Zur Jahreswende 1989/90 besetzten Tausende Bürger überall in der DDR die Büros des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und bewahrten die Unterlagen der Behörde so säckeweise vor der Vernichtung. Die Geheimpolizei der SED, die ihre Bürger rund 40 Jahre lang ausspioniert hatte, war Vergangenheit. Zurück blieb nach dem Mauerfall das, was der Nachrichtendienst über Jahrzehnte akribisch gesammelt hatte: Ein riesiges Archiv, prall gefüllt mit vertraulichen Daten über Täter wie Opfer, dokumentiert in Tausenden Akten, Karteikarten, Tondokumenten, Filmen und Mikrofiches.
Mit der Deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 erbte die Bundesrepublik diese fragwürdige Hinterlassenschaft. Aber was tun damit? Wissenschaftler und Medien forderten ihre Herausgabe für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Für die Opfer der SED-Diktatur waren die Akten intimste Dokumente - Zeugnisse ihrer Leidensgeschichte. Ein sensibles Thema. Mit dem Einigungsvertrag wurde zunächst ein neues Amt geschaffen: die Stasi-Unterlagenbehörde, im Volksmund bald "Gauck-Behörde" genannt, nach ihrem ersten Chef, Joachim Gauck. Sie übernahm insgesamt 180 Kilometer Unterlagen und 16.000 Säcke voller Schnipsel, die von vernichteten Stasi-Akten übrig geblieben waren. Die Nutzung der Dokumente war nur zugelassen für Rehabilitierungsfragen oder, ganz eingeschränkt, zur Strafverfolgung. Opfer des Systems hatten keinerlei Zugriff.
Erst ein knappes Jahr später, am 14. November 1991, beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit gegen die Stimmen von Bündnis 90/Grüne und der PDS/Linke Liste das so genannte Stasi-Unterlagengesetz. Daraufhin wurden die Archive geöffnet: Privatpersonen durften künftig ihre Akten einsehen, Behörden, Parlamente und Arbeitgeber Auskunft über eine eventuelle frühere Stasi-Verstrickung ihrer Beschäftigten verlangen. Wissenschaftler und Journalisten konnten die Akten für ihre Recherchen nutzen, wenn auch in engen Grenzen: Dokumente, die Persönliches über ausspionierte Stasi-Opfer enthalten, blieben tabu, illegale Veröffentlichungen waren gegen Strafe untersagt. Über das Gesetz war seit 1989 heftig diskutiert worden. Gegner der Aktenöffnung befürchteten, dass damit eine Hexenjagd im Land beginnen würde und das Misstrauen der Bürger untereinander weiter wachsen könnte. Viele waren auch der Meinung, dass die Akten der Stasi eigentlich von Amts wegen vernichtet werden müssten, weil sie unter permanenter Verletzung der Persönlichkeitsrechte entstanden seien. Die Bundestagsabgeordnete Ingrid Köppe (Bündnis 90/Grüne) kritisierte die mangelnde Berücksichtigung der Opferrechte im Gesetz: "Diese Opferakten sind ein Stück geklautes Privatleben, gestohlen durch Stasi-Bespitzelungen", so Köppe. Der Gesetzgeber müsse garantieren, "dass niemand ohne Einwilligung der Betroffenen - außer ihnen selbst in diese Akten sehen darf". Der SPD-Abgeordnete Rolf Schwanitz hielt dagegen: Der Gesetzentwurf gleiche "ein großes Defizit in der Auseinandersetzung mit dem SED-Unrechtsregime aus". Und Hartmut Büttner von der CDU/CSU-Fraktion erklärte: "Mit dem Gesetz will der Deutsche Bundestag dazu beitragen, dass der innere Frieden in den neuen Bundesländern gefördert wird. Voraussetzung für Versöhnung ist das Wissen um die eigene Akte, die Möglichkeit, durch Kenntnis der wahren Spitzel endlich wieder Vertrauen in den Freundes- und Bekanntenkreis einkehren zu lassen."
Das Stasi-Unterlagengesetz hatte jedoch ein juristisches Nachspiel: Altbundeskanzler Helmut Kohl klagte im Dezember 2000 erfolgreich gegen die Herausgabe seiner Akten an Journalisten und Wissenschaftler. Er sah darin seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Infolge des Urteils waren zahlreiche weitere Forschungsvorhaben blockiert. Das veranlasste den Bundestag am 4. Juli 2002 dazu, das Stasi-Unterlagengesetz zu novellieren. Seither können Stasi-Akten von "Personen der Zeitgeschichte, Inhabern politischer Funktionen oder Amtsträgern in Ausübung ihres Amtes" wieder zu
Forschungszwecken eingesehen werden. Informationen jedoch, die aufgrund von Menschenrechtsverletzungen oder auf rechtswidrige Weise erlangt wurden, etwa durch Einbruch in die Wohnung, oder das Abhören von Telefonen, dürfen nie herausgegeben werden. Die Dokumente, die das Privatleben Helmut Kohls betreffen, bleiben nach einem weiteren Verfahren bis heute unter Verschluss. Streit gab es auch bei der jüngsten Novelle des Gesetzes im Jahr 2006: der Kreis der Personen, die auf ihre Stasi-Vergangenheit überprüft werden sollten, sollte erheblich eingeschränkt werden. Nach heftigen Protesten wurde die Entscheidung über den Gesetzentwurf auf Ende November vertagt.