Sie ist ein etwas grauer Bau, die Schule in Warschau, mit Böden aus abgewetztem Parkett und weiß-roten Flaggen in den Korridoren. Über der Tafel im Klassenzimmer hängt der polnische Adler. "Sauberer als unsere Schule", meint eine Frankfurter Schülerin. Kaugummis und Schmierereien habe sie kaum ausgemacht. Etwa 25 deutsche und polnische Schüler, zwischen 16 und 18 Jahre alt, sitzen zusammen in einem Kreis und ziehen Bilanz über ihre gemeinsam erlebte Februarwoche. Es ist das dritte Austauschtreffen zwischen der Freiherr-vom-Stein-Schule in Frankfurt am Main und dem "XLII Liceum Ogólnoksztalcace im. M. Konopnickiej", einem Gymnasium in Warschau. Ein Frankfurter Schüler mit polnischen Vorfahren hatte hier sein Auslandsschuljahr verbracht und so den Kontakt zwischen beiden Gymnasien hergestellt.
Den deutschen Schülern ist aufgefallen, dass die Polen weit mehr mit ihrer Schule verbunden sind: Die Austauschschule hat ein eigenes Wappen, sogar eine eigene Polonaise, die alle Schüler lernen müssen. Laut der polnischen Deutschlehrerin, die den Austausch begleitet und organisiert, studieren 98 Prozent der ehemaligen Schüler. Allgemein sind die Polen weit mehr an ihren Schulen, vor allem an Gymnasien interessiert. Abiturvorbereitungen sind Thema überregionaler Tageszeitungen, die Aufgaben werden in Zeitungen abgedruckt und von den Lesern diskutiert.
"Bei uns ist das anders, wir gehen eben einfach in die Schule", erklärt ein deutscher Jugendlicher; dass in ihrer Schule einstmals der berühmte Philosoph Theodor W. Adorno die Schulbank drückte, finden nur die Lehrer bedeutend. Im Freizeitverhalten - das ist wiederum den polnischen Schülern aufgefallen - sind die deutschen Eleven vereinzelt. In Polen geht man lieber mit einer größeren Gruppe weg.
Ein paar Tage zuvor wurde die ganze Gruppe durch das Museum des Warschauer Aufstandes geführt, von einem jungen Mann, dessen Großvater damals mitgekämpft hatte. Er vermittelte alles mit viel Enthusiasmus, ganz so, als sei er selbst dabei gewesen. Die polnische "Heimatarmee" kämpfte im Warschauer Aufstand 1944 gegen die deutschen Besatzer. Nach der Niederschlagung wurde die Stadt fast komplett zerstört. In Polen ist die Meinung weit verbreitet, dass vor allem die jungen Deutschen wenig darüber wissen. Auch andere Orte der NS-Besatzungszeit wurden im verschneiten Warschau besucht. Als die beiden deutschen Lehrer nochmal drängen, über die schwierige Geschichte zu reden, wiegeln die polnischen Schüler eher ab - "wir sind doch eine neue Generation, wir müssen in die Zukunft schauen". Einige der Frankfurter Schüler erklären, dass es ihnen zuviel gewesen sei. Vor allem im vergangenen Jahr habe der Warschauer Aufstand im Mittelpunkt gestanden. "Ständig war da der Vorwurf", berichtet eine Schülerin über ihre Austauschfamilie. "Das ist die Vergangenheit meines Landes, aber nicht meine eigene", versucht sie eine Trennlinie zu ziehen. Eine andere Schülerin berichtet, dass der Vater ihrer Gastfamilie den Kopf geschüttelt habe über so viel "Zweiter Weltkrieg" im Programm. Als die polnischen Schüler im Oktober ihr Land offiziell in der Frankfurter Schule vorstellten, habe es Provokationen gegeben, erzählt einer von ihnen. Schüler hätten Polenwitze erzählt, und es seien Anspielungen auf das "Klauen" gemacht worden.
Dennoch betrachten die Schüler den Austausch als Erfolg - es wurden Freundschaften geschlossen und es gab private Einladungen. Während polnische wie deutsche Lehrer glauben, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sei wichtig, wollen beide Schülergruppen eigentlich lieber auf die Gemeinsamkeiten hinweisen.