Wenn es darum geht, die jüngsten und damit machtvollsten Biotechniken schnell ins Werk zu setzen, lässt man sich in der Tierzucht ungern übertreffen. Das ist nichts Neues. Dass aber am 14. April 2005 ausgerechnet die Zucht von Rennpferden, die sich eher auf das konventionelle Tete-à-tete von Hengst und Stute verlässt, plötzlich zum Gegenstand einer der umstrittensten biotechnischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte werden sollte, wollte nicht jedem in der prestigefrömmigen Branche einleuchten. Einen Champion einfach genetisch kopieren - im Handumdrehen klonen wie ein schottisches Schaf? Genau das versprachen der renommierte italienische Reproduktionsexperte Cesare Galli und ein Team von Wissenschaftlern der französischen Firma Cryozootech an diesem Tag, an dem sie der Welt das zwei Monate alte Rotschimmelfohlen mit dem holprigen Namen Pieraz-Cryozootech-Stallion, kurz PCS, präsentierten.
Das Tier war ein Klon des legendären Pieraz Psar, eines vielfach ausgezeichneten amerikanischen Rennchampions. Dessen Besitzerin hatte drei Jahre zuvor, als der Wallach seiner Sterilität wegen alle Aussichten auf natürlichen Nachwuchs verwirkt hatte, die Klonfirma in Sonchamp mit der biotechnischen Vervielfältigung ihres Pferdes beauftragt. Galli, der schon zwei Jahre vorher mit der Klonherstellung des Haflinger-Fohlens Prometea und damit des ersten Pferdes überhaupt bekannt geworden war, hatte die "Dolly"-Technik des Kerntransfers angewendet. Dieselbe Technik, mit der im gleichen Jahr an der University of Idaho drei Maultiere geklont und ein halbes Dutzend andere Säugetierarten vorher schon im Reagenzglas produziert worden waren: Kuh, Kaninchen, Ziege, Schwein, Schaf, Maus, Ratte, Katze und später auch Hund.
Vieles an dieser neuen Biotechnik widerspricht schon auf den ersten Blick den uralten Regeln der Tierzucht. Ein züchterisches Weiterkommen etwa, die Neukombination von Genen, wie man sie mit der geschlechtlichen Fortpflanzung von ausgewählten Tieren seit dem Beginn der Haustierdomestikation angestrebt hatte, schien mit dem Klonen plötzlich ad absurdum geführt. Mehr noch: Als die schottischen Forscher um Ian Wilmut im Frühjahr 1997 das Klonschaf Dolly der staunenden Öffentlichkeit vorführten und damit die "Nachzucht" von genetisch weitgehend identischen Individuen aus schlichten Körperzellen eines längst ausgewachsenen Wesens in Aussicht stellten, kippte die alte Ordnung des Stammbaums. Begriffe wie Ahnenreihe und Generationenfolge verloren ihre alte Bedeutung. Das ist einer der Gründe, weshalb sich Zuchtverbände und insbesondere traditionsbewusste wie jene aus der Rennpferdzucht, noch immer vehement gegen die Etablierung des Verfahrens wenden. Und sich damit nicht nur den eigenen Modernisierern, sondern auch gewaltigen kommerziellen Interessen verweigern.
367.350 Dollar zuzüglich einer 15-prozentigen Patentgebühr kostet im Schnitt das Klonen eines Pferdes, haben die Pioniere des Maultierklonens an der Universität von Idaho ausgerechnet, die längst eine eigene Biofirma aus der Taufe gehoben haben. Bei dieser Investition freilich könnte ein erklecklicher Betrag von weit über einer Million Dollar herausspringen. Dann nämlich, so werben die Klonunternehmer für ihr junges Handwerk, wenn "Sie am Ende mit 16 Klonen dastehen, die wir aus den einhundert, mit dem Genmaterial Ihres Pferdes präparierten Stuten gewinnen".
Solche Zahlen lassen die Schwierigkeiten kaum erahnen, mit welchen die Klonzeugung immer noch zu kämpfen hat. Das Rotschimmelfohlen PCS war das einzige überlebende Tier von 34 Embryonen, die man zwölf Stuten eingepflanzt hatte. Am Anfang der Herstellungskette standen an die 800 fusionierte Embryonen, die durch die Injektion der Gensubstanz von Pieraz Psar in die zuvor entkernten Eizellen Dutzender Stuten gewonnen worden waren. Die hohe Quote der Fehlträchtigkeiten und Missbildungen beim Dolly-Klonen wird manchmal mit handwerklichen Anfangsschwierigkeiten erklärt, meistens aber mit grundsätzlichen biologischen Hürden, die beim fehleranfälligen Reprogrammieren des Spendergenmaterials in den fusionierten Embryonen auftreten.
Fest steht, dass die "Erfolgsquoten" in der Klontierzucht mittlerweile breit streuen. Bei Rindern werden inzwischen bis zu einem Drittel der so genannten rekonstruierten Embryonen ausgetragen. Bei Schafen schwankt die Quote zwischen fünf und zehn Prozent, bei Schweinen zwischen einem und sechs und bei Ziegen zwischen drei und sieben Prozent. Die Tatsache, dass einige, wenn auch längst nicht alle dieser Klongeburten mit Stoffwechseldefekten oder anderen Missbildungen zur Welt kommen, ist für hergebrachte Tierzüchter ein Grund mehr, die neue Reagenzglastechnik dort zu belassen, wo sie bisher bemerkenswert werbewirksam gediehen ist - in den Laboren.
So bleibt das kommerzielle Klonen vorerst ein Nischengeschäft wie für das in San Francisco ansässige Unternehmen "Genetic Savings and Clone", das eine texanische Katzennärrin im vorigen Jahr für 50.000 Dollar mit "Little Nicky" beglückte, einer vermeintlichen Wiedergeburt des verunglückten Nicky. An Quasi-Wiederauferstehungen erinnern auch die ersten Versuche, ausgestorbenen oder stark bedrohten Tierarten mit dem Klonen eine existentielle Zukunft zu sichern. Die "Arche Noah" ist bislang allerdings überschaubar geblieben. Zum erstenmal war vor fünf Jahren die amerikanische Klon- und Stammzellfirma Advanced Cell Technology mit der Geburt des geklonten Gaur-Ochsen Noah in diese Richtung vorgeprescht. Das Tier, Sprössling einer selten gewordenen asiatischen Wildrindrasse, war mit einem gewöhnlichen Hausrind ausgetragen worden. Zwei Tage nach der Geburt ging das Tier an der Ruhr ein.
Besser erging es zwei Jahre später im gleichen Betrieb einem Banteng-Rind aus Java, das mit gefrorenem Zellmaterial von einem der letzten geschätzten 8.000 Tiere erzeugt worden war. Dessen Klonzwilling allerdings, der zwei Tage danach von einer anderen Kuh geworfen worden war, wurde kurz darauf gnadenhalber eingeschläfert. Es hatte das doppelte Geburtsgewicht - das "Large offspring syndrome", ein häufiger Klonartefakt - und litt an irreparablen Stoffwechselentgleisungen.
Allgemein sind die Erwartungen eher zurückgeschraubt worden. Ob Großer Panda, indischer Leopard, Tasmanischer Tiger oder der Iberiensteinbock Bucardo, dessen wohl letzter Vertreter am 6. Januar 2000 von einem umstürzenden Baum erschlagen worden war - sie alle stehen auf einer virtuellen Liste möglicher Klonkandidaten. Doch bis auf die Tatsache, dass man Gewebeproben in den genetischen Tiefkühldepots eingelagert hat - ähnlich wie Cryozootech Proben von 40 Rennpferdechampions vorhält - ist über Klonfortschritte in der Arche bisher nichts bekannt geworden.
Die Tierzucht hat ihr Hauptaugenmerk ohnehin auf andere Anwendungsgebiete der Gentechnik gerichtet. Nicht die Konservierung, sondern die gezielte und schnelle Veränderung ist und bleibt ihr Geschäft. Jahrhunderte lang war die sorgfältige Selektion von Zuchttieren anhand äußerlicher Leistungsmerkmale und die anschließende Kreuzung die einzige Möglichkeit, die gewünschten Merkmale zu erhalten. Aus mageren wurden so fette Schweine und mit dem gestiegenen Gesundheitsbewusstsein bald wieder Schweine mit magerem Fleisch. 20 Jahre hatte es bis zum neuen Magerschwein freilich gebraucht.
Immerhin: Künstliche Besamung, die Gewinnung und Übertragung von Embryonen - der Embryonentransfer - hatten die Viehzucht bald revolutioniert. Ein Besamungsbulle etwa ersetzt bis zu 1.000 "Natursprung"-Bullen. Und mit der künstlichen Übertragung von Embryonen können von einer wertvollen Kuh in einem Jahr gleichzeitig zehn und mehr Nachkommen erzeugt werden, während eine Kuh normalerweise nur ein Kalb pro Jahr aufzuziehen vermag. Doch erst mit der Einführung gen-analytischer Verfahren, mit denen sich die Zusammensetzung der Erbmerkmale schnell vorherbestimmen lässt, und mit den aktiven Methoden der Genveränderung - angefangen vom einfachen Gentransfer bis zum gezielten Genaustausch bei Klontieren - gelingt allmählich, was die Branche seit Beginn der Biotechnikepoche systematisch versucht: die molekular maßgeschneiderte Tierzucht.
Zwar lassen sich die Nutztiere ebenso wie der Mensch noch immer nicht genetisch lückenlos im Handumdrehen durchleuchten. Aber mit genetischen "Markern" im Erbgut beispielsweise kann man sich relativ leicht behelfen, um die Vererbung bestimmter Leistungsmerkmale zu überwachen und durch Embryonenauswahl zu steuern. Und nicht nur das. Die mangelnde Fertilität ist allen Fortschritten zum Trotz immer noch einer der Schwachpunkte der Tierzucht. Von den übertragenen Kuhembryonen beispielsweise wird kaum ein Drittel unbeschadet ausgetragen. Viele renommierte Forschergruppen sind deshalb wie die Münchener Tierzuchtspezialisten um Eckhard Wolf darum bemüht, die genetischen und zellulären Konditionen zu verbessern, die für eine funktionierende "Kommunikation" zwischen Embryo und Plazenta und damit eine erfolgreiche Schwangerschaft der Tiere sorgen. Die klassische Tierzucht könnte davon erheblich profitieren.
Joachim Müller-Jung ist Diplombiologe und Leiter des Ressorts Natur und Wissenschaft der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".