Seit dem 1. Februar wird die bundesweit erste Universitätsklinik privat betrieben. Die Zustimmung des hessischen Landtags beseitigte die letzte rechtliche Hürde, die dem Verkauf der im vergangenen Jahr fusionierten mittelhessischen Universitätskliniken Gießen und Marburg an die börsennotierte Rhön-Klinikum AG nach der Zustimmung von Wissenschaftsrat und Kartellamt noch im Wege stand. Das Klinikum wechselt für 112 Millionen Euro den Besitzer. Dabei behält das Land einen Geschäftsanteil von fünf Prozent an der "Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH". Während die FDP mit der CDU für den Verkauf stimmte, geht die Privatisierung nach Ansicht von SPD und Grünen zu Lasten der Arbeitnehmer und der Freiheit von Forschung und Lehre.
"Der heutige Tag ist ein guter Tag für die Hochschulmedizin in Marburg-Gießen", betont Hessens Wissenschaftsminister Udo Corts. Nach Überzeugung des CDU-Politikers ist die Privatisierung des Universitätsklinikums mit einem "überragenden" Ergebnis gelungen. Lange aufgeschobene Sanierungs- und Baumaßnahmen vor allem am Klinikstandort Gießen und die Fallpauschalenregelung hatten nach Auffassung der Landesregierung die Klinikstandorte mit ihren mehr als 10.000 Beschäftigten nur durch den Verkauf an einen privaten Betreiber sichern können. Mit dem Erwerb des Klinikums hat die Rhön-Klinikum AG, der insgesamt 41 Kliniken an 33 Standorten gehören, ein Investitionsvolumen von 367 Millionen Euro bis 2012 vertraglich zugesichert. Hiervon sollen 260 Millonen Euro bis 2010 in Neu- und Umbauten fließen. Darüber hinaus hat sich der Klinikmulti verpflichtet, die restlichen 107 Millionen Euro in ein internationales Partikelzentrum und damit in neue Methoden in der Tumor- und Strahlenbehandlung zu investieren sowie jährlich mindestens 2 Millionen Euro für Lehre und Forschung bereitzustellen.
Um die hochschulmedizinische Forschung und Lehre in Marburg-Gießen sicherzustellen, will das Land Hessen zudem mit 100 Millionen Euro eine "Stiftung zur Förderung von Forschung und Lehre in der Hochschulmedizin in Marburg-Gießen" gründen. Über das Rechtsmittel der Beleihung behält das Land die Rechtsaufsicht über Forschung und Lehre. Außerdem sollen die beiden Dekane zwar nicht mit Stimmrecht, aber mit Rede- und Antragsrecht in der Geschäftsleitung vertreten sein. Konflikte könnten, so Minister Corts, auf diese Weise direkt im Entstehungsstadium benannt werden. Strittige Fragen sollen künftig in einer so genannten Ständigen Kommission für Forschung und Lehre behandelt werden. Damit könne die Geschäftsleitung Maßnahmen, gegen die die Dekane Bedenken geäußert hätten, nicht einfach umsetzen, betont der Wissenschaftsminister.
Während die Parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Fraktion, Nicola Beer, vor allem die Stellung der Dekane und die Rechtsaufsicht des Landes "zufrieden stellend" geregelt findet und das Spannungsfeld "zwischen ökonomischen Erfordernissen und wissenschaftlichem Anspruch" nach ihrer Ansicht gut ausbalanciert ist, bleibt die Privatisierung in den Augen der grünen Hochschulexpertin Sarah Sorge "ein waghalsiges Projekt" - gerade auch wegen der Wissenschaftsfreiheit, die durch eine Stiftung nicht abgesichert werden könne. "Denn die Freiheit von Forschung und Lehre ist eine Frage von Strukturen und nicht von Geld", ist Sorge überzeugt. Nach Auffassung des Marburger SPD-Abgeordneten Thomas Spies ist der Verkauf der Kliniken, deren reellen Wert der Mediziner auf über eine halbe Milliarde Euro schätzt, ohnehin ein schlechtes Geschäft. Allein der Buchwert der Sachanlagen betrage 330 Millionen Euro, der Jahresumsatz der Kliniken rund 400 Millionen Euro, rechnet Spies vor. Schließlich habe Rhön praktisch eine Monopolstellung mitgekauft: "Die Privatisierung ist für nichts gut außer für den mittelfristigen Aktienkurs der Rhön AG", kritisiert der Sozialdemokrat.
Nach Überzeugung der SPD wäre eine Öffentlich-Private-Partnerschaft das bessere Modell gewesen. Auch eine landeseigene GmbH hätte sich das Geld für die notwendigen Investitionen leihen können, glaubt Spies. Vor allem sieht er im Verkauf eine Lösung, bei der an erster Stelle die Beschäftigten die Leidtragenden sein werden. Zehn bis 15 Prozent der betroffenen Mitarbeiter haben laut Spies befristete Verträge und sind vom Personalabbau bedroht. Zwar schließt der Vertrag mit dem Klinikkonzern betriebsbedingte Kündigungen bis 2010 aus. Er enthält mit einem Sozialfonds von 30 Millionen Euro aber auch einen Passus, der nach Überzeugung von SPD und Grünen am Ende nichts wert ist. Denn in den Genuss von Fondsgeldern, die unter anderem bereitgestellt werden sollen für Umschulungen und Fortbildungsmaßnahmen um, so Corts, Klinikmitarbeiter für "andere Arbeitsplätze" zu qualifizieren, kommen nur diejenigen, die auf den Schutz vor betriebsbedingter Kündigung verzichten. "Der Sozialfonds", fürchtet die Grünen-Abgeordneten Sorge deswegen, "dient ausschließlich der Zahlung von Abfindungen".