Rente mit 67
Die Jahrgänge ab 1964 sind voll betroffen. Droht nun vielen Altersarmut?
Wer heute jünger als 44 Jahre alt ist, wird künftig die volle Rente erst mit 67 Jahren erhalten. Begleitet von massiven Protesten der Gewerkschaften und Sozialverbände beschloss der Bundestag am 9. März die schrittweise Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Die jetzige Grenze von 65 Jahren wird von 2012 an in Zwei-Monats-Schritten und ab 2024 in Ein-Monatsschritten erhöht. Im Jahr 2029 soll das Renteneintrittsalter dann bei 67 Jahren liegen, voll betroffen sind alle Geburtsjahrgänge ab 1964. Die Umstellung beginnt mit dem Jahrgang 1947, der bis zur vollen Rente einen Monat länger arbeiten soll.
Für den schwarz-roten Gesetzentwurf ( 16/3794 , 16/4372 , 16/4420 ) votierten in namentlicher Abstimmung 408 Abgeordnete der Großen Koalition. 169 Parlamentarier, darunter elf von der SPD, stimmten gegen das Gesetz, vier Sozialdemokraten enthielten sich. Der Bundesrat muss der Rente mit 67 noch zustimmen. Zugleich passierte ein weiterer schwarz-roter Gesetzentwurf ( 16/3793 , 16/4371 , 16/4421 ) mit den Stimmen von Union, SPD und Bündnis 90/Die Grünen das Parlament. Dieser beinhaltet die weitere Umsetzung der "Initiative 50plus", mit der die Jobchancen Älterer verbessert werden sollen. Geplant ist ein Mix aus Kombilöhnen, Eingliederungszuschüssen und besseren Möglichkeiten zur Weiterbildung.
Außerhalb des Reichstages kochte die Empörung. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, und der Präsident des Sozialverbandes VdK, Walter Hirrlinger, werteten die Pläne als Rentenkürzungsprogramm, weil viele Beschäftigte gar nicht so lange arbeiten könnten und Arbeitsplätze für Ältere fehlten. Die Regelungen führten zu "Altersarmut von morgen", sagte Sommer. Im Plenum griff die Fraktion Die Linke diese Argumentation auf. "Sie können nicht sagen, wo die Menschen länger arbeiten sollen, und Sie können nicht sagen, wie sie es machen sollen", wandte sich der Abgeordnete Klaus Ernst an die Koalition. Fraktionschef Gregor Gysi verlangte, alle Einkommen in die Rentenbeitragspflicht einzubeziehen.
Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) hielt im Plenum dagegen. Die Entscheidungen seien richtig, da die demografische Entwicklung nicht ignoriert werden könne. Die heutige durchschnittliche Rentenbezugsdauer liege bei 17 Jahren und werde bis 2030 auf 20 Jahre klettern. "Es gibt keinen Grund, den Menschen im Land wegen dieser Entscheidungen Angst zu machen", betonte der Vizekanzler. Jeder müsse sich aber künftig zusätzlich absichern, etwa über die Riester- oder die Betriebsrente.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sprach sich im Grundsatz für die Rente mit 67 aus, hält aber wie auch die anderen Oppositionsfraktionen die so genannte 45er-Regel für verfassungswidrig. Nach dem Willen der Koalition können diejenigen Arbeitnehmer, die 45 Beitragsjahre haben, weiterhin ohne Abschläge mit 65 Jahren in Rente gehen. Dies diskriminiere vor allem Frauen, bemängelte Grünen-Rentenexpertin Irmingard Schewe-Gerigk. Zudem werde gegen den Grundsatz verstoßen, dass gleiche Beiträge zu gleichen Ansprüchen führen. Sie forderte Bundespräsident Horst Köhler auf, das Gesetz zu stoppen.
Der CDU-Sozialexperte Ralf Brauksiepe wies die Einwände zurück. "Das Land ist voll von Hobby-Verfassungsrichtern, die eben mal erklären, was nicht verfassungsgemäß ist", sagte er. Sein CSU-Kollege Max Straubinger unterstrich, die Alternativen zum Konzept der Koalition - Rentenkürzungen oder drastische Beitragssatzerhöhungen - kämen nicht in Frage.
Die FDP-Fraktion machte sich für einen flexiblen Rentenzugang ab dem 60. Lebensjahr und die Aufhebung der Zuverdienstgrenzen beim Rentenbezug stark. Ihr Rentenfachmann Heinrich L. Kolb verwies auf aktuelle Umfragen, nach denen sich zwei Drittel der Beschäftigten einen gleitenden Übergang in den Ruhestand wünschten. Ein Entschließungsantrag der Liberalen ( 16/4618 ) dazu erhielt keine Mehrheit. Mehrere Koalitionspolitiker, unter ihnen SPD-Sozialexperte Klaus Brandner, stellten aber in Aussicht, an flexiblen Ausstiegsmöglichkeiten aus dem Erwerbsleben zu arbeiten.
Der früheste Rentenbeginn liegt nach dem neuen Gesetz bei 63 Jahren, allerdings nur für diejenigen, die 35 Versicherungsjahre vorweisen können. Für jeden Monat, den man vor dem Renteneintrittsalter aufhört, fällt ein Abschlag von 0,3 Prozent an. Will eine heute 30-Jährige also mit 63 statt 67 Jahren in Rente gehen, muss sie lebenslang um 14,4 Prozent geringere Bezüge in Kauf nehmen. Umgekehrt gilt, wer künftig tatsächlich bis 67 Jahre arbeitet, erwirbt auch entsprechend höhere Rentenansprüche.Mit dem Gesetz strebt die Koalition an, die seit 2005 unterbliebenen "Anpassungsdämpfungen" bei der Rente von 2011 an nachzuholen, "wenn aufgrund der Lohnentwicklung Rentensteigerungen möglich sind". Langfristig soll der Rentenbeitragssatz im Jahr 2030 höchstens 21,9 Prozent betragen. Derzeit liegt er bei 19,9 Prozent. Das durchschnittliche Rentenniveau soll bis 2020 nicht unter 46 Prozent und bis 2030 nicht unter 43 Prozent sinken.
Die Opposition scheiterte mit ihren renten- und beschäftigungspolitischen Anträgen ( 16/2747 , 16/3815 , 16/3812 , 16/241 , 16/3027 , 16/3779 ). Auch Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke ( 16/4617 , 16/4623 ) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ( 16/4619 ) fanden keine Mehrheit.
Das Thema Rente mit 67 wird den Bundestag im Übrigen auch nach ihrer Verabschiedung weiterbeschäftigen. Die Linke verlangt in einem Antrag ( 16/4553 ) eine verbindliche Prüfklausel.In einem weiteren Antrag ( 16/4552 ) setzt sie sich dafür ein, die Rente mit 65 beizu- behalten. Zudem müssten flexible Ausstiegsmöglichkeiten vor dem 65. Lebensjahr eingerichtet beziehungsweise bewahrt bleiben.
Die Abgeordneten fordern unter anderem, die Altersteilzeitregelungen über den 1. Januar 2010 fortzuführen. Der Bundestag überwies beide Vorlagen an den Sozialausschuss. Monika Pilath z