Das Europäische Parlament hat vergangene Woche den Entwurf der EU-Kommission für eine neue Feinstaubrichtlinie abgeschwächt. Schon der Umweltausschuss hatte sich im Juni dafür ausgesprochen, den Städten längere Übergangsfristen und mehr Möglichkeiten für Ausnahmeregelungen einzuräumen. Das Plenum entschied nun, auf verbindliche Grenzwerte für Kleinstpartikel von 2,5 Mikrometer ganz zu verzichten. Nur wenn die Kommission nach 2010 zu dem Schluss kommt, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen, kann sie innerhalb von fünf Jahren einen neuen Vorschlag mit verbindlichen Reduktionszielen erarbeiten.
Damit blieb das Parlament auch hinter den Forderungen zurück, die im Juni im Umweltausschuss beraten worden waren. Der deutsche Berichterstatter Holger Krahmer von der FDP hatte damals argumentiert, sein Vorschlag sei sogar umweltschonender als der der Kommission, da er ab 2015 strengere Grenzwerte verlange."Ambitionierte Grenzwerte sind nutzlos, wenn es nicht die Instrumente gibt, um diese Grenzwerte einzuhalten", erklärte Matthias Groote von der SPD. Das Parlament fordert deshalb noch bessere Umweltstandards für schwere Fahrzeuge, da die derzeit geltende Euro V Norm den Anforderungen an die Luftreinhaltung nicht gerecht wird. Außerdem sollen strengere Normen für Haushaltsheizungsanlagen, Anreize für Schiffseigner und neue Normen für Emissionen aus Schiffsmotoren dazu beitragen, dass Kleinstpartikel gar nicht erst in die Umwelt gelangen. "Von ambitionierten Jahresmittelwerten und einer Absenkung der dauerhaften Schadstoffbelastung haben die Menschen mehr als von einer für 24 Stunden gesperrten Straße", lobte die CSU-Abgeordnete Anja Weisgerber den Parlamentsbeschluss.
Mitgliedstaaten sollen die Zahl der Tage, an denen der Grenzwert überschritten werden darf, von heute 35 auf 55 Tage im Jahr erhöhen dürfen. Dafür soll die durchschnittliche Jahreshöchstbelastung von insgesamt 40 Mikrogramm pro Kubikmeter auf 33 Mikrogramm sinken. Der zuständige Umweltkommissar Stavros Dimas wandte sich gegen das Argument, niedrige Jahresmittelwerte seien aussagekräftiger als strenge Tagesgrenzwerte. "Der Jahresgrenzwert dient dem Schutz vor langfristigen Schäden. Der Tagesgrenzwert schützt besonders empfindliche Personen vor den Folgen von Schmutzpartikeln in der Atemluft."
BUND-Geschäftsführer Gerhard Timm bezeichnete die Änderungsvorschläge des Parlaments als "Umweltskandal ersten Ranges in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung". Dabei bezieht er sich auf Berech-nungen der Weltgesundheitsorganisation. Danach sind winzige Partikel in der Atemluft für 350.000 vorzeitige Todesfälle jährlich in der EU verantwortlich. Statistisch betrachtet endet das Leben jedes Europäers wegen der Feinstaubbelastung neun Monate früher.
Während sich in der Vergangenheit das Parlament stets gemeinsam mit der Kommission für strenge Grenzwerte und umweltverträgliche Gesetzgebung einsetzte, nimmt die Mehrheit zunehmend einen industriefreundlichen Standpunkt ein. Viele Abgeordnete gestehen hinter vorgehaltener Hand, dass sie die Polemik fürchten, die ihnen im Wahlkreis und aus den heimischen Medien entgegenschlägt. Ob Antidiskriminierungsgesetz oder Feinstaubrichtlinie - mit neuen Vorschriften aus Brüssel lassen sich derzeit keine Wählerstimmen gewinnen. Hinzu kommt, dass bei vielen Abgeordneten aus den neuen Mitgliedsländern Osteuropas das Verständnis für Umweltschutz schwach ausgeprägt ist. Auch in Deutschland ist das Thema Feinstaub zum Reizwort geworden. 26 Städte schafften es in diesem Jahr nicht, die Obergrenzen einzuhalten und müssen, wenn sie die Feinstaubbelastung nicht senken, mit Strafgeldern aus Brüssel rechnen. Auch der zuständige EU-Kommissar Stavros Dimas zeigte sich enttäuscht. Natürlich müssten den Gemeinden Anpassungsfristen eingeräumt werden. "Man kann aber die Flexibilität nicht erhöhen, ohne die Gesetzgebung zu schwächen", gab der Jurist zu bedenken. Im Juni hatte sich eine Mehrheit der Minister dafür ausgesprochen, an den strengen Vorschlägen der EU-Kommission festzuhalten, den Städten aber drei Jahre mehr Zeit zu geben, um ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Der Ratsvorsitzende hatte damals an die Abgeordneten des Parlaments appelliert, sich dieser Position anzuschließen.