Diether Döring
Der Vorsitzende der "Denkfabrik Frankfurt am Main" hält die Signale der Arbeitsmarktpolitik für widersprüchlich und zuweilen schädlich.
Vergangene Woche ist das Gesetzespaket "50plus" verabschiedet worden. Weist es in die richtige Richtung?
Ja, wenigstens dem Prinzip nach. Endlich erkennt die Politik, dass wir bessere Beschäftigungschancen für die Älteren schaffen müssen.
Wird das Gesetz einen Mentalitätswechsel einleiten, der dazu führt, dass mehr ältere Menschen eingestellt werden?
Im Laufe der Zeit sicherlich. Allerdings sind wir in Deutschland mit der Einsicht, dass sich etwas ändern muss, sehr spät dran. Unser Land steht vor einem erheblichen demographischen Wandel, dessen Folgen wir lange nicht erkennen wollten. Zudem hat die jahrzehntelange schwache Situation auf dem Arbeitsmarkt dazu geführt, dass Unternehmen viele ältere Arbeitnehmer in Frührente geschickt haben. In Zeiten besserer Konjunktur halten Unternehmen eher die Zahl ihrer Beschäftigten konstant oder stellen sogar neu ein. Ich glaube dennoch, dass sich auf die Dauer ein Mentalitätswechsel bei den Beschäftigen und Unternehmen einstellen wird. Das Arbeitskräftepotenzial in der Bundesrepublik wird in den nächsten 30 Jahren drastisch altern. Der Block der 65-Jährigen und Älteren wird sich im Verhältnis zu den Menschen im Alter der 15 bis 65-Jährigen in drei Jahrzehnten grob verdoppeln.
Durch die Initiative "50plus" kann das Arbeitsamt künftig bis zu drei Jahre den halben Lohn von Älteren übernehmen. Verstärkt sich dadurch nicht das Gefühl, ältere Arbeitnehmer müssen vom Staat mitfinanziert werden, weil sie keinen vollwertigen Job mehr machen?
Sinnvoll ist dieses Instrument nur bei Menschen, die auch bei guter Konjunktur auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben oder gesundheitlich stark eingeschränkt sind. Aber das sind die Wenigsten. Grundsätzlich kann das Signal, das von Initiativen wie "50plus" ausgeht, auch schädlich sein. Wenn der Staat Förderung anbietet, signalisiert er, dass die betreffende Gruppe zu den sozialpolitisch Hilfsbedürftigen gehört. Und genau das gilt für die über 50-Jährigen in der ganz großen Mehrheit nicht. Diese Altersgruppe verfügt in der Mehrheit über eine gute Qualifikation. Man kann sie nicht pauschal unter die Gruppe der stützungsbedürftigen Arbeitskräfte rechnen. Andere Strategien würden stärker greifen.
Woran denken Sie?
Ich möchte drei Punkte in den Vordergrund stellen: Ältere Arbeitnehmer schlagen immer noch mit höheren Arbeitskosten ins Finanzkontor der Unternehmen. Allein aus dem Grund bleibt bei Unternehmen der Anreiz bestehen, ältere Arbeitnehmer stärker abzubauen. Ein 55-Jähriger ist im Schnitt fast doppelt so teuer wie ein 25-Jähriger bei gleicher Qualifikation.
Ist der Lohn zu hoch?
Kann man so nicht sagen. Oft wird das Entgelt nach den Jahren der Betriebszugehörigkeit gestaffelt. In Zukunft muss die Tarifpolitik stärker qualifikationsgerecht gestaltet werden. Jüngere werden tendenziell zu schlecht bezahlt, Ältere in Relation zu ihrer Qualifikation und Leistungsfähigkeit zu hoch. Ein 30-Jähriger, der viel leistet, sollte mehr verdienen als ein durchschnittlich arbeitender 55-Jähriger.
Und der zweite Punkt?
Man sollte stärker auf Bildung, vor allem Weiterbildung setzen. Über 50-Jährige nehmen kaum an Weiterbildungsmaßnahmen teil, Unternehmen investieren kaum noch in diese Gruppe. Das dritte Element sind differenzierte Arbeitszeitmodelle. Alle Nachbarländer, die eine gute Beschäftigungssituation älterer Menschen vorweisen können, gehen viel stärker auf die individuellen Leistungsmöglichkeiten von Arbeitnehmern ein und bieten sehr differenzierte Arbeitszeitmodelle an. Wichtig ist ein breites Spektrum von Teilzeitangeboten.
Welche Staaten meinen Sie?
Vor allem die skandinavischen Länder. Der Ausstieg von Älteren aus dem Berufsleben findet dort viel später statt und dieses Ziel wird auch politisch vermittelt. Zudem ist der Arbeitsmarkt insgesamt viel entspannter. Ein anderes Beispiel ist die Schweiz. Dort sind in der Relation zu den Einwohnern dreimal so viele 60- bis 65-Jährige beschäftigt wie bei uns - und das bei viel höherem Lohnniveau. Die Schweiz investiert sehr viel stärker in Weiterbildung, fährt einen sehr differenzierten Arbeitsmarkt mit hohen Elementen von Teilzeitmodellen. Die Gehaltstabellen sind dort sehr viel stärker als bei uns leistungs- und qualifikationsbezogen.
Oft wird befürchtet, dass ältere Menschen den Jüngeren die Arbeitsplätze wegnehmen könnten.
Ja, das könnte man vermuten und das war auch die Doktrin der 70er- und 80er-Jahre. Als die Zahl der Arbeitslosen stieg, war es eine sozusagen gut gemeinte Strategie, eher die Älteren aus den Unternehmen zu entlassen. So wollte man die Chancen der Jüngeren erhöhen. Auf den ersten Blick klingt das auch sehr einleuchtend. Streng genommen hätte man aber schon in den 80er- und 90er-Jahren erkennen müssen, dass das nahezu komplett fehlgeschlagen ist.
Wie kommt das?
Oftmals werden die Arbeitsplätze nicht neu besetzt, sondern wegrationalisiert. Ich habe zusammen mit der Ökonomin Lioba Trabert eine OECD-Vergleichsstudie gemacht und untersucht, ob in Ländern, die einen Ausstieg aus dem Arbeitsleben sehr spät vorsehen, eine höhere Jugendarbeitslosigkeit vorliegt. Das Interessante ist: Das genaue Gegenteil ist der Fall. Im Schnitt haben jene Länder, die einen späten Ausstieg von Arbeitnehmern erreichen, überraschenderweise eine geringere Jugendarbeitslosigkeit.
Haben Sie dafür eine Erklärung?
Wir wissen es noch nicht genau, sind noch in der Untersuchung. Fakt ist aber, dass in Nationen, die die personellen Ressourcen, die Produktivkraft der Bevölkerung insgesamt stärker nutzen, der Arbeitsmarkt entspannter ist. Die Belastungen des Staates durch Sozialabgaben sind viel geringer. Dieser Umstand bezieht sich nicht nur auf die stärkere Erwerbstätigkeit von Älteren und Jüngeren sondern auch auf die von Frauen. Vor allem in den Niederlanden, der Schweiz und den skandinavischen Ländern tragen insgesamt mehr Menschen an den sozialstaatlichen Lasten. Das kommt am Ende allen zugute.
Der deutsche Staat gibt Geld aus, um ältere Menschen in Arbeit zu bringen. Auf der anderen Seite gibt es immer noch Regelungen zur Altersteilzeit. Bisweilen werden mit den staatlichen Zuschüssen ältere Arbeitnehmer entlassen. Ist das nicht widersprüchlich?
Ja, allerdings. Wenn man sich die arbeitsmarktpolitische Realität in Deutschland anschaut, gibt es keine klare Linie. Was die Telekom macht, was zum Teil im öffentlichen Dienst abläuft, steht im klaren Widerspruch zur verkündeten Strategie, den Menschen wie den Unternehmen deutlich zu machen, dass ein späterer Ausstieg aus dem Erwerbsleben möglich und sinnvoll ist. Diese Widersprüchlichkeit nimmt die Bevölkerung allerdings auch wahr. Auf der einen Seite wird die Rente ab 67 beschlossen und auf der anderen Seite kennen die Leute persönlich Menschen, die mit 60 Jahren und mit Hilfe von Vater Staat oder von Unternehmen nach Haus geschickt werden. Das macht keinen Sinn.
Inwiefern richtet dieser Widerspruch Schaden an?
Er beeinflusst die Haltung der Betroffenen. Sie erhalten gegenläufige Signale, was dazu führt, dass die Mehrheit sich nicht auf notwendige Veränderungen einstellt oder sogar voller Unmut reagiert, wie kürzlich bei Protesten gegen die gesetzliche Einführung der Rente ab 67 zu beobachten war. Grundsätzlich ist ein späteres Ausscheiden aus dem Berufsleben langfristig unvermeidbar. Der starke Widerstand gegen die Rente ab 67 Jahren hat eine Ursache darin, dass Älteren bis jetzt nicht deutlich gemacht worden ist, dass sie tatsächlich erhöhte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Es ist jetzt ganz wichtig, in der Realität zu zeigen, dass man als älterer Arbeitnehmer tatsächlich gebraucht wird.
Das Interview führte Annette Rollmann