VENEZUELA
Chávez gewinnt die Regionalwahlen. Doch auch die Opposition punktet
Wenn Hugo Chávez seine Worte aus dem Wahlkampf wahrgemacht hätte, dann stünde Venezuela jetzt am Rande eines Bürgerkriegs. Der Linksnationalist hatte vor den Regionalwahlen am 23. November mit allen Mitteln versucht, die Bevölkerung von der Stimmabgabe für die Opposition abzuhalten. Er drohte, beleidigte und schüchterte ein: "Wenn die Wähler erlauben, dass die Oligarchie in die Regierung zurückkehrt, dann hole ich die Panzer raus, um die revolutionäre Regierung und das Volk zu verteidigen", polterte der Präsident wenige Tage vor der Wahl. Doch die Panzer sind im Depot geblieben, und der Narziss von Caracas hat demokratische Qualitäten gezeigt, die ihm viele nicht zugetraut hätten.
Denn die Bevölkerung hat sich nicht einschüchtern lassen und Chávez ein blaues Auge verpasst. Zwar siegten die Kandidaten seiner Sozialistischen Einheitspartei PSUV in 17 der 22 Bundesstaaten, aber es ist ein Sieg, der nach Niederlage schmeckt. Zum einen hatte Chávez' Partei vor vier Jahren noch in 20 der 22 Bundesstaaten gewonnen. Zum anderen hat er dieses Mal wichtige und bevölkerungsreiche Provinzen und Kommunen an die Opposition verloren.
So regiert in der Hauptstadt Caracas mit Antonio Ledezma künftig ein wichtiger Gegenspieler von Chávez. Auch im an Caracas angrenzenden Bundesstaat Miranda führt demnächst ein oppositioneller Gouverneur die Geschäfte. Das heißt. Vor allem in der Hauptstadt und drumherum bröckelt die Basis des Linksnationalisten. Die Opposition wird künftig auch den Industriestaat Carabobo und den Bundesstaat Táchira regieren. In Zulia und Nueva Esparta konnten die Gegner des Präsidenten ihre Macht behaupten. Vor allem auf Zulia hatte Chávez gehofft: In dem Staat im Westen Venezuelas befinden sich die Ölreserven Venezuelas, und dort regiert auch weiterhin sein größter Widersacher Manuel Rosales. Wenn man das Wahlergebnis an der Bevölkerungszahl misst, wird das schwache Abschneiden der PSUV noch deutlicher. Denn von den 17 Staaten, die der Chávismus gewann, haben 13 weniger als eine Million Einwohner. Demnach hat der Präsident gerade noch die Häfte der Menschen hinter sich. Chávez selbst hatte im Wahlkampf immer wieder betont, dass der Verlust von drei Bundesstaaten bereits einer Niederlage gleichkommen würde.
Die Abstimmung vom 23. November war daher auch weit mehr als eine Gemeinde- und Regionalwahl. Chávez hatte sie zu einem Plebiszit über seine Politik erklärt, wie eigentlich alle Abstimmungen und Referenden seit seinem Amtsantritt vor fast zehn Jahren. Während es für den Präsidenten darum ging, seine Position zu festigen, nutzte die Bevölkerung die Abstimmung dazu, ihrem Frust über die Verschlechterung der Lebensbedingungen Luft zu machen. Die Inflation erreichte im September ein Fünf-Jahres-Hoch von 36 Prozent. Grundnahrungsmittel werden immer knapper und teurer. Die Hauptstadt Caracas hat sich zu einer der gefährlichsten Metropolen Lateinamerikas entwickelt, in der die Mordrate die Rekordzahl von 130 Toten pro 100.000 Einwohner erreicht. Das alltägliche Verkehrschaos in der venezolanischen Hauptstadt stellt selbst das von Mexiko-Stadt in den Schatten.
Aber der Präsident hat die Niederlage wie ein guter Verlierer aufgenommen und die Drohungen und Beleidigungen gegen Oppositionsführer nicht wiederholt. "Ich erkenne den Sieg der Gegner an", sagte Chávez, aber betonte sogleich, dass er sich durch den Gewinn der PSUV in 17 Staaten in seiner Politik bestätigt fühle und sein sozialistisches Projekt weiter verfolgen werde.
So souverän hatte sein Freund und Gesinnungsgenosse Daniel Ortega ein paar tausend Kilometer nordwestlich nicht reagiert. Der nicaraguanische Präsident ließ während der Kommunalwahlen vom 9. November keine Wahlbeobachter zu, nach der Abstimmung tauchten auf Müllkippen schließlich Wahlurnen mit Stimmen für die Opposition auf. Zu guter Letzt schickte der Sandinist junge Anhänger auf die Straße, um die Oppositionellen zu verprügeln, wenn sie von Wahlbetrug sprachen. Sandinistische Dissidenten wie die Schriftstellerin Gioconda Belli werfen dem Präsidenten vor, das zentralamerikanische Land in eine Diktatur zurückführen zu wollen. "Noch ist es nicht so weit. Aber ich fürchte, dass wir in zwei, drei Jahren eine Struktur haben, die einer Diktatur nahe kommt", betont Belli.
Venezuela ist davon noch weit entfernt: Trotz aller berechtigter Kritik an Hugo Chávez kann man dem Präsidenten nicht vorwerfen, dass er sein Projekt des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" nicht auf den Prüfstand stellt. Die Regionalwahlen waren die 14. Abstimmung seit dem Amtsantritt des Präsidenten im Februar 1999. Dabei hat er erst ein einziges Mal verloren: im vergangenen Jahr, als er sich in einer Volksabstimmung weitreichende Vollmachten absegnen lassen wollte.
Viel mehr Ungemach als von den frustrierten Wählern droht Chávez an einer Front, die er eigentlich für Jahre ruhig wähnte: den Ölpreisen. Der rasante Verfall an den internationalen Märkten stellt zum einen seine Petrodiplomatie und Entwicklungshilfe für befreundete Staaten wie Kuba und Nicaragua in Frage. Zum anderen gefährdet der Absturz auf rund 50 Dollar pro Fass seine Sozialpolitik in der Heimat und die Funktionsfähigkeit des staatlichen Ölmonopolisten PdVSA. Im ersten Halbjahr 2008 betrugen die durchschnittlichen Erdölexporterlöse Venezuelas noch 95 Dollar pro Fass. Bleiben die Ölpreise auf dem gegenwärtigen niedrigen Niveau, dann erreichen sie im Jahresmittel gerade 80 bis 85 Dollar. Und damit geraten Chávez' Sozialprojekte ernsthaft in Gefahr. Denn der venezolanische Staatshaushalt speist sich zu mehr als der Hälfte aus den Einnahmen aus dem Ölverkauf. Außerdem werden Millionen direkt für Chávez' Armenhilfsprojekte abgezweigt. Experten zufolge sind seine Sozialausgaben bei einem Ölpreis unter 80 Dollar kaum noch finanzierbar.