Aber ist der Embryo deshalb auch schon eine Person, die Würde besitzt und deren Leben deshalb zu schützen ist? In den sich zunehmend spezialisierenden Wissenschaften kommen für die Beantwortung dieser Frage vor allem zwei Disziplinen in Frage: Die Philosophie und die Theologie. Während Philosophen seit Jahren darüber streiten, wann von einer Person gesprochen werden kann, spielte die Frage, welchen moralischen Status der menschliche Embryo in den großen Weltreligionen besitzt, in der öffentlichen Debatte bislang nur eine Nebenrolle. Dass sich dies nun zu ändern beginnt, hängt neben einer allgemeinen Renaissance des Inte-resses an Religion auch damit zusammen, dass die neuartigen Techniken in Medizin und Forschung eine breite Zustimmung benötigen, wollen sie sich durchsetzen. Denn ohne hinreichende Akzeptanz werden Verfahren wie etwa der morphologischen und genetischen Selektion künstlich erzeugter Embryonen durch Single Embryo Transfer (SET), der Präimplantationsdiagnostik (PID) in der Reproduktionsmedizin, der Stammzellforschung mit so genannten überzähligen Embryonen und dem Klonen menschlicher Embryonen zur Gewinnung embryonaler Stammzellen trotz ihrer technischen Durchführbarkeit der Durchbruch und damit auch der kommerzielle Erfolg versagt bleiben.
Wer aber - sei es aus echtem, sei es aus geheucheltem Interesse - nach dem Stellenwert fragt, der dem Embryo in den verschiedenen Konzepten der Weltreligionen zukommt, sieht sich schon bald einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten gegenüber. Eine der größten besteht darin, dass etwa im Judentum und im Islam zentrale Autoritäten fehlen, die definieren könnten, welchen offiziellen Standpunkt "das" Judentum oder "der" Islam in der Bewertung des Embryos sowie jener Techniken einnimmt, die seine Existenz zunehmend bedrohen. So vertreten islamische Gelehrte, etwa aus Saudi-Arabien oder Pakistan, die Ansicht, sowohl Abtreibungen als auch jede Forschung an Embryonen seien strikt abzulehnen. Andere dagegen halten sowohl das eine als auch das andere für vereinbar mit dem muslimischen Glauben.
Auch in der Frage des Klonens menschlicher Embryonen gibt es unter den Gelehrten keine einheitliche Meinung. Während die einen, so etwa der schiitische Gelehrte Shams ud-Din aus dem Libanon und der frühere Mufti von Ägypten, Nasr Farid Wasil, das Klonen unter Berufung auf den Koran (Sure 4, 118 bis 119) als Teufelswerk verurteilen, vertritt der Libanese Hussein Fadallah die Auffassung, das Klonen sei kein Angriff auf die göttliche Schöpfungsordnung, sondern bloß das Auffinden einer neuen Form der Fortpflanzung innerhalb dieser Ordnung. Grundsätzlich gehen muslimische Theologen und Rechtsgelehrte von zwei Textquellen aus - dem Koran, der nach muslimischer Auffassung das vom Erzengel Gabriel direkt an den Propheten Mohammed überlieferte Wort Gottes enthält, und der Sunna, welche die als vorbildlich betrachteten Aussagen und Taten des Propheten und der ersten Muslime beinhaltet.
Dennoch scheint es möglich, ein wenig Licht in den Dschungel der unterschiedlichen Auffassungen zu bringen, wenn man die Begründungsmuster analy siert, mit denen die jeweiligen Standpunkte verfochten werden. Dabei fällt auf, dass nur selten der moralische Status des Embryos den Ausschlag dafür gibt, ob ein Gelehrter eine Technik für zulässig erachtet oder verwirft. So wird die Erzeugung von Chimären etwa einhellig abgelehnt, weil es sich dabei um eine Veränderung der Schöpfung Gottes handelt. Dagegen stellt die künstliche Befruchtung nahezu ebenso einheitlich zunächst kein Problem dar. Diese Einschätzung ändert sich aber bereits dann ganz gewaltig, wenn die Eizellspenderin und der Samenspender nicht mit einander verheiratet sind. Denn das islamische Recht, die Scharia, verbietet "alle Formen, die einen Menschen neu und aus dem Nichts erschaffen und außerhalb einer Ehe erfolgen", wie der ebenso einflussreiche wie anerkannte islamische Gelehrte (Ulema) Wahba az-Zuhaili aus Damaskus erklärt. Innerhalb der Ehe hält Wahba az-Zuhaili dagegen sogar das reproduktive Klonen für zulässig.
Dass im Islam, mit 1,2 Milliarden Anhängern nach dem Christentum (zwei Milliarden Gläubige) die zweitgrößte Religion weltweit, das Verbot der Manipulation der Schöpfung sowie die "Reinhaltung" der Abstammungslinien (nasab) höher bewertet wird als der Embryo selbst, heißt jedoch nicht, dass - sofern dies beachtet würde - jeder andere Verwendung gleich erlaubt wäre. Im Gegenteil: Sowohl in den Empfehlungen der Islamic Organization of Medical Sciences (IOMS), die Anfang der 80er-Jahre in Kuwait gegründet wurde, als auch in denen der Islamic Fiqh Academy (IFA) erachten die muslimischen Gelehrten es zum Beispiel als notwendig, einen "Überschuss an befruchteten Eizellen zu vermeiden". Bei der Befruchtung von Eizellen, sollten sich die Ärzte daher "auf die bei der einzelnen Behandlung nötige Anzahl beschränken". Geradezu gebieterisch fährt die zur Organization of Islamic Conference (OIC), der größten zwischenstaatlichen Organisation der islamischen Welt, gehörende IFA fort: "Wenn ein Überschuss an befruchteten Eizellen auf irgendeine Weise entsteht, so werden sie ohne medizinische Hilfe gelassen, bis dass das Leben jenes Überschusses auf natürliche Weise endet."
Dass sich der Islam in der Theorie - in der Praxis sieht das aufgrund fehlender staatlicher Gesetze noch einmal anders aus - eine derartige Zurückhaltung auferlegt, liegt daran, dass im Islam mit Glaubensbrüdern, anders als mit "Ungläubigen", erstaunlich tolerant verfahren wird. So wird in den einschlägigen Dokumenten der IOMS und der IFA zwar betont, dass der künstlich erzeugte Embryo vor seiner Einnistung in die Gebärmutter "keinerlei Würdeschutz aufgrund der Scharia besitzt", weshalb es für seine - wörtlich - "Hinrichtung" keinen Hinderungsgrund gebe; andererseits strebt man offenbar danach, jenen entgegenzukommen, die der Meinung sind "dass die befruchtete Eizelle das erste Stadium des Menschen ist, den Gott geehrt hat". Mehrheitlich nämlich geht der Islam wie auch das Judentum davon aus, dass der Embryo erst am 40. Tag beseelt wird.
Die Vorstellungen von der Beseelung speisen sich in beiden Religionen wesentlich aus der Beseelungslehre, die der griechische Philosoph Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) entwickelt hat. Aristoteles betrachtete die Seele nicht nur als das Prinzip, das der Materie Form gibt, sondern unterschied - in einer gewissen Analogie zu seinem Lehrer Platon (427 - 347 v. Chr.) - auch zwischen einem vegetativen, einem sensitiven und einem rationalen Seelenteil. Nach der Lehre der so genannten Sukzessivbeseelung, die später auch Thomas von Aquin (1224 - 1274) übernahm und modifizierte, erhält der Embryo mit der Zeugung zunächst nur eine vegetative Seele, auch Pflanzenseele genannt. Nach der Ausgestaltung des Geschlechts, die Aristoteles bei Jungen für den 40. Tag und bei Mädchen für den 80. Tag der Schwangerschaft datierte, erhält der Embryo dann eine Empfindungen wahrnehmende animale Seele. Erst mit der Geburt, dem Beginn des selbstständigen Atems, wird schließlich die rationale, ein Bewusstsein habende Seele geschaffen. Während die ersten beiden Seelenteile bei der Zeugung durch das Sperma vom Vater auf den Embryo übertragen werden, wird die dritte Seelenstufe, die den Menschen erst zu dem macht, was er seinem Wesen nach ist, nämlich ein mit Vernunft und Freiheit begabtes Lebewesen, dem Kind durch geheimnisvolle göttliche Intervention hinzugegeben.
Aus dieser Unterscheidung leitete schon Aristoteles ein Verbot der Abtreibung nach dem ersten Stadium der Schwangerschaft ab, in dem der Mensch bereits als "erschaffen" galt. Auf dieser Vorstellung baut auch der Talmud auf, der neben der Thora, den fünf Büchern Mose, zu den wichtigsten religiösen Werken des Judentums zählt, und in dem es heißt: "Wer das Blut des Menschen in einem Menschen vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden." Was aus heutiger Sicht zu Recht ein unglaublicher Skandal wäre, bedeutete im geschichtlichen Kontext jedoch einen Fortschritt in Richtung Humanität. Historisch betrachtet stellte nämlich die genaue israelitische Rückforderung "Auge um Auge, Zahn um Zahn" eine erste Zähmung des in den alten Kulturen oft völlig ungezügelten Rachedurstes dar. Davon abgesehen, folgt im Umkehrschluss aus dem Verbot der vorgeburtlichen Kindstötung in späteren Stadien der Schwangerschaft zudem die Erlaubnis der Abtreibung im ersten der drei Stadien. Tatsächlich wird der Embryo im Talmud vor dem 40. Tag der Schwangerschaft als "pures Wasser" (maja be'alma) betrachtet. Die Erlaubnis zur Abtreibung wird von heutigen Rabbinern mehrheitlich auch auf den Umgang mit der künstlich befruchteten Eizelle übertragen, mit der Folge, dass der Embryo bis zum Zeitpunkt der Implantation als vogelfrei gilt. Er kann praktisch unbegrenzt hergestellt, getestet und verworfen oder aber auch der Forschung zugeführt werden. Auch danach wird er von vielen Rabinern nicht als eigenständiges Wesen, sondern als Teil der Mutter (ubar jerech imo) betrachtet. Dies führt zum Beispiel dazu, dass beim Übertritt einer schwangeren Frau zum jüdischen Glauben das Kind automatisch ebenfalls dem Judentum zugerechnet wird.
Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass Israel heute nicht nur die liberalsten Gesetze im Bereich der Forschung mit embryonalen Stammzellen besitzt, für deren Gewinnung menschliche Embryonen getötet werden müssen. Es weist im internationalen Vergleich auch die größte Dichte an Reproduktionskliniken auf. Nur das reproduktive Klonen ist verboten, und das auch nicht aufgrund von prinzipiellen theologischen oder moralischen Erwägungen, sondern nur, "weil die Forschung, wie man klont", noch nicht ausgereift ist, so Michel Revel, Leiter des Weizmann-Instituts und einer der einflussreichsten Bioethiker in Israel.
Das Christentum hat nicht nur die aristotelisch-thomistische Lehre von der Sukzessivbeseelung überwunden, sondern es besitzt auch ein von den beiden anderen monotheistischen Weltreligionen unterscheidbares Menschenbild. Zwar ist auch für Juden und Muslime der in Genesis 1,26 beschriebene Gedanke, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen habe, alles andere als bedeutungslos. Allerdings fehlt ihnen eine für das christliche Verständnis des Menschen wesentliche Komponente. Diese besteht darin, dass Gott den Menschen nicht nur nach seinem Bild geschaffen, sondern ihm auch den Auftrag gegeben hat, sich die Erde "untertan" zu machen, also Kultur zu schaffen sowie Wissenschaft und Technik zu entwickeln. Soweit können Judentum und Islam durchaus folgen.
Für den Christen bedeutet der Gedanke der Gottes-ebenbildlichkeit des Menschen darüber hinaus aber noch ein Gerufensein. Der Mensch besitzt nicht nur ein Herkunftssiegel, sondern auch eine Verheißung. Diese besteht darin, dem Gottmenschen Jesus, der für Juden und Muslime "nur" ein Prophet neben anderen ist, gleichförmig zu werden, ein, wie es Johannes Paul II. in seiner Enzyklika "Redemptor Hominis" formulierte, "anderer Christus" zu werden. Für die Christen ist der in Jesus Mensch gewordene Gott nicht nur ein Vorbild, an dem es sich zu orientieren gilt, er ist auch Prototyp, Programm und göttlicher Auftrag zugleich. Wer daher ein menschliches Wesen in welchem Entwicklungsstadium auch immer tötet, durchkreuzt also gewissermaßen die Pläne Gottes, nimmt einem von Gott gerufenen Wesen die Möglichkeit zu dem zu werden, wozu er von ihm schon immer berufen ist.
Denn wie Papst Benedikt XVI. in seiner Katechese am 28. Dezember 2005, dem "Fest der Unschuldigen Kinder", in Rom ausführte, begleitet die "liebevolle Zuwendung Gottes (...) einen jeden Menschen vom Mutterschoß an (...). Gott kennt unsere Vergangenheit und hat einen Plan für unser Leben, den er uns Schritt für Schritt zu erkennen gibt."
Diese Sicht erklärt auch, warum in der 2000-jährigen Geschichte des Christentums - am konturenreichsten in der katholische Kirche - Abtreibungen auch dann verboten waren, als die Lehre von der Sukzessivbeseelung noch mit den damaligen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang zu stehen schien. Denn wenn der ewige, nicht an die Kategorien von Raum und Zeit gebundene Gott einen Plan für jeden Menschen besitzt, spielt es nur eine nebensächliche Rolle, wann sich dieser Plan für den konkreten Menschen zu verwirklichen beginnt. Wesentlich ist vielmehr, dass und wie er verwirklicht wird.
Analog zu den Erkenntnissen der Embryologie, welche die Entwicklung des Menschen als einen Prozess beschreiben, der keine qualitativen Sprünge aufweist, sondern nur ein quantitatives Wachsen und Entfalten beinhaltet, betrachten christliche Philosophen wie Robert Spaemann und Martin Rhonheimer die Person als etwas, das nicht Ergebnis menschlicher Entwicklung ist, sondern diese erst ermöglicht. Aus "etwas" könne, so Spaemann, schließlich nicht "jemand" werden. Oder, wie Rhonheimer sagt: "Nur Personen können die Eigenschaften von Personen entwickeln."
Auch der heutige Papst Benedikt XVI. bekräftigte bereits 1987 als Präfekt der römischen Glaubenskon-gregation in der Instruktion "Domum Vitae" über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben die Würde der Fortpflanzung: "Jedes menschliche Wesen muss - als Person - vom ersten Augenblick seines Daseins an geachtet werden."
Die kompromisslose Haltung der katholischen Kirche zum Lebensschutz speist sich also aus drei Elementen: dem Glauben daran, dass Gott der Schöpfer allen Lebens ist, der philosophischen These, dass der Mensch Person von Anfang an ist, und am stärksten aus der Auffassung, dass Gott, der, wie Benedikt XVI. zu Beginn seiner ersten Enzyklika betont, "die Liebe" ist, jeden Menschen dazu beruft, ihm gleichförmig zu werden.
Im Protestantismus, dem ein zentrales Lehramt fehlt, wird das Lebensrecht des Embryos in manchen Richtungen stark relativiert. So befürworten in den USA etwa die United Church of Christ und die Presbyterian Church die Forschung mit embryonalen Stammzellen ausdrücklich, während die Southern Baptist Convention und die Lutherans' Missouri Synod sie nachdrücklich ablehnen. Auch in Deutschland gibt es unterschiedliche protestantische Stimmen. So halten etwa der Berliner Theologe Richard Schröder, Mitglied im Nationalen Ethikrat, und sein Bonner Kollege Hartmut Kreß, der der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellforschung am Robert Koch-Institut angehört, den Verbrauch menschlicher Embryonen für akzeptabel.
Ganz anders der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber. "Wer die Tötung menschlicher Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen in Kauf nimmt, instrumentalisiert Leben in einer Weise, die ethisch nicht gerechtfertigt werden kann", so Huber 2004 im "Deutschen Ärzteblatt". "Die unverfügbare Würde des Menschen zu achten, heißt, auch den offenen Ausgang menschlichen Lebens zu respektieren und darauf zu verzichten, eine bestimmte Stufe in der menschlichen Entwicklung so auszuzeichnen, dass erst jenseits dieser Stufe eine Schutzwürdigkeit beginnt." Für den EKD-Ratsvorsitzenden reicht daher die "Schutzverpflichtung für menschliches Leben" soweit "wie unsere Schutzmöglichkeiten".
Für den Buddhismus und Hinduismus stellt sich die Frage nach dem Beginn des Lebens nicht. In beiden Religionen wird alles Leben als kontinuierlich betrachtet. Das Leben endet nicht mit dem Tod, sondern mündet in eine Wiedergeburt, in der es eine andere Gestalt annimmt. Daher markiert die Zeugung in diesen beiden Religionen auch nicht den Beginn eines individuellen Lebens. "Leben ist wie eine Drehtür", erklärt der Religionswissenschaftler Damien Keown vom Goldsmiths-Institut in London. Abtreibung gilt dennoch "als Unrecht, denn sie nimmt einem Lebewesen die Möglichkeit, in neuer Form wiedergeboren zu werden", so Keown weiter. Zudem verstößt die Vernichtung eines Lebewesen gegen das Gebot der Gewaltlosigkeit (ahimsa).
Nach buddhistischer wie nach hinduistischer Lehre steht Abtreibung daher auf derselben Stufe wie Mord. Die Verantwortlichen können aus der Gemeinschaft der Glaubenden ausgeschlossen werden, was als eine der schlimmsten Strafen gilt. In der Praxis sieht das freilich ganz anders aus, wie etwa die in Indien weit verbreitete Selektion nach Geschlecht zeigt. Weil die Familie bei der Heirat einer Tochter verpflichtet ist, eine Mitgift zu zahlen, werden dort sowohl nach natürlicher als auch künstlicher Zeugung Mädchen in oder außerhalb des Mutterleibes getötet. "Bezahle jetzt 500 Rupien, um später 50.000 Rupien zu sparen." Mit Slogans wie diesen werde in indischen Abtreibungs- und Reproduktionskliniken offen geworben, berichtet die Soziologin Jyotsna Gupta von der Universität Leiden.
Der Konfuzianismus schließlich definiert Leben ebenfalls als heilig. Eingriffe des Menschen in die Natur gelten jedoch dann als gerechtfertigt, wenn sie zum Nutzen anderer geschehen. Die Bekämpfung von Krankheiten wird als Verpflichtung betrachtet, was erklärt, weshalb der Klonforscher Hwang Woo Suk bis zur Aufdeckung des Fälschungsskandals als Nationalheld in Südkorea verehrt wurde.
Anders als die medizinische oder auch Rote Gentechnik, findet die Grüne Gentechnik in den Weltreligionen bislang kaum Beachtung. Zwar befassen sich einzelne christliche Theologen auch mit der Frage, wie genetische Veränderungen von Pflanzen ethisch zu bewerten seien, kommen dabei aber überwiegend zu dem Schluss, dass aufgrund des allgemeinen "Gärtnerauftrags", den der Mensch nach der biblischen Schöpfungserzählung (Genesis 1,28 und 2,15) von Gott erhalten hat, keine grundsätzlichen schöpfungstheologischen Einwände gegen die genetische Manipulation von Pflanzen sprechen. Kritik, soweit sie vorgetragen wird, ist nicht theologischer Natur und richtet sich gegen die Gefahr der Verunreinigung von gentechnikfreiem Saatgut durch gentechnisch verändertes Saatgut, eine nicht für ausreichend erachtete Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel, Haftungsregelungen und dergleichen mehr.
Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche lassen in ihren thematisch verwandten Stellungnahmen zur Bekämpfung von Armut und Hunger in der Welt jedoch klar erkennen, dass sie der Grünen Gentechnik zur Lösung dieser Probleme keine besondere Bedeutung zumessen. Vielmehr vertreten beide Kirchen den Standpunkt, dass die Menschheit auch ohne Gentechnik jederzeit in der Lage wäre, den Nahrungsbedarf eines jeden Menschen auf der Erde zu decken. Dass dies nicht geschieht, wird von beiden Kirchen in erster Linie auf ungerechte Strukturen in der Produktion und Verteilung von Nahrungsmitteln zurückgeführt.
Stefan Rehder ist Journalist und Publizist mit den Schwerpunkten Lebensrecht, Bioethik und Biomedizin.