Gäbe es Patente nicht schon seit dem 15. Jahrhundert, müsste man sie erfinden. Ohne Patente würde die technologische Erneuerung der Gesellschaft viel langsamer verlaufen oder gar erlahmen. Erfinder sähen sich regelmäßig um den Lohn ihrer Mühen gebracht, weil andere ihr Werk einfach kopierten. Geniale Ideen würden im Panzerschrank verwahrt, anstatt sie mit der Welt zu teilen. Und schließlich fände sich niemand mehr, der innovativen Menschen Geld anvertraute, weil sich mit Neuem nichts verdienen ließe. Das Patent ermöglicht einen fairen Handel: Ein auf 20 Jahre befristetes Nutzungsmonopol für eine Erfindung wird dem gewährt, der sein Wissen teilt und so weitere Neuerungen ermöglicht.
Gerade für den Fortschritt in der Biotechnologie sind Patente äußerst wichtig. Die Biotechnologie liefert neuartige Lösungen für drängende Probleme des Umweltschutzes, der Ernährungssicherung und der Medizin. Sie bildet zugleich eines der zentralen Wettbewerbsfelder für den Weltmarkt von morgen und sie ist, weil die Forschung viel Geld kostet und oft spekulativen Charakter hat, abhängig von einem kontinuierlichen Zufluss von Risikokapital.
Wenn Politiker über eine "mangelnde Innovationskraft" klagen, die den Wohlstand der Europäer gefährdet, ist das nicht mit einem Mangel an Ideen gleichzusetzen. Gemeint ist vielmehr ein Mangel an wirtschaftlicher Nutzung der vielen guten Ideen und Erfindungen, die den Forschungsschmieden entspringen. Patente sind ein entscheidendes Element der so verstandenen Innovation. Ohne sie würden die rund 1.900 Biotechnologieunternehmen, die es in der EU gibt, von ihrer Konkurrenz in Asien und Amerika schnell verdrängt.
Doch zugleich werfen Patente für biotechnologische Erfindungen äußerst sensible Fragen auf. Schließlich geht es nicht um neuartige Maschinen oder Werkstoffe, sondern um Lebendiges, um Pflanzen, Tiere und auch den menschlichen Körper sowie um die elementaren Bauteile von Lebewesen, also etwa Proteine und Gensequenzen. Mit dem Slogan "Kein Patent auf Leben" wirbt die Umweltorganisation Greenpeace für tiefgreifende Restriktionen im deutschen und europäischen Patentrecht.
In der öffentlichen Wahrnehmung ruft diese Kampagne auch Missverständnisse hervor. Zum einen denken viele Menschen, dass Patente, die sich auf ethisch fragwürdige Praktiken beziehen, etwa das Klonen von Tieren, eine Lizenz für eben diese Praktiken darstellen. Patente brechen aber nicht das Recht der Länder, in denen sie zum Einsatz kommen. Was verboten ist, wird auch durch die Erteilung eines Patents nicht erlaubt. Zusätzlich wurde in das Patentrecht nun noch die Sicherung eingebaut, dass zahlreiche Praktiken, die als unethisch gelten, grundsätzlich nicht patentwürdig sind. Wie weit sich dies auch auf die Nutzung menschlicher embryonaler Stammzellen erstreckt, dürfte für die spätere wirtschaftliche Nutzung dieses Gebiets mitentscheidend sein.
Zweitens existiert die Angst, Patente würden einen Besitzanspruch begründen. Doch ein Patent auf ein menschliches Gen macht nicht alle seine Träger zum Eigentum des Patentinhabers. Auch muss niemand Gebühren dafür zahlen, dass er über ein patentiertes Gen verfügt. Das Patent greift nur, wenn das isolierte Gen wirtschaftlich nutzbar gemacht wird.
Es gibt aber auch gut begründbare Zweifel an den bei uns gültigen Patentierungsregeln. Sie wurden in der EU-Biopatentrichtlinie (98/44/EG) 1998 erstmals festgelegt und werden seither sukzessive in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in nationales Recht verwandelt, was in Deutschland nach mehrjähriger biopolitischer Kontroverse im Januar 2005 geschah. Der Streit, ob neuartige Lebewesen und ihre Bestandteile überhaupt patentierbar sein sollen, geht bis in die 60er-Jahre zurück und wurde anfänglich grundsätzlich negativ, dann aber zunehmend positiv entschieden.
Das europäische und deutsche Patentrecht öffnet inzwischen einen sehr weiten Spielraum: "Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war", heißt es in Artikel 1 (1) des Biopatentgesetzes. Das gilt auch für den menschlichen Körper: "Ein isolierter Bestandteil des menschlichen Körpers (…), einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens, kann eine patentierbare Erfindung sein, selbst wenn der Aufbau dieses Bestandteils mit dem Aufbau eines natürlichen Bestandteils identisch ist." Damit ist die Grundsatzfrage, ob Natur patentierbar ist, eindeutig entschieden: Ja, aber nur dann, wenn sie technisch isoliert und nach den allgemeinen Patentregeln genutzt wurde, also wenn die Erfindung nicht trivial ist und eine gewerbliche Nutzung möglich wird.
In dem hervorragenden Band "Patente am Leben? Ethische, rechtliche und politische Aspekte der Biopatentierung", den Christoph Baumgartner und Dietmar Mieth 2003 herausgebracht haben, äußert der Kampagnenleiter von Greenpeace, Christoph Then, drei grundsätzliche Kritikpunkte: Erstens belohnten Patente auf Gene und Lebewesen nicht die Erfindung von Neuem, sondern nur die Entdeckungen dessen, was
in der Natur vorkommt. Zweitens blockierten solche Patente den allgemeinen Zugang zu genetischen Ressourcen. Und drittens verminderten Biopatente grundsätzlich die Wertschätzung gegenüber der belebten Natur, da Lebewesen zunehmend unter dem Aspekt ihrer technologischen und wirtschaftlichen Verwertung gesehen würden.
Die öffentliche Debatte hat sich bisher vor allem auf den zweiten Punkt dieser Kritik konzentriert, da hier eine ungewöhnliche und wortmächtige Koalition entstehen konnte. Die Kritiker beunruhigt, dass Biopatente durch ihren Monopolcharakter den Zugang zu genetischen Informationen und Ressourcen behindern und damit letztlich den wissenschaftlich-technischen Fortschritt behindern könnten. Diese Sorge eint gleichermaßen grundsätzliche Kritiker der Gentechnik wie Greenpeace und die Grünen, Genetiker wie den Gründervater der Gensequenzierung, Le Roy Hood, und den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker, sowie Vertreter der Wirtschaft, des Bundespatentgerichts und des Europäischen Patentamts.
Die Kritiker attackieren eine Besonderheit des Patentschutzes auf biologische Materie: Für Gene soll nämlich dieselbe Art von Patentschutz gelten wie für andere Chemikalien auch. Dieser so genannte "Stoffschutz" erstreckt sich nicht nur auf das, was ein Erfinder weiß und zur Patentanmeldung bringt, sondern auf alle Funktionen eines Stoffs, auch die ihm noch unbekannten. Das hat historische Gründe. Als Politiker und Beamte in Brüssel die Richtlinie in den 80er- und 90er-Jahren ausgearbeitet haben, war das menschliche Erbgut noch nicht sequenziert und seine Struktur noch weitgehend unbekannt. Die Verfasser in Brüssel bedienten sich eines vereinfachten Schemas, dass nämlich der Körper mit der Erbinformation jedes Gens nur ein einziges Eiweiß herstellt und dieses Eiweiß in der Regel auch nur eine einzige Funktion haben würde. Biopatentierung nach diesem Prinzip wäre klar und einfach. Wer die Genfunktion samt wirtschaftlicher Anwendung zuerst entdeckt, könnte berechtigterweise ein Patent auf Gensequenz, Genprodukt, Genfunktion und deren gewerbliche Nutzung bekommen. Zu dieser Zeit schätzten Forscher die Zahl der menschlichen Gene auf 100.000 und mehr.
Das ganze Schema hat sich aber im Licht neuerer biologischer Forschung als falsch herausgestellt. Die Schlussfassung des Humangenomprojekts verzeichnet nur rund 20.000 Gene. Jedes von ihnen hat viele Funktionen; die Gene arbeiten nicht einzeln, sondern gruppenweise und vernetzt. Sie bringen kooperativ eine immense Vielfalt an Eiweißen hervor und tragen so zu unterschiedlichen Formen von gesundem Funktionieren und krankhaften Veränderungen bei. Früher dachte man, dass Gene höchstens in Einzelfällen mehrere Funktionen hätten. Heute weiß man, dass dies die Regel ist.
Für die Patentierung wirft dies die Gefahr einer Überbelohnung auf. Die Sorge geht um, dass das Menschheitserbe Erbgut den Charakter eines öffentlich zugänglichen Guts verlieren könnte. Aus diesem öffentlichen Raum könnte bald ein Flickenteppich werden, ähnlich den mittelalterlichen Fürstentümern. Zwischen diesen Gen-Fürstentümern könnten sich junge Erfinder aber nicht mehr frei bewegen, sie würden ständig von hohen Türmen aus beschossen, auf offener Straße angehalten oder mit horrenden Weggebühren in Form von Lizenzabgaben belegt. Dafür gibt es schon Fallbeispiele.
Der deutsche Gesetzgeber hat auf diese Kritik mit einer Einschränkung des Stoffschutzes reagiert, die allerdings nur für den Menschen gilt, nicht für Tiere und Pflanzen. Wer ein Patent auf menschliche Gene anmelden will, muss angeben, wofür er es verwenden will. Nur dafür zählt der Patentschutz. Frankreich ist bei seiner nationalen Umsetzung wesentlich weiter gegangen und hat den absoluten Stoffschutz bei der Biopatentierung ganz abgeschafft. Möglich sind nur "Verfahrenspatente", die sich auf die konkret gemachte Erfindung beschränken.
Insgesamt entsteht durch die unterschiedliche Reaktion der EU-Länder auf diesen zentralen Streitpunkt ein auch für Investoren unbefriedigendes europäisches Mosaik. Jedes Land setzt die Richtlinie mit anderen Akzenten um. Schon in der letzten Legislaturperiode hat der Bundestag deshalb die Regierung aufgefordert, in Brüssel auf eine Neufassung der Biopatentrichtlinie zu dringen, die dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht. Diese Aufgabe zu erledigen, steht der alten und neuen Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) noch bevor.