In der Endphase der Verhandlungen über die Zukunft des Kosovo könnte die Parlamentarische Versammlung des Europarats in dieser Woche für politischen Zündstoff sorgen: Wenn die Abgeordneten über die Forderung nach einer Unabhängigkeit für die zu Serbien gehörende Provinz Kosovo diskutieren. Diesen Vorstoß präsentiert jedenfalls der Politische Ausschuss der paneuropäischen Volksvertretung in einem Resolutionsentwurf. Nun ist der Straßburger Staatenbund nicht an den Gesprächen über eine Kosovo-Regelung beteiligt - das ist Sache der UNO und der internationalen Kontaktgruppe. Auch ist unklar, ob sich die Mehrheit der Abgeordneten dem Verlangen des Ausschusses anschließt. Aber allein eine ernsthafte Diskussion im Europarat über die Eigenständigkeit des Kosovo, verbunden mit einer Garantie der Rechte der serbischen Minderheit, dürfte Wellen schlagen. Die Vorlage appelliert überdies an die internationale Gemeinschaft, den Beteiligten eine solche Lösung aufzuerlegen, sofern keine solche Vereinbarung auf dem Verhandlungsweg erzielt werden kann - eine Herausforderung für Belgrad, das den Kosovo als Teil Serbiens reklamiert. Nicht verwunderlich, dass sich zur Generaldebatte über die Lage auf dem Balkan politische Prominenz angesagt hat: der albanische Premier Sali Berisha, der kroatische Ministerpräsident Ivo Sanader und Sulejman Tihic, Präsident von Bosnien-Herzegowina. Ausgerechnet der serbische Präsident Boris Tadic scheint seine ursprünglich avisierte Reise nach Straßburg nun doch nicht anzutreten.
Sollten die Volksvertreter tatsächlich die Forderung nach einer Unabhängigkeit des Kosovo beschließen, begibt sich der Europarat in ein politisches Minenfeld. Moskau könnte die Abtrennung des Kosovo von Serbien gemäß dem Willen der albanischen Bevölkerungsmehrheit als Signal verstehen, nun seinerseits die Separatisten in den georgischen Regionen Südossetien und Abchasien sowie im moldawischen Transnistrien noch stärker zu unterstützen. Dies dürfte die Beziehungen zwischen Straßburg und Russland, das momentan die Präsidentschaft im Palais de l'Europe innehat, weiter belasten. Eine Unabhängigkeit Transnistriens lehnte der Europarat erst jüngst wieder ab. Zudem hat die Parlamentarische Versammlung wiederholt demokratisch-rechtsstaatliche Defizite in Russland sowie Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien angeprangert.
Plötzlich gewinnt auch die Debatte über die Wirtschaftsentwicklung Russlands während der Herbsttagung Dynamik. Zu dem Bericht des Wirtschaftsausschusses sind bereits mehrere Anträge mit dem Verlangen eingegangen, die Instrumentalisierung der russischen Energievorkommen als Druckmittel im internationalen Machtpoker zu thematisieren: Lieferung von Öl und Gas gegen mehr Einfluss Russlands im Ausland, etwa in der westeuropäischen Wirtschaft. Eine Rolle wird auch spielen, wie kritisch die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihre Stellungnahme für den Rechtsausschuss formuliert.
Trotz einer Einladung von Parlamentspräsident René van der Linden wollte der russische Staatschef Wladimir Putin weder im Juni noch jetzt zur Herbstsession kommen. Immerhin tritt Außenminister Sergej Lawrow auf, der während der russischen Präsidentschaft dem Ministerkomitee als höchstem Gremium des Staatenbunds vorsteht. Für Gesprächsstoff in Deutschland dürfte auch die Forderung des Migrationsausschusses sorgen. Die Mitglieder haben sich im Vorfeld der Herbsttagung für die Einrichtung eines "Europäischen Gedenkzentrums für Opfer von Zwangsvertreibung und ethnischer Säuberung" im 20. Jahrhundert stark - unter Schirmherrschaft des Europarats.