Als die beiden Türme des World Trade Centers gerade erst zusammengebrochen waren und man unter den Trümmern noch verzweifelt nach Überlebenden suchte, gingen Bilder um die Welt, die die Bergungsfahrzeuge zeigten - mit amerikanischen Flaggen. Inmitten der Trümmerberge, über denen noch eine Aschewolke stand, flatterten rot-weiß-blau Fahnen.
Das war kein tumber Patriotismus: Das war das Zeichen einer verwundeten Stadt, die sich trotz allem nicht unterkriegen lassen würde. Wir sind immer noch da und wir werden uns von euch nicht einschüchtern lassen - das war die Botschaft an die Terroristen um Osama Bin Laden, die gerade einen verheerenden Angriff auf den Erzfeind Amerika und die gesamte westliche Welt ausgeführt hatten.
Fünf Jahre nach dem 11. September, viele Anschläge und zahllose Tote später müssen wir erkennen: Die Terroristen haben die westliche Welt nicht besiegt - aber sie sind in unsere Gedanken und Gefühle eingedrungen. Sie haben es geschafft, dass es als normal gilt, am Flughafen Gürtel und Schuhe ablegen zu müssen. Dass es strenge Sicherheitsvorkehrungen in öffentlichen Gebäuden gibt. Dass wir uns niemals und nirgendwo mehr absolut sicher fühlen können - weder in irgendeinem Urlaubsparadies noch daheim.
Dabei entsteht oft der Eindruck, der Terrorismus der Al-Qaida sei etwas völlig Neues. Doch Terror hat es in der Welt immer schon gegeben. Viele Jahre lang mordeten IRA und ETA in Irland und Spanien. Die Bundesrepublik erlebte ihren "deutschen Herbst" 1977. In diesen Ländern erhoben sich Einzelne gegen ihre Regierungen - und blieben trotz vieler Opfer erfolglos bei der Durchsetzung ihrer Ziele. In anderen Teilen der Welt existieren mit Israel und Zypern Staaten, die es ohne Terrorismus so nicht geben würde. Und aus dem Nahen Osten erreichen uns nahezu täglich Meldungen von Anschlägen und Selbstmordattentaten, die beinahe vergessen lassen, dass es zwischen der ersten und zweiten Intifada auch einmal so etwas wie Erfolge auf dem Weg zum Frieden gegeben hat.
Auch wenn der Terrorismus ein altes Phänomen in der Welt ist: Al-Qaida und Osama Bin Laden haben den Begriff neu definiert und der politisch und ideologisch motivierten Gewalt eine bis dahin unbekannte Dimension verliehen. Der fanatische Hass, den fundamentalistische Islamisten dem Westen und den Ungläubigen entgegenbringen, ist schockierend - weil er so groß ist, dass für den Kampf gegen den Feind kein Preis, und sei es das eigene Leben, zu hoch ist.
Der Schock über so viel Hass und die Angst vor der Bedrohung kann lähmen. Oft genug aber löst er einen geradezu verheerenden Aktionismus aus. Seit fünf Jahren befinden sich die Vereinigten Staaten in einem "Krieg gegen Terror". Dieser Krieg hat viele Menschenleben gekostet - Sieger hat er nicht hervorgebracht, nur immer noch mehr Hass auf beiden Seiten.
Al-Qaida ist keine kleine Kämpfertruppe unter der Führung eines bärtigen Mannes irgendwo in Afghanistan mehr. Al-Qaida ist zur mörderischen Idee geworden, die jedem, der darauf aus ist, in den "Heiligen Krieg" zu ziehen, nicht nur das ideologische Rüstzeug bietet, sondern auch die konkrete Anleitung zum Bombenbau. Wie eine Hydra bringt sie immer neue Zellen hervor - die weder mit Waffengewalt noch mit immer Gesetzen für immer mehr Sicherheit aufgehalten werden können.
Bislang konnte man in Deutschland leicht über die Hysterie der Amerikaner urteilen - zwei missglückte Bombenanschläge haben auch hier bewiesen, wie fließend die Grenzen zwischen angemessenen und übertriebenen Reaktionen auf die Bedrohung sind. Fünf Jahre nach New York und Washington ist das Thema Terrorismus aktueller denn je. Deshalb steht es im Mittelpunkt dieser Ausgabe.