Chinas Führung rief, und alle kamen. 48 afrikanische Regierungschefs und Staatsoberhäupter saßen Anfang November in Peking beim China-Afrika-Gipfel mit am Tisch: So viele kommen normalerweise nicht einmal zur UN-Hauptversammlung. Chinas Hauptstadt hatte sich extra schick gemacht: Auf meterhohen Transparente prangten überall in der Stadt Zebras, Giraffen und Elefanten. Gut eine halbe Million Autos waren von den oft verstopften Straßen verbannt worden, um den schwarzen Limousinen der Staatschefs freie Fahrt zu garantieren. Selbst Fabriken wurden dicht gemacht: Der Himmel über Peking sollte blau sein, nicht wie sonst grau von Industrieabgasen. Afrika, so lautete die Botschaft, ist China wichtig - so wichtig wie nie zuvor.
Das zeigen auch die nackten Zahlen. Allein die während der Gipfelwoche geschlossenen Verträge mit elf afrikanischen Regierungen summieren sich auf 1,9 Milliarden US-Dollar, etwa für eine neue Aluminiumfabrik in Ägypten, eine neue Autobahn in Nigeria, eine neue Kupfermine in Sambia. Chinas Präsident Hu Jintao, der Afrika seit 2004 schon zweimal bereist hat, kündigte zudem neue Kredite in Höhe von 5 Milliarden US-Dollar an, die Streichung von Schulden für die ärmsten Nationen und eine Verdopplung der chinesischen Entwicklungshilfe. Das Wachstum des chinesischen Engagements in Afrika ist einzigartig: 1999 wies das Handelsvolumen zwischen China und Afrika noch 2 Milliarden US-Dollar aus - in nur sieben Jahren hat es sich auf 50 Milliarden verfünfundzwanzigfacht. Beim Pekinger Gipfel rief Hu die versammelten afrikanischen Führer auf, das Volumen weiter zu steigern: auf 100 Milliarden US-Dollar bis 2010. Derzeit ist China die drittwichtigste Handelsnation für Afrika nach der EU und den USA. Hu ließ keinen Zweifel daran, dass beide mittelfristig überholt werden sollen.
Das größte Interesse hat China dabei an der Ausbeutung von Afrikas Rohstoffen. Die in zweistelligen Raten wachsende Wirtschaft Chinas braucht so ziemlich alles, vor allem Öl. Ein Drittel des chinesischen Bedarfs an schwarzem Gold wird heute aus Angola, Gabun und dem Sudan geliefert - doppelt so viel wie etwa aus Saudi-Arabien, dem früheren Hauptlieferanten Chinas. In Nigeria hat die staatliche chinesische Ölgesellschaft CNOOC erst im Januar 45 Prozent Anteile in einem der ergiebigsten Offshore-Felder gekauft. Staatliche Firmen führen zudem auch Prospektionen in Liberia und anderen Staaten durch. Auch Eisenerz, Kupfer, Kobalt, Nickel, Zink, Platin, Diamanten und Holz gehören zu den Rohstoffen, die China in steigendem Maße aus Afrika importiert. In Sambia etwa, einem der wichtigsten Kupferproduzenten des Kontinents, wird eine der größten Minen von Chinesen betrieben. Doch auch jenseits der Rohstoffversorgung hat China Interessen: etwa bei der langfristigen Versorgung der Volksrepublik mit Agrar- und Fischereiprodukten, in deren industrielle Verarbeitung China heftig investiert. China nutzt Afrika zudem als Markt für seine Produkte, von Fahrrädern bis hin zu Möbeln und Unterhaltungselektronik.
Im Gegenzug erhält Afrika Unterstützung bei der Entwicklung von Infrastruktur und Industrie. Geschätzte 800.000 chinesische Bauarbeiter sind derzeit damit beschäftigt, in Afrika Straßen, Bahnlinien, Hotels oder Prachtbauten wie etwa Sportstadien zu bauen. In Ägypten will China in den kommenden Jahren sogar ein neues Atomkraftwerk errichten. Viele der Projekte werden mit chinesischer Entwicklungshilfe finanziert. Bei der Eroberung Afrikas hilft vielen chinesischen Investoren ihr langer Atem: Die staatlichen Konglomerate müssen keine Gewinne erzielen - Hauptsache, sie gewinnen die Herzen der Regierenden. "Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Firma hier jemals Geld machen wird", gesteht der Direktor von Chinas Straßen- und Brückenbaugesellschaft in Äthiopien, Deng Guoping, ein. Seine Arbeiter haben in einer der ärmsten Nationen der Welt ein Straßennetzwerk von mehreren hundert Kilometern Länge gebaut. Mitbewerber wurden systematisch unterboten. Die Verluste, die seine Firma dabei macht, lassen Deng keine grauen Haare wachsen. "Wir sind eine Staatsfirma, und der Staat will, dass wir hier Straßen bauen." Äthiopien, das praktisch keine Bodenschätze besitzt, zeigt eine weitere Facette des chinesischen Marsches nach Afrika: den Weg zur Weltmacht, bei dem China auf Afrikas Unterstützung baut. Mit 53 Nationen ist Afrika der größte geschlossene Block innerhalb der UN oder anderen Organisationen wie der WTO.
Afrikas Führer, die die mit europäischen oder amerikanischen Hilfsgeldern verbundenen politischen Auflagen schon lange kritisieren, begrüßen Chinas Strategie. Man spreche die selbe Sprache, nämlich Business, sagt ein hochrangiger Beamter in Kenia, der nicht genannt werden möchte. Anders als im Westen, verfolge China keine verborgene Agenda. Von Chinas "Weißbuch für Afrika", das unter anderem die "Nichteinmischung in nationale Angelegenheiten" propagiert, profitieren allerdings vorwiegend Regime, die vom Wes-ten boykottiert werden. Als die USA 1997 Sanktionen gegen den Sudan verhängten, waren chinesische Investoren prompt zur Stelle: Im Folgejahr investierten sie Milliarden in Sudans Erdölindustrie. Bis heute ist China der größte Waffenlieferant des Regimes von Präsident Omar Hassan al Baschir, der wegen des von seinen Truppen geführten Bürgerkriegs in Darfur von allen Seiten kritisiert wird. Die Vetomacht China hat bislang im UN-Sicherheitsrat alle Bemühungen unterlaufen, Blauhelme nach Darfur zu entsenden - der sudanische Staatschef Baschir lehnt den Plan entschieden ab.
Auch in Simbabwe, wo Präsident Robert Mugabe seine Gegner buchstäblich verhungern lässt, sieht China die vor vier Jahren vom Westen verhängten politischen Sanktionen als wirtschaftliche Chance. Ein chinesischer Staatskonzern erneuert derzeit für 300 Millionen US-Dollar Simbabwes Stromnetz. "Wir sehen Simbabwe als einen großartigen Platz, um Geld zu machen", freut sich auch Wang Dawei, Vize-Präsident des chinesischen Luftfahrtkonzerns Catic. Mehrere Deals sind in Vorbereitung, darunter die Lieferung von Kampfflugzeugen. Chinesische Firmen versorgen Mugabe zudem mit Geheimdienst-Technologie zum Abhören von Telefongesprächen. Wegen der gezielten Unterstützung von Despoten regen sich inzwischen auch kritische Stimmen. "China muss seine stille Diplomatie aufgeben, wenn es wirklich ein Partner Afrikas werden will", fordert der an Hongkongs Universität lehrende kenianische Betriebswirtschaftler Ken Kamoche. "Wenn man sich ansieht, wie sehr Afrika unter Korruption und Despotismus leidet, ist klar, wie anachronistisch Chinas Dogma der Nichteinmischung ist."
Dazu kommt steigender Unmut bei Afrikas Produzenten und Händlern. Der "Marsch nach Afrika" findet nicht nur im Großen statt: In Gabun etwa kontrollieren Chinesen große Teile des Einzelhandels. Afrikanische Händler klagen, dass diese fast alle Produkte unter den empfohlenen Mindestpreisen verkaufen können. Denn im Gegensatz zu den Gabunern kaufen die Chinesen in Gruppen große Chargen ein, um niedrige Preise zu erzielen. Die kapitalarmen afrikanischen Händler können sich das nicht leisten, zudem fehlen ihnen die vitalen Kontakte ins Herstellungsland.
Chinesische Unternehmen nutzen auch effektiv die Vorteile, die der Westen den ärmsten afrikanischen Nationen einräumt: Sie produzieren in Ländern, die unter das amerikanische Agoa-Abkommen oder das Cotonou-Abkommen mit der Europäischen Union fallen. Auf diese Weise können die Güter zollfrei ohne Mengenbegrenzung gen Westen verschifft werden, während Produkte aus China dort inzwischen harten Einfuhrbegrenzungen unterliegen. Um dabei ihren Wettbewerbsvorteil auf Amerikas und Europas Märkten zu behalten, zahlen chinesische Firmen in Afrika oft nur chinesische Löhne: Und die sind, selbst für afrikanische Verhältnisse, niedrig. Bei Sambias Präsidentenwahl waren diese niedrigen Gehälter eines der Hauptthemen.
Doch ob die Proteste Chinas Politik gefährlich werden können, ist ungewiss. "Transparency International" setzte China in seinem jüngsten Korruptionsbericht ganz oben auf die Liste - im Rennen um Rohstoffe, so heißt es, würden Schmiergelder ganz selbstverständlich eingesetzt. Aus Äthiopien kommt ein anderes Beispiel: In Häuser, die mit chinesischen Hilfsgeldern eigentlich für Flutopfer gebaut werden sollten, zogen nach Fertigstellung Ministerielle ein. Der Chef des chinesischen Baukonzerns gab sich unbeeindruckt: "Uns ist egal, wer die Häuser nutzt - solange die äthiopische Regierung zufrieden ist, ist unser Auftrag erfüllt."