Die Erweiterungspolitik sei das "wirksamste Instrument", über das die EU gegenüber ihren Nachbarn verfüge, sagt der zuständige EU-Kommissar Olli Rehn. Niemand im Europäischen Parlament würde dem Kommissar da widersprechen. Aber nach der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens möchte die große Mehrheit der Abgeordneten eine Pause im Erweiterungsprozess einlegen. In den nächsten Jahren sollte sich die Kommission auf "die legitimen Anliegen der europäischen Öffentlichkeit" konzentrieren, beschloss das Parlament auf seiner Sitzung am 16. März. Solange die Union nicht aus der Blockade herausgefunden habe, in die sie durch das Nein der Holländer und der Franzosen zum Verfassungsvertrag geraten ist, könne sie keine neuen Mitglieder aufnehmen.
Im Mittelpunkt der Debatte, die in Brüssel mit zunehmender Heftigkeit geführt wird, steht die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union. Dieses Kriterium soll in Zukunft ebenso schwer wiegen wie der Entwicklungsstand im Kandidatenland. Die Staats- und Regierungschefs haben sich diese Hintertür immer offengehalten, um Beitrittsanträge auch ablehnen zu können. Bislang hat davon aber niemand Gebrauch gemacht. Das liege auch daran, sagt der Vorsitzende des Außenpolitischen EP-Ausschusses, Elmar Brok (CDU), dass niemand wisse, was darunter zu verstehen sei. Die Kommission soll deswegen bis Ende des Jahres festlegen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit die EU zusätzliche Mitglieder aufnehmen kann. Eine Voraussetzung dafür sei, heißt es in Broks Bericht zur Erweiterungspolitik, dass Klarheit über den zukünftigen Charakter der EU herrsche, einschließlich ihrer Grenzen.
In der Debatte über die Erweiterungspolitik machten sich in der vergangenen Woche vor allem die deutschen Abgeordneten für einen Kurswechsel stark. Im Gegensatz zur Mehrheit seiner liberalen Partei, die davor warnt, potenziellen Beitrittskandidaten mit dem Hinweis auf die eigenen Probleme "die Tür vor der Nase zuzuschlagen", unterstrich der deutsche Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff (FDP), die EU dürfe bei der Aufnahme neuer Mitglieder "die Unterstützung unseres wichtigsten Partners, des Bürgers", nicht verlieren. Auch das Positionspapier der deutschen Sozialdemokraten erteilt "geopolitischen Überlegungen" bei der Erweiterung der Union eine Absage. Neue Beitrittsverträge könnten nur abgeschlossen werden, wenn "alle Kriterien vor Vertragsabschluss vollständig erfüllt sind".
Für das Kandidatenland Mazedonien und die anderen Staaten des westlichen Balkans wollen die deutschen SPD-Abgeordneten im Europaparlament die Latte höher legen. Eine Beitrittsperspektive könne diesen Ländern erst eröffnet werden, wenn die EU in dieser Region keine Truppen mehr stationieren müsse, um Frieden und Stabilität zu erhalten. Die EU brauche eine "lange Phase der Konsolidierung", bevor sie bereit sei, neue Mitglieder aufzunehmen.
Erweiterungskommissar Rehn warnt jedoch davor, die Beitrittsperspektive, vor allem der Balkanländer, in Frage zu stellen. Das könnte den in Gang gekommenen "Reformprozess auf dem Balkan unterbrechen". Die von den Gegnern einer raschen Erweiterung betonte Alternative zwischen Vertiefung und Erweiterung der EU bestehe in Wirklichkeit nicht, sagt Rehn. In den letzten Jahrzehnten sei immer beides gelungen: die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten und die Vollendung neuer, politischer Projekte wie Binnenmarkt oder Währungsunion.
Brok will Ländern, die nicht Mitglied der Union werden können oder wollen, eine Perspektive in einem "europäischen Wirtschaftsraum" eröffnen, den er für die Nachbarn der EU schaffen will. Manche Länder wie die Ukraine könnten von dort aus dauerhaft mit der EU kooperieren, für die Balkanländer könnte der "europäische Wirtschaftsraum" auch eine "Durchgangsstation auf dem Weg zur vollen Mitgliedschaft" sein. Dieses Instrument werde dafür sorgen, dass künftige Erweiterungsrunden in den Mitgliedsstaaten leichter durchsetzbar seien. In Frankreich und anderen Ländern, wo über den Beitritt neuer Mitglieder die Wähler entscheiden, könne niemand die Ratifizierung künftiger Beitrittsverträge garantieren, sagt Brok. Staaten wie die Türkei könnten dann über eine Wirtschaftsunion an die EU gebunden werden. "So vermeidet man enttäuschte Hoffnungen." Zum "Europa der konzentrischen Kreise" sieht Brok keine Alternative. Entweder gelinge es der EU, ihren Nachbarn einen attraktiven Status zwischen einem Assoziationsabkommen und der vollen Mitgliedschaft anzubieten oder die Union werde mittelfristig zu einer reinen Freihandelszone. Und das Projekt einer politische Union werde nur von einem Teil weiter verfolgt.