Das war nicht immer so. Die systematische Erforschung des Terrorismus geht erst auf die 1970er-Jahre zurück. Damals hieß es häufig, Terrorismus sei eine Abart des Kampfes der extremen Linken in verschiedenen Ländern der Welt - dort, wo die Unterdrückung und Ausnutzung am stärksten sei, wo grausame Diktaturen den gequälten Menschen keinen anderen Weg ließen als den bewaffneten Kampf gegen die Unterdrückung. Die Konsequenz schien klar: Des Einen brutaler Terrorist war des Anderen fortschrittlicher Widerstandskämpfer, dem Sympathie und Unterstützung gelten sollten. Noch eines schien manchen klar: Ohne Unterdrückung und Armut gäbe es keine Verzweiflung und auch keinen Terrorismus. Auch hieß es häufig, dass es gar keinen wesentlichen Unterschied zwischen Terrorismus und der vom Staat ausgeübten Gewalt gäbe. Die Tatsache, dass zwar Terrorismus Gewalt ist, aber nicht alle Gewalt Terrorismus, wurde dabei übersehen.
In ihrer primitiven Form konnten sich diese Thesen nicht lange halten, denn sie widersprachen den Tatsachen. Mit wenigen Ausnahmen verschwanden die kleinen terrroristischen Gruppen der Linken innerhalb von ein paar Jahren, mindesten ebenso häufig gab es terroristische Anschläge von Seiten rechtsextremistischer Gruppen und noch häufiger von extrem nationalistischen und religiösen militanten Gruppen, die weder "links" noch "rechts" eingeordnet werden konnten.
Doch manche der neuen Theorien, die sich bemühten, den Terrorismus zu erklären, waren kaum überzeugender -- etwa dass Terrorismus Folge von Armut und imperialistischer Aggression sei. Die Präsenz amerikanischer Truppen im Irak spielte zwar eine entscheidende Rolle beim Entstehen des Terrorismus in diesem Lande, aber in Algerien oder in Sri Lanka, in Kashmir und in vielen anderen Ländern spielten Invasionen nicht die geringste Rolle - es handelte sich um eine Konfrontation zwischen Völkern und Minderheiten oder aber um den Versuch radikaler islamistischer Gruppen, die Macht zu erobern. Natürlich stimmt es im Großen und Ganzen, dass es in den reichsten Ländern wenig oder keinen Terrorismus gibt - aber auch nicht in den ärmsten Gesellschaften.
Dazu kam der wachsende Widerstand gegen die Benutzung der Begriffe "Terrorismus" und "Terrorist", vor allem im Englischen. Viele Medien gebrauchen Synonyme wie etwa "Militante" oder "Aktivisten", so lange jedenfalls es sich nicht um blutige Angriffe im eigenen Lande handelt. Dieser Widerstand gegen die Benutzung der Worte Terrorismus und Terrorist ist interessant. Kein Partisan oder Guerilla hat sich je beleidigt gefühlt, wenn er als solcher bezeichnet wurde.
Der heutige Terrorismus unterscheidet sich durchaus von dem der russischen Sozialrevolutionäre, der französischen und italienischen Anarchisten, der irischen Nationalisten und anderer solcher Gruppen im 19. und 20. Jahrhundert. Deren Terror war selektiv, gegen führende Persönlichkeiten des feindlichen Lagers gerichtet. Die Terroristen dieser Zeit bemühten sich, Unschuldige nicht zu treffen, selbst wenn durch solche Rücksichtnahme das eigene Leben gefährdet wurde. Es wäre übertrieben zu behaupten, dass die Terroristen damals Humanisten waren, aber sie hatten eine Art Ehrenkodex. Das hat sich grundlegend geändert, denn der religiös-nationalistische Terrorismus unserer Tage kennt keine Rücksichtnahmen mehr. Unschuldige gibt es nicht und wenn die eigenen Leute bei Attentaten umkommen, sind sie Märtyrer, gefallen im Kampf für eine heilige Sache.
Seit Jahren bemühen sich Juristen, Politikwissenschaftler, Philosophen, Theologen (und nicht sie allein) um eine umfassende, allgemein gültige Definition des Terrorismus - ein lobenswertes Bemühen, das jedoch ohne Erfolg geblieben ist. Terrorismus ist keine Ideologie, sondern eine Kampfweise, die sich zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Ländern verschieden manifestiert hat. Definitionen, die für ein Land, eine bestimmte Zivilisation oder Periode zutreffen, sind unzutreffend und irreführend, was andere Länder und Zeiten betrifft. Es wäre unsinnig zu behaupten, dass Terrorismus immer verdammenswert gewesen sei. Es hat Zeiten und Bedingungen gegeben, in denen Verfolgten und Unterdrückten keine andere Wahl blieb als die ultima ratio - der bewaffnete Widerstand in der Form des Terrorismus.
Nun zeigt aber selbst eine flüchtige historische Betrachtung, dass Terrorismus häufig nicht ultima ratio, sondern prima ratio war. Gerade in den härtesten Diktaturen, etwa im stalinistischen Russland oder im Dritten Reich gab es keinen Terrorismus von unten - die staatliche Übermacht war so groß, dass es zur Entstehung terroristischer Gruppen gar nicht kommen konnte. Die Moslemische Brüderschaft in Syrien wollte in den 80er-Jahren eine terroristische Kampagne starten, doch die Regierung in Damaskus griff rigoros durch. Viele Tausende wurden innerhalb von ein paar Tagen getötet. Seitdem hat es in Syrien keine größeren Anschläge mehr gegeben. Terrorismus gibt es also nicht in repressiven Diktaturen, sondern in Demokratien oder "failed states", in denen eine effektive Staatsmacht nicht existiert.
Die gegenwärtig vorherrschende Spielart des Terrorismus wird zweifellos nicht für immer andauern, aber heute und in der näheren Zukunft wird es schwierig sein, ihren Einfluss einzudämmen. In der Vergangenheit begnügten sich terroristische Gruppen mit beschränkten Forderungen (wie etwa die Änderung des politischen Systems, oder die Erfüllung separatistischer Forderungen). Die Ziele fanatisch religiöser oder nationalistischer Gruppen sind total, in der Theorie, wenn auch nicht immer in der Wirklichkeit. Sie halten nichts von Dialogen und Kompromissen, sie wollen die Vernichtung - oder wenigstens die Bekehrung des Feindes. Sie wollen, dass das Unrecht, das ihrer Meinung nach einer nationalen oder religiösen Gruppe geschehen ist, wieder gut gemacht wird. Das bedeutet aber in der Wirklichkeit meist, dass Zugeständnisse, die einer Gruppe gemacht werden, auf Kosten einer anderen gehen. Sie wollen die Errichtung eines Staates und eine Umformung der Gesellschaft in eine theokratische Diktatur.
Mit einem Ende des Terrorismus in der vorhersehbaren Zukunft ist nicht zu rechnen. In einer Zeit, in der traditionelle Kriege zu kostspielig geworden sind, wurde der Terrorismus die vorherrschende Form gewalttätiger Konflikte. Nun kann man einwenden, dass Terrorismus alles in allem weder sehr viele Opfer gefordert, noch großen Schaden angerichtet hat - jedenfalls im Vergleich mit den Weltkriegen. Nach dem 11. September 2001 hat es nur noch kleinere Angriffe in verschiedenen Teilen der Welt gegeben. Das wiederum hat zu der Forderung geführt, dass man die terroristische Gefahr nicht überschätzen und vor allem nicht überreagieren sollte. Das aber lässt außer Acht, dass terroristische Gruppen in der Zukunft möglicherweise Massenvernichtungswaffen haben und benutzen werden. Es kann zu Stellvertreterkriegen kommen, wenn Staaten solche Waffen kleinen Gruppen von Terroristen zur Verfügung stellen, um so Spuren zu verwischen und einer Vergeltung zu entgehen. Ein terroristisches Attentat hat den ersten Weltkrieg ausgelöst - es ist nicht auszuschließen, dass ein ähnlicher Angriff seitens einer terroristischen Gruppe in Zukunft noch einmal einen Krieg auslösen könnte.
Die Diskussion um den Terrorismus wird weitergehen und eine allgemein gültige Definition wird man nicht finden. Dennoch wäre es falsch zu sagen, dass man deswegen über Terrorismus nicht sprechen oder schreiben kann und dass eine Meinung so gut sei wie die andere. Ein Kommentator sagte einmal, dass es sich mit dem Terrorismus verhält wie mit der Pornografie: Eine absolut genaue, allgemeingültige Definition ist unmöglich, aber wenn ein einigermaßen erfahrener Beobachter genau hinschaut, so weiß er, worum es sich handelt.
Der Autor gilt als einer der Begründer der Terrorismusforschung. Er veröffentlichte zahlreiche Standardwerke zum Thema und leitete von 1965 bis 1994 das Institute of Contemporary History in London.