter Manipulationen ausgeschlossen sind. Schließlich wäre es denkbar, dass Unternehmen die psychologischen Prinzipien ihrer aktuellen Werbemaßnahmen z.B. auf ihrer Website offenlegen - sei es, weil ein Unternehmen damit ein seriöses Image pflegen kann, sei es, weil die Kunden dies fordern oder weil es rechtlich verpflichtend festgelegt wird.
Neuromarketing wird die unhintergehbaren psychologischen und neuronalen Voraussetzungen für effiziente Werbemaßnahmen eruieren können, dadurch aber keinesfalls auf direktem Wege die perfekte Werbung hervorzaubern. Neuroökonomie wird wichtige Prinzipien für effizientes sozioökonomisches Verhalten aufzeigen können, aber ersetzt nicht den kreativen Prozess inhaltlich adäquater Argumentation und Strategie in der sozialen Alltagswelt. Es gibt daher gute Gründe, der Faszination dieser Forschungsrichtungen und unserer Neugierde an derart alltagsnahen Phänomenen mehr Raum zu geben als den Befürchtungen im Hinblick auf einen nie ganz auszuschließenden Missbrauch neuer Erkenntnisse. 1
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Weiterführende Leseempfehlung: Frank Vogelsang/Christian Hoppe
(Hrsg.), Ohne Hirn ist alles nichts. Impulse für eine
Neuroethik, Neukirchen 2008; mit Beiträgen von Ludger
Honnefelder, Andreas Klein, Georg Northoff, Michael Pauen, Stephan
Schleim/Henrik Walter, Frank Vogelsang und Christian Hoppe sowie
der Journalisten Christian Geyer, Ulrich Schnabel, Carsten
Könneker und Johannes Seiler.