Hedi wegener
Die EU ist froh, dass Deutschland "einen Fuß in der Tür" Zentralasiens hat. Meint die SPD-Politikerin und Vorsitzende der Deutsch-Zentralasiatischen Parlamentariergruppe.
Deutschland hat Zentralasien zum außenpolitischen Schwerpunkt seiner EU-Ratspräsidentschaft erklärt. Es soll eine Zentralasien-Strategie der EU erarbeitet werden. Warum ist diese Region für Europa so wichtig?
Weil Zentralasien vor unserer Haustür liegt. Es grenzt an Europa, fühlt sich in großen Teilen Europa zugehörig. Alle fünf Länder sind Mitglieder der OSZE. Daher kann es nur in unserem Interesse sein, dass Zentralasien eine friedliche und stabile Region ist.
Worin liegt aus Ihrer Sicht das größte Konfliktpotenzial dort?
In den unterschiedlichen natürlichen Ressourcen der einzelnen Länder. Tadschikis-tan und Kirgisistan etwa besitzen mit dem Pamir-Gebirge zugleich ein riesiges Wasserreservoir, auf das die anderen zentralasiatischen Staaten angewiesen sind. Diese wiederum verfügen über große Vorkommen an Gas und Öl, zu denen auch Europa gerne Zugang hätte. Das gleiche Ziel verfolgen aber auch beispielsweise Indien und China.
Es sind also in erster Linie energiepolitische Interessen, die den Anstoß für die Zentralasien-Strategie gegeben haben?
Nein, das wäre wirklich zu kurz gegriffen. Es geht auch um die Stabilität in der Region. Und die wird vor allem durch die große Armut, die dort herrscht, bedroht.
Warum?
Weil die schwierige wirtschaftliche Situation die Menschen anfällig macht für alle möglichen Heilsversprechungen. Dadurch besteht die Gefahr, dass sich die Region - nach dem Vorbild Afghanistans - zum Rückzugsgebiet für Islamisten entwickelt. Es ist daher für die EU von erheblicher sicherheitspolitischer Bedeutung, dass es den Menschen dort wirtschaftlich besser geht und sie an Bildungschancen teilhaben können. Das Thema Bildung wird deswegen auch wesentlicher Bestandteil der Zentralasien-Strategie sein. Auch die Förderung der regionalen Zusammenarbeit liegt Deutschland sehr am Herzen.
Begreifen sich denn die fünf zentralasiatischen Länder überhaupt als zusammengehörige Region?
Bisher noch nicht. Das hat auch ihre Reaktion auf die Ankündigung Deutschlands, eine EU-Strategie für Zentralasien entwickeln zu wollen, deutlich gemacht.
Inwiefern?
Zwar begrüßen sie alle eine solche Strategie. Aber sie gehen davon aus, dass sich die Zusammenarbeit immer auf bilateraler Ebene abspielen wird, also beispielsweise zwischen Deutschland und Usbekistan oder zwischen Frankreich und Tadschikistan.
Keine einfache Voraussetzung, um für eine Zusammenarbeit dieser Länder untereinander zu werben.
Allerdings. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sie erkennen würden, dass eine solche regionale Kooperation sie stark macht. Da hoffen wir, dass die EU ihnen als Vorbild dient. Noch aber sind sie nicht bereit, Souveränitätsrechte abzugeben, weil sie sich nicht vorstellen können, dass sie im Gegenzug dafür auch etwas bekommen.
Was erhoffen sich denn die zentralasiatischen Staaten von dieser Strategie?
Natürlich vor allem wirtschaftliche Unterstützung. Genau darin liegt aber das Problem. Denn während die EU solche Unterstützung immer auch mit der Forderung nach Rechtsstaatlichkeit verknüpft, bietet etwa China Geld und Investitionen, ohne danach zu fragen, ob die Menschenrechte eingehalten werden.
Gibt es eigentlich heute schon eine gemeinsame EU-Politik in Zentralasien?
Die EU-Mitgliedstaaten, die in Zentralasien vertreten sind, kooperieren schon sehr eng miteinander und sprechen ihre diplomatischen Aktivitäten auch untereinander ab. Seit September 2005 gibt es zudem einen EU-Sonderbeauftragten für Zentralasien. Zurzeit hat der französische Diplomat Pierre Morel dieses Amt inne. Oft stellen übrigens die deutschen Botschaften die Klammer zu den anderen Vertretungen aus EU-Ländern in der Region dar.
Wieso gerade deutsche Botschaften?
Weil es das einzige Land der EU ist, das in allen zentralasiatischen Staaten seit ihrer Unabhängigkeit vor 16 Jahren eigene Botschaften unterhält. Das rechnen diese Länder uns hoch an. Deutschland nimmt für die ganze Region die Rechte des Schengen-Raums wahr. Daher kommt ihm ein ganz besonderer Status zu. Außerdem hat Deutschland nie, auch in schwierigen Zeiten nicht, den Dialog abgebrochen.
Genau diese Dialogbereitschaft mit äußerst autoritären Machthabern wird Deutschland von Menschenrechtlern aber vorgehalten. Die Nichtregierungsorganisation Freedom House etwa rechnet das usbekische Regime unter Präsident Islam Karimow, das 2005 die Demonstrationen von Andijan blutig niederschlagen ließ, zu den schlimmsten weltweit.
Dennoch glaube ich nicht, dass es etwas bringt, den Kontakt völlig abzubrechen. Deshalb machen wir uns ja noch lange nicht mit diesem Regime gemein. Der usbekische Botschafter in Berlin etwa hat sich von der deutschen Seite oft Kritik anhören müssen wegen der Menschenrechtsverletzungen. Doch tut sie das immer im Gespräch - bestimmt in der Sache, aber moderat im Ton. Und deshalb sind die Deutschen, anders als die USA und die US-amerikanischen NGO, nicht des Landes verwiesen worden. Heute sind die anderen EU-Staaten froh, dass Deutschland dort nach wie vor einen Fuß in der Tür hat, und bedienen sich seiner gern als Vermittler. Denn sie wissen: Wenn ein Land Einfluss in Zentralasien hat, dann ist es Deutschland.
Welche Rolle spielt bei diesen Dialogbemühungen die Deutsch-Zentralasiatische Parlamentariergruppe?
Eine wichtige Aufgabe sehe ich darin, dass wir den Abgeordneten dieser Länder Gewaltenteilung und Demokratie vorleben. Und natürlich sprechen wir auf unseren Delegationsreisen, die wir regelmäßig in die Region unternehmen, brisante Fragen wie die Menschenrechtslage, Korruption und Umweltprobleme immer wieder an - auch gegenüber Regierungsmitgliedern. Als frei gewählte Abgeordnete befinden wir uns dabei in einer relativ komfortablen Situation, weil wir uns, anders als etwa die Mitarbeiter des Auswärtigen Amts, keinen diplomatischen Zwängen unterwerfen müssen. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns wie Elefanten im Porzellanladen bewegen.
Anfang Februar sind Sie zur Amtseinführung des neuen Staatspräsidenten Gurbanguly Berdymuchammedow nach Turkmenistan gereist. Mit welchen Eindrücken sind Sie von dort zurückgekehrt?
Mit durchaus positiven. Der neue Staatspräsident hat bei der Amtseinführung seine Wahlversprechen zum Regierungsprogramm erklärt. So will er die Krankenhäuser auf dem Land, die sein Vorgänger …
… der allmächtige und selbstherrliche Diktator Saparmurad Nijasow …
hatte schließen lassen, wiedereröffnen. Studenten sollen wieder im Ausland studieren dürfen, Internetzugänge erlaubt werden.
Und das ist glaubwürdig?
Bislang wurde ein Internetcafé eröffnet. Das mag man vielleicht belächeln. Aber es ist ein Zugeständnis. Außerdem wurde ein Rechtsstaatsdialog mit Deutschland vereinbart. Das halte ich für sehr sinnvoll. Denn sobald ein gewisses Maß an Rechtssicherheit gewährleistet ist, entscheiden sich vielleicht auch Unternehmen wieder dafür, in dem Land zu investieren.
Meinen Sie denn, dass in einem Land wie Turkmenistan eine Demokratie nach westlichem Vorbild überhaupt möglich ist?
In allen zentralasiatischen Staaten gibt es mehrere große Clans, ohne die gar nichts läuft. Dieser geschichtlich entwickelten Strukturen muss man sich bedienen, wenn man in Sachen Demokratie etwas erreichen will. Der große Fehler in Afghanistan und im Irak war, dass wir geglaubt haben, man könne einfach das westliche Demokratiemodell implementieren und dann würde das schon irgendwie funktionieren. Aber es funktioniert eben nicht.
Das Interview führte Nicole Alexander.
Sie ist freie Journalistin in Berlin.