Dass er eines Tages für mehr Ehrlichkeit in der Werbung kämpfen müsste, hätte Vebraucherschutz-Kommissar Markos Kyprianou nie gedacht. Was sein Vorgänger David Byrne Rat und Parlament der EU vorgeschlagen habe, sei doch nur logisch, sagt der zypriotische Kommissar. Viele Abgeordnete des Europäischen Parlamentes sehen das anders. In der ersten Lesung hatte die "Verordnung über gesundheits- und nährwertbezogene Angaben" deswegen wenig Gnade vor ihren Augen gefunden. Weitreichende Änderungsanträge wurden beschlossen. Diese Arbeit hätte sich das Parlament sparen können. Als die Vorlage den Ministerrat passiert hatte, sah sie wieder fast genauso aus wie im ursprünglichen Entwurf der Kommission.
Strenge Vorschriften sollen in Zukunft dafür sorgen, dass die Nahrungsmittelhersteller mit den unterschwelligen Ängsten der Kunden keine Geschäfte mehr machen. Nährwertbezogene Angaben wie "fettarm" oder "zuckerarm" dürfen den Jogurtbecher nur dann zieren, wenn bestimmte Grenzwerte nicht überschritten werden und wenn der Jogurt ein bestimmtes "Nährwertprofil" aufweist.
Angaben über gesundheitliche Wirkungen ("Kalzium ist gut für die Knochen") sind nur noch dann statthaft, wenn sie auf einer von der Kommission geführten Liste verzeichnet sind - und wenn sie außerdem auf das betreffende Lebensmittel zutreffen. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, Vorschläge für die Liste zu unterbreiten. Aufgenommen werden nur solche Angaben, die von der Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA) geprüft, von der Kommission vorgeschlagen und von einem Ausschuss der Mitgliedstaaten genehmigt worden sind. Weitergehende Heilsversprechen wie "..senkt den Cholesterinspiegel" bedürfen einer "Sondergenehmigung" der Kommission. Marken- oder Produktnamen, die Gesundheit verheißen, dürfen nur noch in den nächsten 15 Jahren verwendet werden, und auch nur dann, wenn sie bereits heute am Markt eingeführt sind. Das alles, sagt die Europaabgeordnete Renate Sommer (CDU), sei "bürokratischer Wahnsinn" und nur gut, um die Euroskepsis zu steigern. "Die neuen Auflagen werden vor allem die mittelständischen Hersteller treffen und gerade dort Arbeitsplätze gefährden". Konservative und Liberale konnten in langen Verhandlungen mit dem Ministerrat und der Kommission durchsetzen, dass lediglich die gesundheitsbezogenen Angaben einem Zulassungsverfahren unterworfen werden, die nährwertbezogenen Angaben müssen nur angemeldet werden. Trotzdem habe er dem Kompromiss nur "zähneknirschend" zugestimmt, sagt Holger Krahmer (FDP): "Wenn ein Gesetz zu bürokratisch ist, dann ist die einzig richtige Schlussfolgerung, darauf zu verzichten." Dafür fehlte den Gegnern der Verordnung allerdings die notwendige Mehrheit im Straßburger Plenum.
Die meisten Abgeordneten finden das Ziel der Kommission richtig und die dafür eingesetzten Mittel angemessen. Die Verbraucher hätten das "Recht zu wissen, was in ihren Nahrungsmitteln" sei, sagt die britische Grüne Jill Evans. Statt Geld für die Werbung auszugeben, solle die Lebensmittelindustrie etwas gegen die Fettleibigkeit tun. Ihre Fraktionskollegin Hiltrud Breyer feiert die Verordnung gar als "Meilenstein" für den Verbraucher und den Gesundheitsschutz. "Zu fette, zu süße oder zu salzige Produkte können dem Verbraucher nun nicht mehr unter dem Deckmäntelchen von Gesundheit und Wellness untergejubelt werden." Auch die britische Sozialistin Linda McAven kann nichts Falsches daran finden, dass die Nahrungsmittelhersteller in Zukunft nur noch mit "wissenschaftlich untermauertem Anspruch" werben dürfen. Schließlich, sagt der Holländer Jules Maaten von den Liberalen, "glauben 53 Prozent der Verbraucher solchen Versprechen".
Die Gegner der Verordnung sehen darin eher das Problem als die Lösung. Die Vorstellung, Fettleibigkeit und ungesundene Ernährung seien eine Folge der Werbung, halten sie für zu schlicht. "Werbung macht Kinder nicht dick - und Erwachsene auch nicht", sagt Holger Krahmer. "Die Ursachen von Fettleibigkeit sind vielfältig und höchst komplex." Zu komplex, meint er, um sie mit einem bürokratischen Schema in den Griff zu kriegen.
Viele Abgeordnete glauben, dass hier nicht nur dem Verbraucher ein zu simples Schema als Wunderwaffe gegen falsche Ernährung vorgegaukelt wird sondern auch ihnen selber. "Wir entscheiden hier doch im Dunkeln", sagt der britische Konservative John Bowis, der dem Anliegen der Kommission an sich aufgeschlossen gegenübersteht. Bowis denkt dabei an die "Nährwertprofile", die in der Verordnung vorgesehen sind, von denen aber niemand so richtig weiß, was er sich darunter vorzustellen hat. Denn selbst die Vertreter der EU-Ernährungsbehörde, so der Abgeordente Horst Schnellhardt (CDU) hätten dem Ausschuss nicht verraten können, wie ein Nährwertprofil aussieht.