Die Nachfrage von Andrea Nahles (SPD) war scharf formuliert. Ob denn die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die Ansicht vertrete: "Unterstützung für Behinderte - ja. Aber nur wenn es uns nicht kostet?" Als Antwort wiederholte der BDA-Vertreter seine schon zuvor geäußerte Ansicht, dass das deutsche Behindertenrecht vielfach zu einer "bürokratischen Überreglementierung" und damit zu "kontraproduktiven Ergebnissen" führe. Daher, so die BDA, solle das Ratifizierungsverfahren zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, zu dem die Bundesregierung einen Gesetzentwurf ( 16/10808) vorgelegt hat, ausgesetzt werden. Zumindest solange, bis ein Prüfbericht der Bundesregierung über die Vereinbarkeit des UN-Übereinkommens mit dem deutschen Recht vorliegt. Angesichts des in Deutschland bestehenden hohen Standards des Schutzes Behinderter gebe es aus Sicht des BDA keinen Grund zur übereilten Ratifikation.
Während die deutschen Arbeitgeber sich also skeptisch zeigten, begrüßten die weiteren bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 24. November geladenen Sachverständigen die Übenahme der UN-Behindertenrechtskonvention. In dieser, so hieß es, würden behindertenpolitische Empfehlungen gegeben, mit dem Ziel der vollen Teilhabe von Menschen mit Behinderung an der Gesellschaft. Dem Bekenntnis zur Konvention müssten nun allerdings auch Taten folgen.
Der Sozialverband VdK Deutschland forderte Bundesregierung und Parlament auf, die Konvention, die "Leitbild und Vision für eine moderne Behindertenpolitik" sein könne, ohne Interpretationserklärungen oder Vorbehalte zu ratifizieren. Trotz eines differenzierten Behindertenrechts habe Deutschland die Vorgaben "mitnichten bereits umgesetzt". Wie auch andere Sachverständige äußerte der VdK Kritik an der Übersetzung der Konvention. So werde "Inclusion" mit "Integration" übersetzt, was besonders schwerwiegend sei, da damit gegensätzliche Ansätze verbunden seien. Der Paritätische Gesamtverband begrüßte die in der Konvention enthalten Berichterstattungspflicht der Bundesregierung über den Stand der Entwicklung, der den kritischen Blick auf praktische Umsetzungsprobleme schärfen könne und als Chance für die Einleitung notwendiger Veränderungsprozesse gesehen werde.
Als "Meilenstein" für den Menschenrechtsschutz bezeichnete das Deutsche Institut für Menschenrechte die Konvention. Sie stelle jedoch weitreichende Anforderungen an einen gesellschaftlichen Lernprozess, der die Chance mit sich bringe, zur Humanisierung der Gesellschaft als Ganzes beizutragen.
Rechtlichen Regelungsbedarf erkannte Klaus Lachwitz von der Bundesvereinigung Lebenshilfe. Die Konvention schreibe fest, dass jeder Mensch mit Behinderung geschäftsfähig sei. In Deutschland würden derzeit jedoch per Gesetz Handlungen von "nichtgeschäftsfähigen Personen" für "null und nichtig" erklärt. Auf Problematiken im Bildungsbereich verwies Professor Jutta Schöler aus Berlin. So werde Eltern von Kindern mit Behinderungen in zahlreichen Landkreisen kein einziges wohnortnahes Angebot einer Integrationskindertagesstätte oder -schule gemacht. Zudem sei die Entscheidung über den Förderort eines Kindes mit Behinderung in Deutschland eine Verwaltungsentscheidung. Auch gegen den Willen der Eltern sei die Zuweisung zu einer Förder- oder Sonderschule möglich. Dies stelle einen gravierenden Eingriff in das Elternrecht dar, der "aus keinem anderen Staat bekannt ist".
Auch Ottmar Miles-Paul, Beauftragter für die Belange behinderter Menschen in Rheinland-Pfalz, kritisierte das Prinzip der Förderschule. Derartige Extrabehandlungen sorgten bei Kindern für den Verlust des Kontakts zur Nachbarschaft. Gebraucht werde mehr Gemeinsamkeit, eben eine "soziale Inklusion", wie es die UN-Konvention fordere.