BÜRGERSCHAFTSWAHL
In Bremen bahnt sich ein rot-grünes Comeback an. Ein Signal für die Bundespolitik?
Wenn der Wahl-O-Mat zu entscheiden hätte, stünde das Ergebnis der Bremer Bürgerschaftswahl schon jetzt fest: Nach dem 13. Mai würde die bisher dienstälteste große Koalition eines Bundeslandes abgelöst und durch Rot-Grün ersetzt. Wahl-O-Mat? Das ist ein Computerprogramm, mit dem unentschlossene Wählerinnen und Wähler ihre Übereinstimmung mit den Programmen der demokratischen Parteien testen können. Als Bürgermeister Jens Böhrnsen dies kürzlich versuchte, landete er treffsicher zunächst bei seiner SPD - aber viel aufschlussreicher war, mit wem er am wenigsten übereinstimmte: mit seinem Koalitionspartner CDU. Weitaus mehr verbindet ihn mit der bisherigen Grünen-Opposition.
Im wahren Leben ist der Urnengang natürlich noch nicht entschieden. Nach einer ARD-Hochrechnung wird die SPD zwar mit 42 Prozent wieder eindeutig die stärkste Partei und kann sich demnach auswählen, ob sie lieber mit den Grünen (14,5 Prozent) koalieren möchte oder weiter ihrem Partner CDU (26 Prozent) treu bleibt, mit dem sie bereits seit zwölf Jahren regiert.
Aber die Sozialdemokraten genießen lieber diese komfortable Situation, als sich auf einen Partner festzulegen. "Ich bin nicht rot-schwarz, ich bin nicht rot-grün, ich bin rot", pflegt Spitzenkandidat Böhrnsen zu sagen. Dabei galt er durchaus mal als Rot-Grün-Anhänger. Das war zu der Zeit, als er noch die SPD-Bürgerschaftsfraktion leitete. Im November 2005 übernahm er aber die Nachfolge von Regierungschef Henning Scherf, und seitdem lässt er die Koalitionsfrage lieber gänzlich offen. "Das Amt verändert einen ja auch", hat ein Senatsmitarbeiter beobachtet.
Eindeutig steht nur fest, was die CDU möchte: so weiterregieren wie bisher. Sie hat auch keine andere Wahl. Denn mit den Grünen ist sie sich nicht grün, und von einer schwarz-gelben Mehrheit kann sie in der Hansestadt lediglich träumen. Deshalb bleibt den Christdemokraten nur, sich beim Wunschpartner SPD halbwegs beliebt zu machen, damit er sie für weitere vier Jahre zur Partnerin nimmt.
Möglicherweise ist das der Hauptgrund, warum der erstmals antretende CDU-Spitzenkandidat, der 40-jährige Innensenator Thomas Röwekamp, überraschend das Thema "Soziales" in den Wahlkampf-Mittelpunkt gerückt hat. Er selbst nennt als Auslöser dafür den kleinen Kevin, jenen zweijährigen Jungen, der trotz Amtsvormundschaft offenbar von seinem drogensüchtigen Ziehvater zu Tode misshandelt wurde. In den vergangenen Jahren, meint Röwekamp, habe sich die Union besonders um Wirtschaft und Finanzen gekümmert und dabei die soziale Frage etwas vernachlässigt. Aber SPD und Grüne sind sich ziemlich sicher: Der Schwenk zum Sozialen sei nur taktisch gemeint. Auf diese Weise sollten sich auch linkere SPD-Kreise weiterhin für die Union als Partner erwärmen können.
Der Parteienforscher Lothar Probst wiederum meint, Röwekamp wolle die CDU mit seiner neuen Linie zur modernen Großstadtpartei reformieren, um stärker im Reservoir von SPD und Grünen fischen zu können. Dazu passt auch Röwekamps pfiffige Idee, nach dem Vorbild seines Hamburger Parteifreundes Ole von Beust einen leer stehenden Laden in guter Citylage zu mieten und dort einen offenen Wahlkampftreff namens "Cafe Röwekämp" einzurichten.
Auf jeden Fall konnte man in den ersten Wahlkampfwochen kaum noch Unterschiede erkennen zwischen den zwei Volksparteien. Beide wollen die Betreuung in den Kindergärten ausbauen, beide fordern, dass Beschäftigte mindestens 7,50 Euro pro Stunde verdienen sollen, und neuerdings ist auch die CDU gegen die Bremer Tierversuche mit lebenden Makakenaffen.
Erst bei genauerem Hinsehen zeigen sich die Unterschiede. Etwa beim Mindesteinkommen. Böhrnsen, Sohn eines von den Nazis verfolgten Werft-Betriebsratsvorsitzenden, verlangt einen gesetzlich festgelegten Lohn. Sein Stellvertreter Röwekamp dagegen will auch weiterhin Niedriglöhne akzeptieren, die dann aber vom Staat auf 7,50 Euro angehoben würden. Eigentlich also ein "Kombilohn", aber die Bremer CDU spricht lieber von "Mindesteinkommen", was fast so klingt wie die SPD-Forderung.
Erst nach und nach gehen die Koalitionspartner stärker auf Konfrontationskurs. Die SPD nennt das CDU-Mindesteinkommen "Etikettenschwindel" und wirft Innensena-tor Röwekamp eine schlechte Aufklärungsrate der Polizei vor. Die CDU kontert damit, dass die Quote zu früheren SPD-Zeiten noch niedriger gewesen sei; außerdem beklagt sie, dass die Ex-RAF-Terroristin Susanne Albrecht mit Billigung von Bildungssenator Willi Lemke (SPD) Deutsch für Ausländerkinder unterrichten dürfe.
So findet die CDU allmählich doch wieder zurück zu ihrem alten Schwerpunktthema "Innere Sicherheit". Bei manchem Beobachter werden da Erinnerungen wach an die harte Linie des Innensenators im Fall Murat Kurnaz: Röwekamp wollte zeitweise mit dazu beitragen, dass der Bremer Guantanamo-Häftling möglichst nicht in seine Heimatstadt zurückkehren durfte. Unvergessen auch die Äußerung des Senators über Brechmittel-Einsätze gegen mutmaßliche Drogenhändler: "Schwerstverbrecher" müssten nun mal "mit körperlichen Nachteilen" rechnen, sagte Röwekamp Ende 2004, als ein Kleindealer nach der durch die Polizei erzwungenen Einnahme eines Brechsirups ins Koma gefallen war (wenige Tage später starb der 35-Jährige).
Bei allem jungenhaften Charme, den Röwekamp neben seiner Härte ausstrahlt, scheidet er für die Grünen als Koalitionspartner aus. Die langjährige Oppositionspartei, die nur einmal in einer "Ampelkoalition" (1991-95) mitregierte, hat sich eindeutig auf Rot-Grün festgelegt. Als einzige Partei hat sie den Klimaschutz zum Wahlkampfthema erhoben: Die Grünen sammeln Unterschriften gegen den geplanten Bau eines riesigen Kohlekraftwerks. Ihre Spitzenkandidatin, Fraktionschefin Karoline Linnert (48), wird auch von anderen Parteien als Finanzexpertin geschätzt. Zuletzt leitete sie souverän einen Untersuchungsausschuss, der einen Korruptionsskandal an städtischen Kliniken aufklären sollte, also im Ressort der einstigen SPD-Gesundheitssenatorin Karin Röpke. Dass die Grünen diesen Ausschuss beantragten, obwohl sie mit der SPD koalieren möchten, stärkte ihre Glaubwürdigkeit.
Ihr Wahlziel von mindestens 15 Prozent könnte allerdings an linker Konkurrenz scheitern. Bei der Bundestagswahl 2005 kam die Linkspartei in Bremen auf stolze 8,4 Prozent. Für die Bürgerschaft fehlt der Linken freilich ein Zugpferd. Am liebsten hätte sie den linken, aber unabhängigen Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel als Spitzenkandidaten angeworben, aber der wollte nicht. So wird "Die Linke" jetzt vom Krankenpfleger und Betriebsrat Peter Erlanson (47) angeführt - einem von mehreren WASG-Kandidaten auf der Liste. Die Wahlforscher prognostizieren ihr derzeit 5,5 Prozent der Stimmen. Damit wären Linkspartei und WASG, einen Monat vor ihrer bundesweiten Fusion, erstmals in einem westdeutschen Landesparlament vertreten.
Für die FDP wird die Wahl zur Zitterpartie: Sie bekam bei der ARD-Sonntagsfrage nur fünf Prozent. Ähnlich wie Linkspartei und WASG in Bremen hatten die Freidemokraten einige Querelen zu überstehen. Ihr Spitzenkandidat Magnus Buhlert (40) ist nicht sehr bekannt. 2003 war die FDP bei 4,2 Prozent hängen geblieben. Sie errang nur deshalb ein Mandat, weil es in dem Zwei-Städte-Staat ausreicht, in nur einer der beiden Kommunen die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden, im damaligen Fall im Bremerhaven.
Dank dieser Klausel könnte es auch die rechtsextreme DVU schaffen, wieder mit ihrem Abgeordneten Siegfried Tittmann (52) in die Bürgerschaft einzuziehen. Es sei denn, eine neue Wählerinitiative namens "Bremen muß leben" macht ihm Konkurrenz: Der weit rechts stehende Ex-"Bild"-Reporter Joachim Siegerist, wegen Volksverhetzung vorbestraft und früher unter "rechtsextremistischen Bestrebungen" im Verfassungsschutzbericht erwähnt, will Bremen "sicher, sauber, schuldenfrei" machen. Womöglich fallen viele Protestwähler auf die "Braunen im Schafspelz" (so Böhrnsen) herein. Auf der angeblich unabhängigen Liste - in Wirklichkeit ein Landesverband der rechten "Konservativen" - kandidiert auch der ehemalige Apo-Genosse Bernd Rabehl, der zuletzt durch Auftritte auf NPD-Versammlungen von sich reden machte.
Überschattet wird der Wahlkampf durch den Tod der Bürgermeister-Gattin Luise Morgenthal. Böhrnsens Ehefrau war im März völlig überraschend an einer Hirnblutung gestorben. Inzwischen macht der SPD-Spitzenkandidat wieder tapfer Wahlkampf. Der freundliche, aber eher zurückhaltende Jurist kommt bei den Bremern mittlerweile fast so gut an wie sein leutseliger Vorgänger Henning Scherf. Könnte der Bürgermeister direkt gewählt werden, bekäme er 52 Prozent, während Röwekamp mit 19 Prozent weit abgeschlagen wäre.
Bundespolitisch könnten von der einzigen Landtagswahl dieses Jahres Signale für einen Richtungswechsel ausgehen: Falls sich die SPD tatsächlich für Rot-Grün entscheiden sollte, wäre das die Rückkehr eines in Bund und Ländern derzeit nirgendwo mehr praktizierten Koalitionsmodells. Und im Bundesrat würde Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die schwarz-rote Zwei-Drittel-Mehrheit verlieren, die für Änderungen des Grundgesetzes nötig ist. Es kann also noch spannend werden am kommenden Sonntag an der Weser. Eckhard Stengel z