Monate lang reiste der Berliner Fotograf und Filmemacher Ralf Schmerberg durch die Welt. In Indien und Afrika, in Deutschland, China und vielen anderen Ländern bat er die Menschen vor seine Kamera. Eine einzige Frage sollten sie jeweils stellen. Eine Frage, die ihnen so wichtig wie keine andere erschien. "Ask yourself", befrage dich selbst, heißt die Kampagne, mit der Schmerberg und seine amerikanischen Kolleginnen Jackie Wallace und Cindy Gantz seit September vergangenen Jahres auch im Internet unter www.droppingknowledge.org die Fragen der Weltbevölkerung zusammentragen. 50.000 haben sie bereits gesammelt. Täglich werden es mehr. 100 dieser Fragen, ausgewählt durch eine weltweite Abstimmung im Internet, wurden am vergangenen Sonnabend auf dem Berliner Bebelplatz beantwortet. Von 112 Intellektuellen aus aller Welt, an einem ringförmigen runden Tisch mit 33 Metern Durchmesser und 110 Metern Umfang, dem "Table of Free Voices", dem "Tisch der freien Stimmen". Dort konnte jeder sagen, was er denkt. Den Beginn eines "globalen Dialogs" sollte diese Veranstaltung markieren, ein Zeichen setzen, dass jeder Mensch eine Stimme hat, die es wert ist, angehört zu werden. Die Idee zur großen Frage-Antwort-Runde kam den Initiatoren vor drei Jahren in den USA. Sie dokumentierten die zahlreichen Proteste gegen den beginnenden Irak-Krieg und wunderten sich, dass all diese nie in den internationalen Medien abgebildet wurden. So gründeten sie das gemeinnützige Projekt "Dropping Knowledge", das übersetzt so viel heißt wie "Wissen abwerfen", und begannen an ihrer Idee einer internationalen Tafelrunde zu feilen. Dass ihr deutsches Büro in einem ehemaligen Kindergarten in Berlin-Mitte liegt, scheint passend, denn an Neugierde und Idealismus durfte es ihnen nicht fehlen. Sie gewannen Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Schirmherren und eine große Versicherung als Hauptsponsor für das insgesamt sechs Millionen Euro teure Projekt. Über 1.000 mehr oder weniger berühmte Menschen aus aller Welt nominierten sie dann als Teilnehmer für den runden Tisch. Die 112, die schließlich nach Berlin reis ten, waren begeistert, unter ihnen Menschenrechtsaktivistin Bianca Jagger und Ex-Benetton Fotograf Oliviero Toscani. Sie alle beantworteten Fragen zu Ethik und globaler Verantwortung, zu Weltwirtschaft und Politik. "Gibt es etwas besseres als Demokratie?" war eine davon. "Nein", rief Regisseur Wim Wenders: "Es gibt nichts besseres als Demokratie, nur könnten wir sie besser nutzen. Wir haben vergessen, dass es ein Privileg ist, in einer Demokratie zu leben." 112 kleine Kameras und Mikrofone zeichneten die Antworten auf und übertrugen das 600 Stunden füllende Videomaterial per "Live Stream" sofort ins Internet. Dort geht die Diskussion nun weiter, denn jeder ist eingeladen, die 100 Fragen auch selbst zu beantworten. 310.000 Mal wurden bereits am vergangenen Sonnabend die Internetseiten der Organisation aufgerufen. Gestaltet wird die Plattform von Professor Hans Uszkoreit und seinem Team vom Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken. Von einer üblichen politischen Diskussion oder gar einer parlamentarischen Debatte soll sich der Dialog im weltweiten Datennetz abheben. "Es soll keine Diskussion sein, bei der ein jeder versucht, den anderen zu überzeugen", sagt Ellen Furnari, Co-Direktorin von "Dropping Knowledge" in Amerika. Der Schwerpunkt liege auf dem Dialog, bei dem alle Menschen eingeladen seien, Fragen zu stellen und Wissen zu teilen. "Es ist die neue Version einer sehr alten Idee, der Demokratie", so Furnari. "Wir nennen es: Demokratie des einundzwanzigsten Jahrhunderts." Der riesige Tisch, gestaltet vom Berliner Architektenteam Nils Eichberg und Sören Roehrs, soll nun bald auf Reisen gehen. Ein paar Einladungen in andere Städte der Welt liegen bereits vor. Nach Moskau auf den Roten Platz zum Beispiel. Oder nach Südamerika, zum Amazonas - das wäre eine Herausforderung ganz nach dem Geschmack der "Dropping Know- ledge"-Crew.