Im Jahr 2000 gelang den Genforschern ein Durchbruch: Sie haben das menschliche Erbgut vollständig entschlüsselt. Seither erscheinen Gentechnik, Biomedizin und auch die Stammzellforschung nicht länger als ein Feld für Spezialisten. Sie sind wegen ihrer großen Bedeutung für den Alltag der nahen Zukunft greifbar geworden. Der Begriff Biopolitik ist in den allgemeinen Wortschatz eingegangen.
Vier Gesetze umfassen die wichtigsten Regeln und sind zu Dauerbaustellen in der biopolitischen Kontroverse geworden. Das Gentechnikgesetz, das bereits 1990 erstmals in Kraft gesetzt wurde, regelt die Erzeugung, Handhabung und Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen. Das Embryonenschutzgesetz von 1991 regelt den Umgang mit menschlichen Embryonen, sowohl bei der künstlichen Befruchtung als auch in der Wissenschaft. Das Stammzellimportgesetz von 2002 schränkt die Nutzung menschlicher embryonaler Stammzellen ein, und das so genannte Biopatentgesetz von 2005 legt fest, welche biotechnologischen Erfindungen das Privileg eines Patents verdienen.
Das Gentechnikgesetz garantiert auch für die aktuelle Legislaturperiode erheblichen Zündstoff. Mit zahlreichen Veränderungen hat die rot-grüne Bundesregierung Kritiker aus Wissenschaft und Biotechnologieunternehmen wachgerufen, es handle sich nun um ein "Gentechnikverhinderungsgesetz". Unter Federführung der früheren Agrarministerin Renate Künast kamen zahlreiche Erschwernisse für die Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen ins Gesetz. Im Vordergrund steht nicht länger die Förderung der Gentechnik, sondern der Schutz vor ihren "schädlichen Auswirkungen". Während die Regeln des Gesetzes für die Erzeugung und Handhabung transgener Organismen in geschlossenen Systemen, also in Labors und Produktionsanlagen, inzwischen weitgehend unumstritten sind, lässt seit Jahren der Streit darüber nicht nach, wie gentechnisch veränderte Pflanzen im Freiland angebaut werden können. Als Ziel wird im Gesetz eine Koexistenz verschiedener landwirtschaftlicher Nutzungsformen genannt. Das größte Problem besteht darin, dass besonders Biobauern einen Mehrwert daraus schöpfen, ihre Produkte als "gentechnikfrei" zu vermarkten, dieser Mehrwert aber wegen des Pollenflugs in Gefahr ist, wenn auf benachbarten Feldern gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden.
Das Gentechnikgesetz sieht seit 2004 deshalb ein Standortregister aller Anbauflächen mit transgenen Pflanzen vor. Wenn man schon nicht verhindern kann, dass Pollen von einem Feld zum anderen fliegen, so will man wenigsten nachvollziehen, wo die Einkreuzungen stattfinden können. Eine nachgelagerte Verordnung schreibt Mindestabstände zwischen Anbauflächen vor. Im Zentrum der gerade wieder auffrischenden Kontroverse um dieses Gesetz steht das Haftungsrecht. Das Gentechnikgesetz definiert es als "wesentliche Beeinträchtigung", wenn Produkte wegen einer Einkreuzung gar nicht oder eben nicht mehr als "Bio-Ware" oder konventionelle Ware verkauft werden können, sondern gekennzeichnet werden müssen. Bauern, die transgene Pflanzen anbauen, müssen ihrem Nachbarn dann Schadensersatz zahlen. Kann kein einzelner Verursacher für einen solchen Haftungsfall gefunden werden, müssen alle Landwirte mit transgenem Anbau im Rahmen der so genannten "verschuldensunabhängigen Haftung" bezahlen. Diese Regelung hat viele Bauern in Deutschland bisher davon abgehalten, genveränderte Sorten anzubauen. Die große Koalition hat angekündigt, den Anbau transgener Pflanzen zu erleichtern. Zur Diskussion steht ein Haftungsfonds, sodass der finanzielle Ausgleich von Schäden auf vielen Schultern lasten würde. Erste Äußerungen von Agrarminister Horst Seehofer (CSU) legen aber nahe, dass es länger als das veranschlagte halbe Jahr dauern könnte, das Gesetz entsprechend zu novellieren.
Nicht weniger im Kreuzfeuer steht das deutsche Embryonenschutzgesetz. Manche halten es für ein Ergebnis weiser Voraussicht, da bereits vor 16 Jahren sehr strenge Vorschriften für Klon- und Stammzellverfahren erlassen wurden, die damals technisch noch gar nicht durchführbar waren. Andere sehen in dem Gesetz einen Ausdruck überzogener Strenge, die Deutschland vom internationalen Fortgang der Wissenschaft abkoppelt. Das Embryonenschutzgesetz ist vor allem ein Verbotsgesetz. Mit Geldbußen oder Freiheitsstrafe belegt es die missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken wie etwa eine Eizellspende, die Erzeugung und Verwendung von Embryonen außerhalb der künstlichen Befruchtung, die Geschlechtswahl, künstliche Befruchtungen ohne Einwilligung der Eltern, künstliche Veränderungen der menschlichen Keimbahn, das Klonen sowie die Erzeugung von Mensch-Tier-Mischwesen. Zugleich definiert das Gesetz den menschlichen Embryo und formuliert damit einen Schlüsselsatz der biopolitischen Diskussion in Deutschland: Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits "die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag". Aus diesem Satz leiten Kritiker der Embryonenforschung ab, der Staat garantiere den Schutz der frühesten Erscheinungsform menschlichen Lebens nach Artikel 1 Grundgesetz.
Die Vertreter der Reproduktionsmedizin sehen in der Vorschrift, dass bei einer künstlichen Befruchtung maximal nur drei Embryonen entstehen dürfen und alle der Mutter eingepflanzt werden müssen, ein Hindernis für eine hohe Erfolgsquote. Vertreter der Wissenschaft stoßen sich daran, dass Embryonen aus der künstlichen Befruchtung unter keinen Umständen für die Wissenschaft geopfert werden dürfen, selbst wenn sie ansonsten als "überzählig" weggeworfen würden. Doch die zahlreichen Anläufe, dieses Gesetz zu lockern, sind bisher gescheitert. Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) hat in seiner Amtszeit immer wieder versucht, den strengen Embryonenschutz zu lockern. Der Bundestag stellte sich diesem Ansinnen mit deutlichen überfraktionellen Mehrheiten entgegen.
Direktes Ergebnis dieser Kontroverse ist das Stammzellgesetz. Es weist eine Art Mittelweg. Der Langname verrät viel: "Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen." Das Gesetz verbietet grundsätzlich sogar die Einfuhr embryonaler Stammzellen, die im Ausland gewonnen worden sind. Doch es gibt eine Ausnahme, von der inzwischen 15 Forschungsprojekte Gebrauch gemacht haben. Sind die Stammzellen vor dem Stichtag 1. Januar 2002 gewonnen worden, ist nach Prüfung durch das Robert-Koch-Institut ein Import möglich. Der Bundestag wollte damit einerseits sicherstellen, dass deutsche Forscher nicht unablässig "frisches" Embryonenmaterial importieren und über ihre Nachfrage zur Tötung von Embryonen beitragen. Andererseits sollte aber die Grundlagenforschung ermöglicht werden. Vertreter der Wissenschaft wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) kritisieren das Gesetz, weil es deutschen Forschern den Zugang zu neueren Stammzellkulturen verwehrt. Diese wären möglicherweise besser geeignet, um das große Ziel der Stammzellforscher zu erreichen, passgenaues Ersatzgewebe für Patienten zu züchten. Zudem würden internationale Kooperationen mit ausländischen Forschern, deren Arbeit in Deutschland verboten wäre, kriminalisiert.
Da die spätere wirtschaftliche Nutzung eine wesentliche Triebfeder und Finanzierungsquelle von gentechnischen und biomedizinischen Entwicklungsarbeiten sind, kommt in der Biopolitik auch dem Patentrecht große Bedeutung zu. Um die EU-Biopatentrichtlinie umzusetzen, erweiterte der Gesetzgeber am 28. Februar 2005 das deutsche Patent- und Sortenschutzgesetz um das so genannte Biopatentgesetz. "Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war", heißt es in Artikel 1 Absatz 1. Dies ebnet einer Patentierung der meisten biotechnologischen Entdeckungen und Erfindungen, einschließlich isolierter Gensequenzen, den Weg. Das Gesetz enthält zugleich zahlreiche Patentverbote, etwa für Verfahren zum Klonen am Menschen oder für Tier- und Pflanzensorten. Das Gesetz hat aber erhebliche Diskussionen ausgelöst, ob zu freizügige Patentmöglichkeiten nicht sogar die Forschung behindern. Die Sorge geht um, dass durch Patente Monopole auf Gensequenzen entstehen, und die Forschung an diesen Sequenzen durch Dritte dadurch teurer oder sogar unmöglich wird.
Die Koalition aus CDU/CSU und SPD hat in ihrem Koalitionsvertrag kaum Hinweise auf gesetzgeberische Aktivitäten in der Biopolitik gegeben, mit Ausnahme der Regeln für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Denkbar erscheint allenfalls eine parlamentarische Initiative zugunsten eines neuartigen Gendiagnostikgesetzes, über das nun schon fast zehn Jahre debattiert wird. Es soll die Anwendung von Gentests zum Gegenstand haben und vor genetischer Diskriminierung schützen. Der schnelle Fortschritt in der Wissenschaft lässt es aber als wahrscheinlich erscheinen, dass unerwartete Durchbrüche und Neuerungen den Gesetzgeber zu raschen Reaktionen zwingen.
Christian Schwägerl arbeitet als Feuilleton- und Wissenschaftskorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in Berlin.