Die Ankündigung aus dem Mund des FDP-Generalsekretärs Dirk Niebel klingt kämpferisch: "Die FDP ist nicht das Schoßhündchen der Union, sondern eine eigenständige Partei", ließ er Anfang August über die "Passauer Neue Presse" mitteilen. Und natürlich "fische" man auch nach Wählerstimmen im Lager von CDU und CSU. Dort sammeln die Liberalen mit ihrer offensiven Betonung der Unterschiede, zum Beispiel ihrer strikten Ablehnung einer Mehrwertsteuererhöhung, keine Sympathiepunkte. So kritisierte CSU-Generalsekretär Markus Söder das unscharfe Profil der Liberalen: "Die FDP muss auch sagen, wofür sie steht. Sie darf nicht nur sagen, wogegen sie ist." Und der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hatte sogar manchmal den Eindruck, die Liberalen sehen nicht in Rot-Grün, sondern in der Union den eigentlichen Gegner.
Der Wettbewerb verschont den möglichen Koalitionspartner nicht. Es ist der Spagat, den die FDP in jedem Bundestagswahlkampf zu bewältigen hat: Ihr Wahlprogramm als ureigenes, liberales Projekt zu verkaufen, ohne es mit der Abgrenzung zur Union jedoch zu übertreiben.
Wohin das führen kann, musste die Partei bei der Bundestagswahl 2002 erfahren. Mit dem Image als Spaßpartei war sie ausgezogen, um mit einem "Guido-Mobil" für ihren "FDP-Kanzlerkandidaten" zu werben. Nicht weniger als 18 Prozent der Wählerstimmen wollte man erhalten. Auf eine Koalitionsaussage verzichtete die FDP. Am Ende erhielt sie 7,4 Prozent der Stimmen - und landete erneut in der Opposition.
Drei Jahre später ist aus dem "Guido-Mobil" ein "Reformexpress" geworden, ein gelber Bus, mit dem Parteichef Guido Westerwelle, ganz auf Seriosität und die Inhalte des Wahlprogramms setzend, durchs Land tourt. Spaß darf es dennoch machen. "Wir freuen uns auf die Bundestagswahl", hatte er nach der Neuwahlankündigung durch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Mai selbstbewusst verkündet. Angesichts stabiler Umfragewerte, die einer möglichen schwarz-gelben-Koalition seit Monaten eine, wenn auch knappe Mehrheit voraussagen, kann er das auch.
Für Entspannung ist es dennoch zu früh. Das merkten auch die Gäste des Vierten Ostgipfels, den die FDP am 18. August in ihrer Parteizentrale in Berlin veranstaltete. Dabei sollten Zukunftsperspektiven für die neuen Bundesländer aus liberaler Sicht ausgelotet werden. Und wo Osten draufsteht, ist automatisch auch Wahlkampf drin. Zumindest nachdem CSU-Chef Edmund Stoiber einige Tage zuvor seine Schwierigkeiten mit dem dortigen Wählerverhalten offenbart hatte und gleichzeitig von der überlegenen Klugheit der Bayern sprach. Stoiber schwebte dann auch wie ein böser Geist über der Veranstaltung, obwohl sich einige, wie der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher, demonstrativ weigerten, seinen Namen auszusprechen. Andere, wie der Finanzexperte der FDP und Bundestagsvizepräsident, Hermann Otto Solms, beließen es bei Andeutungen: "Ich bin ein Hesse, der in Bayern Abitur gemacht hat", bemerkte Solms beiläufig auf dem Podium. Die Bildungspolitik war ein zentrales Thema der Veranstaltung, und fast konnte man den Eindruck haben, dass Stoibers harsche Worte den Liberalen gar nicht so ungelegen kamen. Zumindest machten sie die Abgrenzung zur CSU leicht und boten gleichzeitig Möglichkeiten für eine eigene Positionierung: "Wir lassen uns als Liberale die Freude an der deutschen Einheit nicht nehmen. Wir beteiligen uns nicht an Wahlkämpfen Ost gegen West und West gegen Ost", verkündete Westerwelle mit großer Entschlossenheit. Es gehe vielmehr darum, aktuelle Probleme als gesamtdeutsche zu erkennen: "Es wird dem Westen nicht gut gehen, wenn es dem Osten schlecht geht. Und es wird dem Osten nicht gut gehen, wenn es dem Westen schlecht geht. Deshalb brauchen wir eine nationale Wachstumsstrategie für ganz Deutschland", forderte er im Namen seiner Partei.
Ginge es nach den Freien Demokraten, könnte der Osten hier sogar eine Vorreiterrolle übernehmen. So möchten die Liberalen in Ostdeutschland Modellregionen einrichten, in denen bundesweite Regelungen etwa im Bau- oder Tarifrecht zeitweise außer Kraft gesetzt werden können. Damit könnten die neuen Bundesländer "Tempomacher für die Modernisierung der ganzen Republik werden", sagte Westerwelle auf dem Ostgipfel. In besonders wirtschaftsschwachen Gebieten könne man beispielhaft für ganz Deutschland Dinge wie Bürokratieabbau und Minderung der Steuern- und Abgabenlast testen, frohlockte Hermann Otto Solms.
Der Slogan"Arbeit hat Vorfahrt" bedeutet für die FDP zuallererst Entlastung der Unternehmen. So wirbt die Partei in diesem Wahlkampf mit einem dreistufigen Steuermodell von 15, 25 und 35 Prozent, wobei für Unternehmen nur die ersten beiden Steuersätze gelten sollen. Ferner strebt sie, im Gegensatz zur Union, eine Abschaffung der Gewerbesteuer an, die durch einen Zuschlag auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer ersetzt werden soll. Abschaffen möchte die Partei nicht nur sämtliche Steuerprivilegien. Ein noch größeres Medienecho erzeugte eine gar nicht so neue Forderung: die Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit. Auch die staatlichen Fördermaßnahmen für Arbeitslose, die nach FDP-Lesart ohnehin nichts bringen, sollten nach Meinung der FDP wegfallen. Private Vermittlungsfirmen könnten hier bessere Hilfe anbieten, meint die FDP.
Mit ihrem Ruf nach Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gewinnt die Partei seit Jahren Sympathien von Wirtschaftsverbänden - bei Arbeitnehmern hingegen das Image einer Partei der sozialen Kälte. Dem widerspricht Guido Westerwelle energisch. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er im Juli: "Die FDP macht die sozialste Politik von allen Parteien, denn wir sind diejenigen, die dafür sorgen, dass Deutschland wieder auf die Beine kommt." Dies sei Voraussetzung für einen starken Sozialstaat. Dagegen seien SPD, Grüne und die Linkspartei.PDS dessen tatsächliche Totengräber.
Aber gerade diese drei Parteien könnten für die FDP bedrohlich werden. Das mögliche Szenario von Rot-Rot-Grün oder einer großen Koalition ist ein Grund, warum sich die FDP noch nicht entspannt auf den Umfragewerten ausruhen kann. "Wer heute von einer großen Koalition träumt, wird ganz schnell unter einer Linksregierung aufwachen. Dann reden wir nicht über eine Halbierung sondern über eine Verdopplung der Arbeitslosigkeit", beschwört Westerwelle seine Zuhörer.
Und auch beim Wahlkampfauftakt in Düsseldorf am 22. August ließ die Partei keinen Zweifel offen: Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Wolfgang Gerhardt nannte eine mögliche große Koalition einen "Stillstand zwischen Elefanten". Stattdessen wolle die FDP in einem Bündnis mit der Union "der Motor sein, die treibende Kraft", so Gerhardt: "Wir müssen die Union etwas bewegen. Sie ist in manchen Entscheidungen zu zögerlich. Durch die Einbeziehung des Steuerexperten Paul Kirchhof in das Kompetenzteam hat die Union jedoch das Gegenteil bewiesen - für die FDP ein zweischneidiges Schwert: Inhaltlich kommt die Nominierung Kirchhofs den Liberalen zwar entgegen - sein Ein-Stufen-Steuermodell ist auch für die FDP mittelfristig denkbar. Auf personeller Ebene mindert Kirchhof als potentieller Finanzminister jedoch die Chancen des liberalen Kandidaten Hermann Otto Solms. Zögerlich zeigt sich indessen ein weiterer Anwärter, CSU-Chef Edmund Stoiber, was seine eigenen Ambitionen für die Zeit nach der Bundestagswahl angeht - und auch dies wird in der FDP mit Argwohn betrachtet. Für die Liberalen sind sämtliche Personalfragen mit dessen künftiger Rolle verbunden. Holt die CSU in Bayern bundesweit wieder mehr Stimmen als die FDP, wie 2002, kann sie bei der Machtverteilung im Kabinett die Preise diktieren. Wechselt Stoiber ins Kabinett? Und wenn ja: Welchen Posten beansprucht er? Sein Interesse für das Außenministerium könnten die Träume Wolfgang Gerhardts rasch zerplatzen lassen, der in letzter Zeit wiederholt für diesen Posten ins Gespräch gebracht wurde.
Doch über solche strategischen Personalfragen hüllt insbesondere Parteichef Westerwelle momentan noch den Mantel des Schweigens. Zu wichtig ist das Projekt schwarz-gelb diesmal, als dass es durch solche Gedankenspiele gefährdet werden dürfte. Die FDP ist entschlossen, im Herbst an der Seite der Union auf der Regierungsbank Platz zu nehmen. Sie möchte der Koalitionspartner sein und inszeniert sich in diesem Wahlkampf als solcher, befördert allerdings damit auch eine öffentliche Wahrnehmung, die sie auf diese Rolle reduziert.
Doch auch die Union hat ein Interesse an einer starken FDP. Nicht umsonst trafen sich die drei Parteien am 1. September zum so genannten Wechselgipfel, auf dem Merkel, Stoiber und Westerwelle ein schwarz gelbes Positionspapier für eine mögliche Regierungskoalition vorstellten. - ein Treffen mit Signalwirkung. Ziel der Liberalen sei es, dass Angela Merkel "die nächste Kanzlerin wird, unterstützt von einer starken FDP", hatte Guido Westerwelle im Vorfeld erklärt. Ganz so selbstlos, wie es klingt, ist das Ziel jedoch nicht. Für Westerwelle und die FDP steht viel auf dem Spiel. Schafft sie erneut nicht den Sprung in die Regierung und wird sie hinter CDU, SPD, CSU, Linkspartei und Grünen nur sechste Kraft im Parlament, dürften wieder neue Personaldebatten aufkommen. Westerwelle nämlich hat sich die Rückkehr seiner Partei ins Kabinett zum persönlichen Ziel gesetzt. Gelingt dies nicht, könnten seine Kritiker versuchen, seine Tage als Parteichef eher früher als später zu beenden.