INFEKTIONSKRANKHEITEN
Ein angenehm sachliches Buch über ein aufregendes Thema
Ein ambitioniertes Ziel hat sich Klaus Wiegandt gesetzt: Der ehemalige Vorstandssprecher des Metro-Konzerns zog sich vor zehn Jahren aus dem Geschäftsleben zurück und widmet sich seitdem seiner Stiftung mit dem klingenden Namen "Forum für Verantwortung". Ihr Ziel ist es, nachhaltiges Handeln in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu fördern. Dafür müssen aber die Zivilgesellschaften auf der ganzen Welt über "die wissenschaftlichen Hintergründe und Zusammenhänge" informiert werden, die ein nachhaltiges Handeln ermöglichen, ist die Überzeugung des Stifters Klaus Wiegandt.
Einen verständlichen Überblick über relevante Themen und Handlungsmöglichkeiten zu geben, ist deshalb das Ziel der zwölfbändigen Reihe, die vom "Forum für Verantwortung" herausgegeben wurde. Die Bände beschäftigen sich mit Themen wie Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Energieversorgung oder "nachhaltige Politik".
Auch das Buch "Wächst die Seuchengefahr?" von Stefan H.E. Kaufmann ist Teil dieser Reihe. Der Autor ist Professor für Immunologie und Mikrobiologie und Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. Sein Sachverstand auf wissenschaftlichem Gebiet steht daher außer Frage. Aber sein Buch richtet sich nicht primär an ein wissenschaftliches Publikum, sondern soll als Lehrbuch eine breite Leserschaft erreichen und auch an Schulen oder Universitäten eingesetzt werden können. Dieser Aufgabe wird es - trotz des etwas zu reißerischen Titels - glänzend gerecht.
Im Vorwort moniert der Autor, dass ansteckende Krankheiten wie die Grippe zwar jedes Jahr die Schlagzeilen der Zeitungen beherrschen, dass die darauf folgenden "hysterischen Aktivitäten" aber meistens "ins Leere laufen". Gleichzeitig richtet sich die Aufmerksamkeit vor allem auf neu auftauchende Gefährdungen - während altbekannte Seuchen wie Malaria, die weltweit für weit mehr Opfer verantwortlich sind, der öffentlichen Aufmerksamkeit entgehen.
Dieser Hysterie in Bezug auf Infektionskrankheiten und Seuchen setzt Kaufmann seine nüchterne, aber keineswegs trockene Analyse entgegen.
Er beginnt das Buch mit einem Überblick über die Grundlagen des menschlichen Immunsystems und über die zahlreichen "Angreifer" wie Bakterien, Viren oder Prionen. Er beschreibt, wie sich Krankheiten ausbreiten, angefangen vom eher harmlosen Schnupfen bis hin zu Tuberkolose und Aids. Dabei gelingt Stefan H.E. Kaufmann der Spagat zwischen wissenschaftlicher Genauigkeit und einer verständlichen und lebendigen Sprache. Ergänzt werden die Texte von anschaulichen Grafiken.
Ein besonderes Augenmerkt legt der Autor auf den gesellschaftlichen Kontext von Seuchen: So lässt sich das Auftreten besonders gefährlicher Tuberkulose-Stämme nur verstehen, wenn man die katastrophalen Zustände in russischen Gefängnissen und Arbeitslagern kennt, die seit den 1990er-Jahren die Ausbreitung der Erreger begünstigten.
Im zweiten Teil seines Buches wendet sich der Autor möglichen Lösungsansätzen zu. Er stellt die globalen politischen Akteure vor, die sich mit der Bekämpfung von Seuchen beschäftigen und beschreibt die Rolle von Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der Welthandelsorganisation WTO. Auch private Initiativen wie die "Bill & Melinda Gates Stiftung" finden Berücksichtigung. In diesem Teil hätte man sich jedoch eine kritischere Analyse gewünscht.
Im letzten Teil geht es um Lösungsvorschläge: Wie bringt man beispielsweise Medikamentenhersteller dazu, sich der vernachlässigten Infektionskrankheiten in den Entwicklungsländern anzunehmen? Kaufmann schlägt ein Modell vor, bei dem Hersteller "je nach Nutzen des Mittels für die Menschheit" eine Vergütung erhalten. Wie hilfreich dieser Vorschlag ist, wird die Zukunft zeigen. Endgültige Lösungen zu präsentieren maßt sich der Autor nicht an, aber er gibt viele Impulse zum weiteren Nachdenken und Handeln.
Wächst die Seuchengefahr?
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 2008; 360 S., 9,95 ¤